Interview | Alice Brauner
Der Amnesty-Filmpreis zeichnet einen Film aus, der die Thematik Menschenrechte besonders gut beleuchtet. Ein Gespräch mit Jury-Mitglied Alice Brauner über die politische Dimension des Festivals und warum sie trotz Kriegen und Krisen optimistisch bleibt.
Rbb|24: Frau Brauner, als Teil der Amnesty-Jury suchen Sie aus 18 Beiträgen einen Gewinner-Film aus, der das Thema Menschenrechte in einem besonders gelungenen Maße darstellt. Wie ist bislang Ihr Eindruck von den Filmen auf der Berlinale?
Alice Brauner: Grundsätzlich sind die Beiträge sehr unterschiedlich – auch von der Qualität her. Ich war bislang sehr berührt von dem iranischen Film "My Favorite Cake". Es geht darin um zwei ältere Menschen. Wir reden über die Diskriminierung von Homosexuellen, wir reden über Diskriminierung von Schwarzen, aber wir reden nicht über Altersdiskriminierung. Dieser iranische Film hat gezeigt, wie man in einer sehr schönen und persönlichen Geschichte die politischen Probleme des Landes zeigen kann. Und zwar anhand älterer Menschen, denen man so gerne zuschaut. Eine herzergreifende Geschichte.
Es herrschen derzeit auf der ganzen Welt Krisen, vielerorts werden Menschenrechte verletzt. Welche Bedeutung hat der Amnesty-Preis in diesen Zeiten?
Der Preis lenkt die Aufmerksamkeit auf Themen, die wirklich relevant sind und die man nicht auf dem Schirm hat. Insofern finde ich diesen Amnesty International Filmpreis besonders. Ich habe mich am Anfang aber schwergetan mit dem Eintritt in die Jury, weil ich ein Problem mit dem Umgang von Amnesty mit Israel habe.
Können Sie das erläutern?
Ich hatte das Gefühl, dass das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung bedeutend mehr in den Vordergrund rückt als das der israelischen Geiseln. Da wird Leid gegen Leid aufgewogen, in numerischer Art und Weise. Sprich: Es sind viel mehr palästinensische Menschen in der Zivilbevölkerung ermordet worden als Israelis. Aber Leid ist Leid. Das haben wir diskutiert und man hat meine Meinung gehört. Das finde ich toll, dass wir jetzt durch diese Jury-Arbeit eine Chance haben, auch den Fokus darauf zu legen, dass Antisemitismus bei Amnesty im Prinzip eine Leerstelle ist.
In den vergangenen Monaten sind antisemitische Angriffe stark angestiegen, die Polarisierung in Bezug auf den Nahostkonflikt nimmt zu. Wie erleben Sie als Jüdin die politische Lage in Deutschland?
Es ist echt erschütternd. Im Kreise der Familie fragt man sich, ob man auswandern sollte. Aber nein, ich bin eine Kämpfernatur. Ich werde nicht auswandern. Ich habe ein Recht, hier zu leben. Ich tue niemandem etwas.
Sie haben in einem Interview mal über sich selbst gesagt, dass Sie von Grund auf optimistisch sind. Ist das noch immer so?
Es liegt in meiner DNA. Meine Eltern überlebten den Holocaust und waren optimistisch bis zum Ende. Diese Kraft kommt von meinen Eltern. Und ich bin überzeugt davon: Wenn man Gutes gibt, kommt Gutes wieder zurück. Und das ist meine Lebenseinstellung. Ich kann die Weltpolitik nicht ändern, aber ich kann in meinem kleinen Umfeld versuchen, positiv einzuwirken, anständig zu bleiben und das auch weiterzugeben.
Wie bewerten Sie den Umgang der Berlinale mit der aktuellen politischen Situation – sowohl im Hinblick auf den Nahostkonflikt als auch auf die AfD?
Beim Nahostkonflikt hat die Berlinale beide Seiten aufgezeigt. Besseres kann sie da nicht tun. Die Berlinale muss offen für den Dialog sein. Was die AfD angeht: Ich hätte dafür gesorgt, dass es gegen die AfD einen Protest auf dem roten Teppich gibt – wenn sie gekommen wäre. Aber ich hätte sie nicht ausgeladen. Das ist immer so ein letztes Mittel, eine Bankrotterklärung. Wenn man die Partei jetzt über mehrere Jahre prüft und sieht, dass ein Verbot vertretbar ist, dann bin ich dafür. Aber prüft es erst mal. Und solange das nicht klar ist, setzt euch demokratisch mit der AfD auseinander.
Haben Sie den Eindruck, dass die Berlinale in diesem Jahr politischer ist als sonst?
Die Filme waren schon immer politisch. Aber von der Stimmung her habe ich wirklich das Gefühl, dass es eine extrem politisierte Berlinale ist. Das ist eine schwierige, manchmal auch aggressive Stimmung. Ich komme auf Empfänge und dann stehen da Frauen, die irgendwann mal in die Zeitung wollen, und ihre Hände hochhalten, auf denen "Ceasefire now" steht. Bedingt ist diese Stimmung natürlich durch die Konflikte, die wir überall auf der Welt haben, und durch die Stimmung im Land, durch die AfD.
Das Führungsduo der Berlinale Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian verabschiedet sich nach dieser Berlinale. Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Festivals?
Grundsätzlich wünsche ich mir, dass es wirklich ein bisschen mehr um Filmkunst geht. Ich glaube, das hätte auch dieser Berlinale sehr gutgetan. Ich habe das Gefühl, dass man in Cannes oder in Venedig den Film als Film viel mehr zu schätzen weiß – und nicht nur die Aussage des Films. Außerdem würde mir auch ein bisschen mehr Glamour wünschen. Ich kenne es noch von meinen Eltern, die Fotos aus den 1960er-Jahren, meine Mutter mit den Kleidern, wie elegant sie war! Und ehrlich gesagt, ist das auch eine Ehrerbietung.
Sie sprechen Ihre Eltern an – Ihr Vater Artur Brauner wurde mehrfach für seine Filme und sein Lebenswerk als Filmproduzent auf dem Festival ausgezeichnet. Wie fühlt es sich an, bei einem Festival mitzuwirken, das auch in Ihrer Familiengeschichte eine Rolle gespielt hat?
Es gibt eine große Verbindung zur Berlinale. Und es gibt auch eine tiefe Verbindung zu Amnesty. Mein Vater hat den Amnesty International Menschenrechtspreis bekommen, den ich damals für ihn abgeholt habe. Er hat sich sehr geehrt gefühlt. Für mich ist es eine große Ehre, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten. Ich wäre bei der Berlinale auch gerne mit einem Film dabei gewesen – aber das wird noch kommen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Sendung: Mit Alice Brauner sprach Marie Röder, rbbKultur.
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