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Berlinale-Wettbewerb | "The Empire" und "Suspended Time"

Zwischen Außerirdischen und zurück im Lockdown

Zwei französische Filme, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Olivier Assayas schickt eine launige Lockdown-Miniatur in den Berlinale-Wettbewerb, Bruno Dumont eine sehr originelle Science-Fiction-Satire. Von Fabian Wallmeier

Wie stellt man sich dem Corona-Lockdown? Nimmt man ihn eher als willkommenen Stillstand wahr, der beruhigend wirkt, weil man nun nicht mehr öffentlich funktionieren muss? Oder ist er vor allem ein Angriff auf unsere Freiheit? Die Brüder Paul und Etienne bilden in Olivier Assayas' "Suspended Time" diese beiden Pole ab. Filmemacher Paul (Vincent Macaigne) lebt gern zurückgezogen auf dem Lande im geräumigen, von herrlichster Natur umgebenen Haus der verstorbenen Eltern. Musikjournalist Etienne (Micha Lescot) hingegen ist hier nur mehr oder weniger gestrandet.

Mehrere Wochen im Frühling 2020 verbringen die beiden und ihre Freundinnen nun in dem Haus, wobei der Film seinen Fokus klar auf Paul setzt. Das Leben der vier ist in vielen Teilen ein akkurates Abbild unserer alten Lockdown-Wirklichkeit - mit dem großen Unterschied natürlich, dass nur die wenigsten diese Zeit zu so luxuriösen Bedingungen in so malerischer Kulisse verbracht haben dürften.

Mit der Außenwelt sind sie über weite Strecken nur per Video-Chat verbunden. Paul zoomt mit seiner Tochter und seiner Therapeutin, Etienne versucht, sich ein behelfsmäßiges Radiostudio einzurichten und kämpft mit der Technik.

"Ich respektiere die Kühlkette"

Einige der Diskussionen und Mutmaßungen über das richtige Verhalten in der Pandemie kommen einem beim Zusehen schmerzhaft vertraut vor: Der ängstliche Paul ist überzeugt, dass all die Pakete, die er sich liefern lässt, vier Stunden draußen stehen müssen, bevor man sie anfassen kann, ohne sich zu infizieren. Etienne dagegen bringt seine Einkäufe lieber gleich ins Haus. "Ich respektiere die Kühlkette."

Es ist auch diese Mischung aus Angespanntheit und Humor, die Assayas' Lockdown-Film durchzieht. Selbst das unfassbare Namedropping aus Literatur, Philosophie, Musik und Film, das die endlosen Gespräche bestimmt, lässt sich so beinahe augenzwinkernd lesen. Denn vier Intellektuelle in pittoresker Kulisse auf dem Lande, die den ganzen Tag reden - das ist natürlich auch ein Klischee einer bestimmten Art des französischen Kinos. Der Film bedient es und ist sich der Abgehobenheit und der ihr inhärenten Lächerlichkeit zugleich sehr bewusst.

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Hypernervös und unsympathisch

Paul ist Olivier Assayas und ist es nicht: Einige biografische Angaben teilen Regisseur und Figur sich. Tatsächlich hat auch Assayas eine Tochter mit einer Ex-Frau, tatsächlich hat er einen Bruder, der Musikjournalist ist. Doch in Gestalt von Vincent Macaigne wird daraus eine lustvoll überzeichnete, hypernervöse und unsympathische Figur, wie nur Macaigne sie spielen kann.

Unterbrochen werden die Spielszenen von Aufnahmen des Hauses und seiner Umgebung, zu denen Assayas selbst aus dem Off die Erzählerrolle einnimmt. Sie bremsen den Film ein bisschen und sollen ihn wohl auf eine höhere Ebene heben. Die braucht der Film aber gar nicht, denn er ist auch ohne sie eine launige Lockdown-Betrachtung. Nicht viel mehr als eine Fingerübung, aber eine unterhaltsame.

"The Empire" von Bruno Dumont: Nochmal Provinz - aber mit Raumschiffen

Auch Bruno Dumonts Wettbewerbsbeitrag spielt in der französischen Provinz. Das ist dann aber auch wirklich das Einzige, das ihn mit "Suspended Time" verbindet. "The Empire" ist eine Science-Fiction- und Religion-Satire der ganz besonderen Sorte.

In einem verschlafenen Dorf an der Küste steht ein Teil der Bewohner:innen im Bann zweier außerirdischer Imperien. Ein Kind ist geboren wurden, in dem beide Imperien den sogenannten Margat erkennen: eine religiöse Führerfigur für die einen, eine Art Satan für die anderen. Ein Kampf wirft seine Schaffen voraus, der ultimative Kampf um Gut und Böse und das Schicksal der Menschheit.

Von außerirdischen Mächten ferngesteuert

Die ersten paar Minuten lang scheint der Film nur in der einfachen, wenn auch malerisch schönen Küstendorf-Welt zu spielen. Dann passieren plötzlich seltsame Dinge, die im Dorf schon zur Normalität gehören, für die Zuschauer:innen aber neu sind. Da knien Menschen plötzlich, von außerirdischen Mächten ferngesteuert, vor dem Kind nieder. Und eine Autofahrt nimmt eine vollends unerwartbare Wendung.

Dumont zieht die große Komik seines Films daraus, dass er dem hohen Ton des Apokalyptischen die pragmatische Gewitztheit, aber auch die unverhohlene Tumbheit der Dorfbewohner:innen an die Seite stellt. Da ist die Rede von Majestäten und Gottheiten, Rittern und Gebieterinnen. Und da sind die vier Haupftfiguren in einer gänzlich unglamourösen Allzumenschlichkeit.

Fischer Jony ist der Vater des Margats, Neudorfbewohnerin Line wird zu seiner Verbundenen - und der Verbundenen der dunklen außerirdischen Macht. Der zottelbärtige Ruby und seine zupackende Freundin Jane sind dagegen der hellen Macht ergeben. Es ist ein großes Vergnügen, wie diese vier mit großem Ernst und herrlich ausgestellter Ungelenkheit durch die wahnwitzige Geschichte stolpern.

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Weltraum-Versailles und Kathedralen

Großartig ist auch das Produktionsdesign, vor das allem das der Raumschiffe, zu denen die Irdischen immer wieder gebeamt werden, um Befehle zu empfangen. Die helle Macht residiert in Form von Lichtgebilden in einem Schiff aus aneinandergereihten großen und kleinen Kathedralen, die dunkle in Form von schwarz glänzenden Blobs an Bord einer Art Weltraum-Versaille samt Schlossgarten. Allein um den Einfallsreichtum dieser Welten zu genießen, lohnt sich schon der Gang ins Kino.

Wie der Kampf zwischen Gut und Böse ausgeht und was hier nun eigentlich gut und böse ist, wird natürlich nicht verraten. Nur so viel: Es kommt anders als gedacht. Das ist nur folgerichtig bei einem Film, der vordergründig den großen Fragen nachgeht - aber bei Licht betrachtet doch vor allem dem Spinnerten huldigt. Sehr originell und sehr sehenswert.

Sendung: rbb24 Inforadio, 19.02.2024, 08:54 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

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