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Video: rbb|24 | 14.02.2025 | Quelle: imago images

Berlinale-Special | "A Complete Unknown"

Eine Dylan-Aneignung, aus der tiefes Verständnis spricht

Timothée Chalamet hat am Freitag seinen Dylan-Film "A Complete Unknown" auf der Berlinale vorgestellt. Ein solides Biopic über die Anfänge des Musikers - mit einer spektakulären Leistung des Hauptdarstellers. Von Fabian Wallmeier

Die Plattennadel setzt auf, wir hören eine Gitarre und schließlich Woody Guthrie: "It's been good to know you", singt er. Dann fängt es an zu rumsen und zu dröhnen. Ein lärmendes Auto kommt in New York an. Es hält kurz an und spuckt einen jungen Mann mit verwuschelten Haaren und einem Gitarrenkoffer in der Hand in die Stadt aus: Es ist 1961 und Bob Dylan ist in New York gelandet.

So beginnt James Mangolds "A Complete Unknown", der am Freitag auf der Berlinale seine Deutschlandpremiere gefeiert hat. Der Film begleitet Dylan (ziemlich spektakulär dargestellt von Timothée Chalamet) von seinen Anfängen im Folk über seine ersten Platten und den Aufstieg zum Star bis zum legendären Bruch mit der Szene, als er 1965 beim Newport Folk Festival mit elektrischer Gitarre auftrat und ausgebuht wurde. In einer Mischung aus Trotz und unbedingter künstlerischer Autonomie steht Dylan da mit der E-Gitarre auf der Bühne, treibt seine Mitspieler an, noch lauter zu werden. Schließlich brettert er, nach einer durchgrübelten Nacht, auf dem Motorrad davon, in die nächste Phase seines Werks.

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Staffelstabübergabe an die nächste Generation

Der Szene, der er am Ende des Films entwächst, ist Dylan zunächst eng verbunden: Woody Guthrie ist einer seiner großen Helden - und sein erstes Ziel in New York (oder vielmehr, wie sich dann herausstellt, in New Jersey), ist das Krankenhaus, in dem Guthrie schwer angeschlagen, in der Bewegung eingeschränkt und nicht mehr in der Lage zu sprechen, liegt. Dylan singt ihm einen Song vor - und Guthrie donnert seine Faust gegen das Metall seines Nachttischs. Ein Zeichen der Bewunderung - und, so suggeriert der Film ziemlich eindeutig: eine Staffelübergabe an die nächste Generation der Folkmusik.

Jemanden zu imitieren, ohne ihn zu parodieren, ist keine leichte Aufgabe. Genau den Ton zu treffen, der die Zuhörer:innen verblüfft aufhorchen lässt, die imitierte Person aber nicht ins Lächerliche zieht. Der frühe Bob Dylan gehört sicherlich zu den meistparodierten Musiker:innen überhaupt. Das nasale, immer leicht beleidigt wirkende Quäken, das Verschlucken und eigentümliche Phrasieren einzelner Wörter, das leiernde Hoch- und wieder Herunterziehen der Tonlage um die vorgesehene Note herum, das plötzliche Kieksen - all das ist leichte Beute für Parodist:innen. James Austin Johnson zum Beispiel, der in "Saturday Night Live" Donald Trump spielt und in "A Complete Unknown" eine winzige Nebenrolle als Moderator hat, beherrscht das Dylansche Phrasieren (übrigens auch die späteren Veränderungen von Dylans Stimme) bis ins Detail perfekt. Aber es bleibt eben immer eine, wenn auch begnadete, Parodie.

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Den Früher-Dylan-Ton haargenau getroffen

Umso verblüffender ist, was Timothée Chalamet hier gelingt. Er trifft den Früher-Dylan-Ton haargenau, aber man hat nie das Gefühl, dass er Dylan der Lächerlichkeit preisgibt. Er versucht auch nicht, den Gesang auf den einzelnen Songs bis in jedes Detail zu kopieren, sondern mit dem gefundenen Dylan-Ton eignet er sie sich an und macht sie zu etwas eigenem. Aus dieser Verwandlung spricht ein wirklich tiefes Verständnis. So macht es tatsächlich Spaß, Chalamet dabei zuzusehen und zuzuhören, wie er all sich die bekannten Hits erarbeitet, die viel Raum im Film einnehmen: "Blowin' in the Wind", "It Ain't Me Babe", "Like a Rolling Stone" und viele mehr.

Über die Art, wie er diesen Dylan-Ton auch auf sein Sprechen überträgt, lässt sich schon eher streiten. Da kippt das Keifen und Nuscheln schon eher ein bisschen ins Parodistische.

Bemerkenswert ist dagegen dann wieder, wie er mit Mimik und Gestik seinen eigenen Dylan erschafft. Ob er wirklich immer so schluffig und linkisch durchs Leben gegangen ist, um dann auf dem Motorrad davonzubrettern? Kann schon sein, vielleicht aber auch nicht - und es ist auch vollkommen egal. Denn man sollte nicht dem Missverständnis erlegen, dass ein Film wie dieser darauf bedacht ist und dass es seine Aufgabe ist, eine Kopie der Wirklichkeit abzubilden. Biopics brauchen Verdichtung, Verschiebung, Akzentuierung, schlicht künstlerische Freiheit der Filmemacher:innen, um atmen zu können.

Es muss dabei ja nicht gleich eine so eigenwillige Aneignung und Interpretation der Personen geschehen, wie Pablo Larraín das mit seinen meisterlichen Filmen über Lady Diana ("Spencer"), Jackie Kennedy ("Jackie") und Pablo Neruda ("Neruda") gelungen ist (sein neuester Film, "Maria", mit Angelina Jolie als Maria Callas ist gerade im Kino angelaufen). Aber ein Biopic, das keinen Wert auf eigene Akzente legt, wäre schlicht langweilig.

Hauptdarsteller Timothee Chalamet bei der Premiere seines Films "A Complete Unknown" auf der Berlinale | Quelle: dpa/Christoph Soeder

"You're full of shit"

Bei Dylan kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Um seine Herkunft und überhaupt sein Leben ranken seit jeher Mythen, immer wieder gestreut von ihm selbst. Der wahre Robert Zimmermann, so sein bürgerlicher Name, ist in Teilen immer ein Geheimnis geblieben oder vielmehr eine Projektionsfläche für Fabeln und Interpretationen. "You're full of shit", wirft Joan Baez (Monica Barbaro) ihm lachend entgegen, als er von seiner Vergangenheit in einem Zirkus fabuliert.

So ist auch die Szenerie, durch die die Figuren laufen, sicher keine realistische, sondern eine überzeichnete, idealisierte. Selbst die schäbigeren Teile von New York leuchten und pulsieren voller Leben: Aus jedem Haus dringt Musik, wenn Dylan durch die Straßen geht, Essensdämpfe steigen auf und überall unterhält man sich auf- und angeregt. Und im bildschönen Newport, wo alljährlich das Folk Festival steigt, scheint immer schön und warm die Sonne.

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Pete Seeger: Übergute Vaterfigur

In diesen Reigen des Überzeichneten, fast schon zu Schönen, reiht sich auch die größte Nebenfigur ein: Edward Norton spielt den Folk-Sänger Pete Seeger ("Where Have All the Flowers Gone"). Ihn trifft er zu Beginn an Guthries Krankenbett. Selig lächelnd merkt er gleich, war für ein Talent er in Dylan vor sich hat, als der Guthrie einen Song vorspielt. Selig lächelnd bleibt er auch den Rest des Films. Väterlich sanftmütig wird er zum duldsamen, unendlich gütigen Freund und Förderer Dylans. Auch als dessen Bruch mit der Folk-Szene bevorsteht, versucht er noch die Wogen zu glätten. Und als der Bruch dann vollzogen ist, schaut er zwar ein bisschen traurig, doch als Zuschauer:in weiß man: Er wird Dylan selig lächelnd weiter zur Seite stehen, wenn der es will.

Vor 20 Jahren hat James Mangold schon einmal einem großen Musiker ein Biopic gewidmet: Im braven, angenehm menschelnden "I Walk the Line" spielt Joaquin Phoenix Johnny Cash. Der Country-Sänger taucht auch hier wieder auf, als einigermaßen liebevolle Karikatur. Im Gegensatz zu Dylan längst an den Ruhm gewöhnt, gleitet dieser ältere Johnny Cash dauerbesoffen durch den Film und gibt Dylan sehr lässige Ratschläge.

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Frauenfiguren rein funktional

James Mangold interessiert sich nicht nur für die künstlerische Entwicklung und schließliche Abkehr vom traditionellen Folk in den vier Jahren seines Films, sondern auch für seine Frauengeschichten. Doch dieser zweitwichtigste Aspekt des Films gerät etwas schablonenhaft: Im Kern geht es um die Rivalität von Sylvie (Elle Fanning) und Folk-Star Joan Baez - die allerdings nur von Sylvie als solche wahrgenommen wird. Die bleibt dann auch in ihrer Annäherung an und Loslösung von Dylan eine rein funktionale, blasse Figur, während Baez als auch musikalische Partnerin etwas weniger eindimensional gerät.

Timothée Chalamet dabei zuzuschauen, wie er sich den jungen Dylan einverleibt und ihn zu seiner eigenen Figur macht, ist auch dennoch ein Vergnügen. Er spielt hier ohne Zweifel die bisherige Rolle seines Lebens. Den Oscar, für den er nominiert ist, wird er wohl trotzdem nicht bekommen - der gebührt Adrien Brody für seine brillante Schmerzenstour in "The Brutalist". Aber man darf gespannt sein, wo das nächste Mal das Auto anhält und Chalamet in die nächste Filmwelt und die nächste Rolle wirft. Mit etwas Glück ist es nicht "Dune 3", sondern wieder eine Rolle vom Format von Bob Dylan.

Sendung: Radioeins, 14.02.2025, 20:20 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

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