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Berlinale-Filmkritik | "Langue Étrangère" und "A Traveler's Needs"
Zwei Wettbewerbsfilme mit Sprache als Grundthema: Isabelle Huppert schlägt sich in Korea als Französischlehrerin mit eigenwilligen Methoden durch. Und ein deutsch-französischer Schülerinnenaustausch wird zur Liebesgeschichte. Von Fabian Wallmeier
Eine Berlinale ohne Hong Sangsoo ist möglich, aber sinnlos. Kaum ein Regisseur war in den vergangenen Jahren so oft zu Gast wie er. Auch dieses Jahr ist der Koreaner im Wettbewerb vertreten, mit einem weiteren Berlinale-Dauergast als Hauptdarstellerin: Isabelle Huppert, Trägerin des Goldenen Ehrenbären 2022.
"A Traveler's Needs" ist bereits die dritte Zusammenarbeit der beiden - und, um das gleich vorwegzunehmen: ihre lustigste und berührendste. Wie schon "In Another Country", ihr erster gemeinsamer Film, zerfällt auch der neue in drei Teile, in denen sich Elemente aus den jeweils anderen spiegeln und wiederholen. Damals spielte Huppert drei verschiedene Französinnen, die an der koreanischen Küste zu Besuch waren. Dieses Mal ist sie eine in Korea lebende Französin, die an einem Tag drei Begegnungen mit anderen Menschen hat.
Huppert spielt Iris, eine ältere Frau, von der niemand so recht weiß, was sie eigentlich nach Korea verschlagen hat. Der Film zeigt sie zuerst zu Besuch bei einer jüngeren Frau. Die beiden sitzen am Tisch und sprechen Englisch miteinander. Nicht gleich ist klar, was hier passiert, sondern erst im Verlauf der Stunden, die die beiden zusammen verbringen.
Iris hat eine sehr eigene Methode entwickelt, Französisch zu unterrichten. Sie stellt ihren Schüler:innen Fragen über sich selbst, und wenn sie mit der Ehrlichkeit und Tiefe der Antwort zufrieden ist, schreibt sie sie, in französischer Übersetzung und mit weitgehenden eigenen Interpretationen auf Karteikarten. Diese Karteikarten sollen die Schüler:innen dann wieder und wieder lesen und mit einem Walkman aufnehmen.
Huppert legt die Figur als fröhliche Unverschämtheit an - und ist dabei teilweise brüllend komisch. Iris insistiert mit ihren Fragen so lange, bis Tränen fließen. Sie bleibt angesichts dieser Gefühlsausbrüche freundlich zugetan und heiter. Und sie gibt unumwunden zu: Ihre Sprachlehrmethode hat sie sich kürzlich erst ausgedacht. Ob sie funktioniert? Das hoffe sie, sagt sie im zweiten Teil einem Paar, das sie als Kundschaft gewinnen will. Es gehe darum die Erfahrung zu machen, etwas Bedeutsames auf einer anderen Sprache zu sagen, auch wenn man es noch nicht verstehe. Und trotz aller Skepsis: Letztlich lassen die beiden sich von Iris bequatschen.
"Die einzige Möglichkeit etwas zu verändern, ist, sich alles noch einmal anzusehen, sehr langsam", sagt Hupperts Figur in "Claire's Camera", der zweiten Zusammenarbeit mit Hong Sangsoo einmal. Das lässt sich auf viele seiner Filme übertragen: Hong liebt es, Szenen zu wiederholen, zu spiegeln, zu variieren. Und die Details tun sich erst beim zweiten Sichten auf. Auch in "A Traveler's Needs" gibt es diese Dopplungen und Variationen: In allen drei Teilen wird etwa Musik gespielt, ein Dialog über Musik taucht fast wortgleich in zwei Szenen auf, ein Gedicht spielt zweimal eine Rolle und so weiter.
Und dann wäre ein Hong-Film kein Hong-Film, wenn nicht irgendwann getrunken würde. Hier ist es der im Vergleich zum sonst servierten Soju das leichtere Makgeolli. Anders als sonst oft bei Hong löst das Saufen hier keine alkoholisierten Ausbrüche der Peinlichkeit aus, sondern hält Iris nur ihren Pegel, indem sie das milchige Getränk einfach von früh bis spät konsumiert.
Der dritte Teil des Films hebt die Geschichte auf eine andere Ebene. Bei ihrer Begegnung mit dem jungen Dichter Inguk, der sie bei sich wohnen lässt, wird klar: Iris führt letztlich ein prekäres Leben, sie ist auf die Freundshaft und Güte anderer angeweisen. In der letzten Szene der beiden wird klar: "A Traveler's Needs" ist auch ein zärtlicher Film über das Altern, den damit einhergehenden drohenden Bedeutungsverlust und das Zulassen von Hilfsbedürftigkeit und Vertrauen.
Das ist nicht zuletzt deshalb eine erfreuliches Signal, weil Hong noch im vergangenen Jahr in den Encounters einen überaus traurigen, wenngleich sehr guten Film vorgestellt hatte. "In Water" handelt vom Schwinden der Sehkraft und des künstlerischen Ausdrucks. Schön, dass er nun mit einem so lustigen, tröstlichen, lebensbejahenden Film zurück in Berlin ist.
Über eine ganz andere Art der Sprachvermittlung geht es in Claire Burgers Wettbewerbsbeitrag. "Langue Étrangère" heißt übersetzt "Fremdsprache" - und worauf sich das vordergründig bezieht, ist offensichtlich: Die 16-jährige Fanny (Lilith Grasmug) kommt aus Straßburg zum Schülerinnenaustausch nach Leipzig zur gleichaltrigen Lena (Josefa Heinsius) und ihrer Mutter Susanne (Nina Hoss). Deutsch spricht sie kaum und sie traut es sich auch nicht, es zu lernen.
Zum Austausch ist sie nicht der Sprache wegen gekommen, sondern um den Problemen zu Hause in Straßburg zu entgehen. Kreuzunglücklich ist sie in Leipzig trotzdem - und dass Lena ihr anfangs unverhohlen zu verstehen gibt, dass sie nicht an dem Austausch interessiert ist, macht es nicht besser. Doch mit der Zeit tauen beide auf, es entsteht eine tiefe Verbundenheit und vielleicht sogar mehr.
Die Fremsprache, die Fanny lernt, ist also nicht Deutsch. Man könnte pathetisch sagen, dass es stattdessen die Sprache der Liebe ist. Wobei eine schöne Pointe ist, dass erste zärtliche Worte auf Deutsch gesprochen werden - dem Klischee entgegen, dass die universale Sprache der Liebe Französisch ist.
Man könnte auch fast genau so pathetisch sagen, dass Fanny die Sprache der Wahrheit zu lernen beginnt. Denn im Verlauf des Films wird immer offensichtlicher, dass sie ein Problem mit dem Erfinden kleinerer und größerer Lügen hat.
Oder man könnte ganz unpathetisch sagen, dass es um einen profanen Spracherwerb ganz anderer Art geht: Lena ist Aktivistin bei "Fridays For Future", kämpft gegen Rechtsextremismus und für soziale Gerechtigkeit. Das Vokabular, die Argumente und die Denkweise dieser linken Szene versucht Fanny sich nun einzuverleiben.
"Langue Étrangère" hat ein entscheidendes Problem: Regisseurin Burger will zu viel erzählen. Der Film ist zu vollgestopft mit Konflikten und Motiven, um irgendetwas davon wirklich überzeugend abbilden zu können. Es geht um das Erstarken der Rechten in Sachsen und dem Elsass, um Ostalgie, die europäische Idee und vieles mehr. Dazu wechselt der Film für das letzte Drittel auch noch nach Straßburg. Irgendwann verliert man da unweigerlich den Überblick.
Der gesamte Nebenstrang um Lenas ständig Weißwein trinkende Mutter Susanne und ihre Probleme etwa nimmt deutlich zu viel Raum ein. Das gilt vor allem für eine lange Szene, in der eine Familienfeier völlig aus dem Ruder läuft. Das ist schade, denn für sich genommen, ist das gut inszeniert und Nina Hoss spielt Susannes Eskalation mit herrlich komischer Trockenheit. Aber die Szene macht schlicht mehr Fässer auf, als jemals in einem Film getrunken werden könnten.
Dass der neue Film so ausufert ist noch bedauerlicher, wenn man Burgers Langfilmdebüt "Party Girl" über eine ältere Bar-Hostess auf der Suche nach der Liebe kennt. Dann weiß man nämlich, wie konzentriert und immersiv sie eine Lebenswelt abbilden kann. Wenn sie sich in "Langue Étrangère" auf ihre beiden Hauptfiguren konzentriert, zeigt sie, dass sie es grundsätzlich immer noch kann. Wenn die beiden in den Mittelpunkt treten, wenn sie im Whirlpool im Leipziger Garten sitzen oder von Pilzen zugedröhnt auf einer Straßburger Wiese liegen, beginnt der Film zu leuchten. Dann bekommt man ein Gefühl dafür, wie schön er hätte sein können.
Sendung: 20.02.2024, rbbKultur, 09:06 Uhr
Beitrag von Fabian Wallmeier
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