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Audio: radio3 | 17.02.2025 | Paul Sonderegger | Quelle: dpa/Sebastian Gollnow

Berlinale 2025

Zwischen politischem Anspruch und Glamour auf der Suche nach einer neuen Identität

Wie politisch kann und sollte ein Filmfestival sein? Unter neuer Leitung von Tricia Tuttle versucht die Berlinale den Spagat zwischen gesellschaftlicher Relevanz, künstlerischem Anspruch und internationalem Glamour. Eine Bilanz der ersten Tage. Von Andreas Lueg und Jannis Byell

Tricia Tuttle ist keine Berlinale-Chefin, die für sich selbst den großen Auftritt auf dem roten Teppich sucht. Im Gegenteil: Sie bleibt im Hintergrund, lässt den Stars und Regisseuren den Vortritt. Eine Ermöglicherin. Sie selbst nennt das Festival einen Ort der Gemeinschaft: "Im Kino teilen wir eine Erfahrung, wir lachen zusammen, wir weinen zusammen. Wir sehen Filme und erkennen darin, was uns gemeinsam ist, unsere Menschlichkeit. Das macht die Berlinale politisch."

Statements und Proteste

Flucht, Israel und Demokratie bestimmen die politischen Diskussionen der Berlinale

    

Gleich der Eröffnungsfilm, Tom Tykwers in Berlin situiertes Familiendrama "Das Licht", spricht die Themen an, die uns unter den Nägeln brennen. Migration, Klimawandel, Identitätskrise, Flucht in virtuelle Welten. Auch Burhan Qurbani dekliniert das Themen bildgewaltig durch - in seinem Film "Kein Tier. So Wild". Shakepeares "Richard III." wird hier als spektakuläre Berliner Gangstergeschichte umgesetzt: Gewalt, Wut, Clash der Kulturen.

Gefragt nach ihrer Filmauswahl sagt Tricia Tuttle: "Wir sagen nicht: Hier ist ein Thema, das ist der Film dazu. Es geht uns um schön gemachte, künstlerisch, ästhetisch, kulturell wichtige Filme - und die unglaubliche Vielfalt der Kunstform Film."

Das schwierige Erbe der Berlinale

Als Tricia Tuttle 2024 an die Spitze der Berlinale gerufen wurde, sollte sie vor allem eins: Ein in die Krise geratenes Festival wieder nach vorn bringen: Gegenüber der Konkurrenz in Cannes und Venedig hatte die Berlinale an Bedeutung verloren. Auch seine alte Funktion, ein Scharnier zwischen Ost und West zu sein, hatte das Festival eingebüßt. Die Stars aus Hollywood blieben oftmals aus.

Die Gala zur Preisverleihung im vergangenen Jahr endete mit einem Eklat. Dem Festival und dem Direktorenteam wurde vorgeworfen, antisemitische Äußerungen und einseitige Sympathiekundgebungen geduldet zu haben. Es fehlte an Empathie für Israel und die Geiseln der Hamas. Kein leichtes Erbe für Tricia Tuttle, die von sich selbst sagt, dass sie viel Zeit damit verbracht hat, darüber nachzudenken, was der Eklat für sie und das Festival bedeutet: "Nach der letztjährigen Zeremonie gab es enormen Druck, dass solche Äußerungen nicht wieder vorkommen dürften." Und doch, so Tuttle, "brauchen wir mehr Pluralität, denn Künstler brauchen Raum, um über Dinge zu sprechen."

75. Berlinale

Tilda Swinton betont Sympathien für Israel-Boykott-Bewegung

Die Oscar-Preisträgerin sagte auf der Berlinale, sie sei eine große Bewunderin von BDS, einer Bewegung, die Israel isolieren will. Bereits bei der Eröffnung hatten Tilda Swinton und andere Filmschaffende mit politischen Statements für Aufmerksamkeit gesorgt.

Die Berlinale als politisches Festival

Bei der Eröffnungsgala reihte sich Tricia Tuttle ein in die Solidaritätsaktion einiger Schauspieler wie Christian Berkel oder Andrea Sawatzki. Sie hielten auf dem roten Teppich ein Foto des noch immer im Gaza Streifen festgehaltenen Schauspielers David Cunio in die Kamera und erinnerten damit an sein Schicksal. Auch der Film "Letter To David", der seine Geschichte erzählt, ist auf dem Festival zu sehen – ein Versuch der Aufarbeitung des Terrors.

Die Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Tilda Swinton bekam den Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk verliehen. In ihrer Rede auf der Eröffnungsgala der Berlinale wendete sie sich gegen eine Politik von Ausgrenzung, Verfolgung und Abschiebung. Am Tag darauf sagte sie in einer Pressekonferenz, dass sie eine Bewunderin der BDS-Bewegung sei, die zum Boykott gegen Israel aufruft.

Auf diese Widersprüchlichkeiten angesprochen, meint Tricia Tuttle immer wieder, dass das Festival selbst keine politischen Statements mache. Sie verstehe die Berlinale als offene Bühne: "Wenn wir aber Leute zum Schweigen bringen, haben wir ganz schnell kein Internationales Filmfestival mehr. Wir sind entschieden gegen jedweden Antisemitismus. Aber wir müssen dafür sorgen, dass die Meinungsfreiheit erhalten bleibt."

Tricia Tuttle wird nicht müde zu betonen, wie wichtig es ist, viele Stimmen zu hören: "Und genau das meine ich, wenn ich sage, dass es nicht die Aufgabe einzelner Künstler sein kann, alles über die sehr, sehr komplexe Welt, in der wir leben, zu sagen. Wir müssen hinsehen und großzügig sein, um die vielen Stimmen zu hören."

Berlinale-Filme spiegeln die Dramen unserer Zeit

Neu erfinden kann auch Tricia Tuttle das Festival nicht. Doch sie steuert die Berlinale selbstbewusst durch eine dramatische Zeit und holt Filme nach Berlin, die von den aktuellen Kriegen und Krisen erzählen. Wie der Dokumentarfilm der Regisseurin Eva Neymann: "When the Lightning Flashes over the Sea" spielt in Odessa und erzählt unter anderem von Fadej, der es liebt, allein zeigt, durch die Straßen seiner Stadt voller Ruinen zu gehen und davon träumt, dass es zu seinem Geburtstag einen großen "leckeren Schokoladenkuchen" gibt. Oder auch der Dokumentarfilm "Timestamp", der im Wettbewerb läuft, und in dem Kateryna Gornostai den Alltag in ukrainischen Schulen während des Krieges beobachtet.

Die Berlinale 2025 steuert auf die zweite Halbzeit zu und eines wird bereits jetzt deutlich: Auch die neue Festivalleiterin setzt darauf, die Berlinale als politisches Festival zu positionieren. Sie selbst betont ihr Interesse an "Filmemachern mit starken Standpunkten". Das spiegelt sich auch im Programm wider – ein Versuch, in einer zunehmend komplexen Welt verschiedene Perspektiven sichtbar zu machen.

 

Sendung: radio3, 17.02.2025, 7:30 Uhr

Beitrag von Andreas Lueg und Jannis Byell

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