Interview | Andreas Dresen
In seinem aktuellen Wettbewerbsfilm "In Liebe, eure Hilde" blickt Andreas Dresen auf das Leben der 1943 ermordeten NS-Widerstandskämpferin Hilde Coppi. Was hat ihn ausgerechnet an diesem Stoff interessiert?
rbb: Andreas Dresen, war es jetzt für Sie an der Zeit, einen Film über die NS-Zeit zu machen?
Andreas Dresen: Also, der Film kam zu mir als Geschenk, weil Laila Stieler [Anm.d.Red.: Drehbuchautorin, mit der Dresen regelmäßig zusammenarbeitet] eigentlich ein Projekt fürs Fernsehen realisieren wollte - einen Mehrteiler über Frauen im Widerstand. Der Film über Hilde Coppi war das Pilotprojekt. Alle, die das gelesen haben, haben aber gesagt: Nee, das gehört ins Kino.
Laila hat mir damals das Drehbuch geschickt, und ich habe mich einfach in diese Figur verliebt, das war weniger eine politische Absicht. Die Figur hat mich so gerührt, weil sie eine Frau ist, die von sich niemals behaupten würde, sie sei eine Widerstandskämpferin. Und sie sind proletarische Helden. Hans Coppi, ihr Mann, ist Dreher. Hilde Coppi ist erst ärztliche Assistentin, dann Sekretärin bei der Reichsversicherungsanstalt. Das sind Leute, die ihrem Herzen gefolgt sind, indem sie der Meinung waren, sie müssen sich gegen eine gesellschaftliche Politik richten.
Was interessierte Sie konkret daran, einfache Menschen im Widerstand zu ihren Filmheldinnen und -helden zu machen?
Wir sind in der DDR immer mit pathetischen Heldenfiguren groß geworden, die waren so überhöht, da hat man sich immer so klein gefühlt. Und man sich dann gesagt hat, die sind so mutig, das könnte ich nie. Ich glaube, dahinter steckte auch politische Absicht, damit wir eben keinen Widerstand leisten. Ich fand das schön, dass wir jetzt von Menschen erzählen können, die nicht so weit weg sind von uns. Die auch nicht rund um die Uhr Widerstandskämpfer waren, sondern die haben gezeltet, die haben sich geliebt, die haben Kinder bekommen. Das waren junge Menschen, die eine Familie gründen wollten. Und die Gesellschaft hat sie durch die Art, wie die Politik betrieben wurde, in gewisser Weise daran gehindert. Und dann sind sie tätig geworden. Das fand ich superspannend, weil die mir dann plötzlich so nah sind. Das finde ich wichtig, dass man diese Menschen nicht entrückt, sondern sagt: Nein, das könnte auch ich sein. Ich kann das auch.
War Ihnen wichtig, genau das zu zeigen - wie Anstand geht?
Ja, von anständigen Menschen erzählen, die einem einen Kompass geben. Die Welt, in der wir uns befinden, ist in einem sehr desolaten Zustand. Und hier sind Leute, die in einer Welt leben, die noch viel desolater war, und viel schwieriger, die aber einen Kompass haben. Und dieser Kompass ist ihr Herz und ihr Anstand, dem sie folgen. Das ist ihre Basis zum Handeln und das finde ich superwichtig. Davon kann man viel lernen. Und indem man diese Menschen so zeigt, dass sie einen ganz normalen Alltag leben, kann man sich vielleicht ein bisschen in ihnen wiederfinden.
Was bedeutet es für Sie, dass der Film im Wettbewerb läuft?
Ich freue mich riesig. Das ist eine der größten Bühnen, die einem Film geboten werden kann. Und das ist jedes Mal auch fürchterlich aufregend für mich, auch zwiespältig, weil ich dann auf diesen Teppich muss. Und das ist so gar nicht meins. Aber für den Film ist es natürlich superschön. Ich hoffe einfach, dass er auf gute Resonanz stößt, und viele Menschen nachdenklich macht. Er erscheint jetzt in einer Zeit, die sehr politisiert ist. Das haben wir nicht gewusst, als wir den Film gemacht haben. Aber jetzt ist es so, und insofern ist es vielleicht auch der richtige Film zurzeit.
"In Liebe, Eure Hilde" ist der fünfte Film von Ihnen, der im Wettbewerb läuft. Sie waren auch bereits Mitglied und Präsident der Internationalen Jury der Berlinale. Guckt man da anders darauf, wie die Bären verteilt werden?
Ehrlich gesagt: Filme zu vergleichen ist wie Äpfel und Birnen zu vergleichen. Das ist ganz schwierig, es ist was sehr Geschmäcklerisches. Es kann durchaus sein, dass bei zwei verschiedenen Jurys völlig andere Filme gewinnen könnten. Ich weiß auch noch von unseren damaligen Jurydiskussionen, wie hoch es hergehen kann. Am Ende ist das auch ein bisschen Glückssache. Es gibt keine objektive Bewertung über Kunst. Wie soll das auch gehen, was sollte das Kriterium sein? Das ist immer der ganz subjektive Geschmack von Menschen. Und in sofern freut man sich, wenn man was gewinnt. Und wenn nicht, ist das auch kein Weltuntergang. Dann gewinnen andere, und die freuen sich genauso und haben es auch verdient.
Ich freue mich, dass wir dieses Podium haben und diese schöne Vorführung auf der riesigen Leinwand - und jetzt auch endlich wieder vor 1.800 Leuten. Jetzt ist der Palast wieder voll. Als ich vor zwei Jahren da war mit "Rabiye Kurnaz vs. George W. Bush", war der Saal halbiert. Man spürt während einer Filmvorführung, wie der Saal atmet. Also, ob er bei dem Film ist oder nicht. Das ist eigentlich mit das Spannendste für mich. Wenn ein Film zum ersten Mal gezeigt wird, das ist wie eine Geburtsstunde.
Was wünschen Sie sich für den Film?
Ich wünsche mir, dass der Film die Herzen und die Köpfe der Menschen erreicht. Gerade in diesen Zeiten. Dass sie berührt sind von dieser Frau, von dem, was sie gemacht hat, was sie sich getraut hat. Von ihrer Herzlichkeit, von ihrer Liebe. Und dass die Menschen ein bisschen was von dieser Liebe, die sie auf der Leinwand sehen können, hoffentlich mit in ihren Alltag nehmen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Mit Andreas Dresen sprach Julia Baumgärtel. Das Interview würde gekürzt und leicht bearbeitet.
Sendung: rb24 Brandenburg Aktuell, 17.02.2024, 19:30 Uhr
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