Berlinale Kamera für Edgar Reitz
Die Berlinale ehrt einen stillen Star des deutschen Kinos: Regisseur Edgar Reitz bekommt die Berlinale Kamera. Weltweit bekannt wurde der 91-Jährige mit dem Serien-Epos "Heimat". Auch mit 91 Jahren ist für Reitz noch lange nicht Schluss. Von Peter Beddies
Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich im Hause Reitz bereits viele Preise angesammelt: "Ich habe ein Regal, da stehen sie alle nebeneinander", sagt der 91-jährige Filmemacher. "Es ist ein ganzer kleiner Wald, und es gibt einige, die vergisst man nie. Wobei es die Höhepunkte des eigenen Weges markiert".
Zu seinen Auszeichnungen gehören zahlreiche Deutsche Filmpreise, ein Silberner Löwe beim Filmfestival von Venedig sowie mehrere Grimme-Preise - und nun auch die Berlinale Kamera. Reitz, der seit den 50er-Jahren im Filmgeschäft tätig ist, mag eigentlich keine Preisverleihungen: "Ich bin nicht für das Große. Ich bin glücklich in meiner Wohnung und noch glücklicher, wenn ich etwas arbeiten kann."
Und arbeiten - das machte er auch noch mit 91 Jahren. Nach Berlin hat er sein neues Werk "Filmstunde_ 23" mitgebracht, die Berlinale zeigt es nach der Preisverleihung. Darin erzählt er von einem besonderen Filmprojekt: 1968 hatte er in der Schule seiner Tochter Grundlagen des Films unterrichtet und sich dabei filmen lassen. Bis heute sind die ehemaligen Schülerinnen - mittlerweile Seniorinnen - filmbegeistert und erzählen davon.
Mit der Berlinale Kamera ehrt ihn nun die Festivalleitung "als einen der einflussreichsten Filmemacher seiner Generation, der ein Werk geschaffen hat, das für immer ein Meilenstein in der Geschichte des Kinos bleiben wird".
Gemeint ist die über 50-stündige "Heimat"-Reihe, die überwiegend im fiktiven Hunsrück-Dorf "Schabbach" spielt. Wie blickt er jetzt auf dieses Werk, am Lebensabend? "Als richtig empfinde ich immer, dass man alles, was man im Leben getan hat, mit einer Sinngebung verbinden kann. Und das Erzählen dieser Geschichte hat mir einen Lebenssinn gegeben", sagt er.
Die drei Teile der "Heimat"-Serie wurden 1984, 1992 und 2004 ausgestrahlt. Das Besondere: Die Trilogie fasst das ganze 20. Jahrhundert zusammen. Zwar startet das Mammutprojekt im Hunsrück, aber dann geht es in ganz Deutschland weiter, in Ost und West, später sogar in Übersee.
Heimat - dieser Begriff hatte über die Jahrzehnte hinweg nicht unbedingt den besten Klang, sagt auch Reitz. "Das Wort 'Heimat' war zeitweise vergiftet in unserer deutschen Geschichte". Er habe es durch die Serie "wieder konsumierbar" machen wollen oder "zum Bestandteil wichtiger und guter Erfahrungen, die Weitergabe von Lebenserfahrung. Das musste erst erobert werden und geht immer wieder verloren. Zurzeit gibt es wieder politische Kräfte, die versuchen, sich sowas anzueignen und es den Menschen wieder wegzunehmen."
Wenn man das Alter eines Edgar Reitz erreicht hat – im Herbst wird der 92 Jahre alt – darf ein Blick zurück nicht fehlen. Selbst wenn er schonungslos offen ausfällt. Reitz gehörte Ende der 60er-Jahre, zu denen, die "Opas Kino" beerdigt hatten. Auch am heutigen deutschen Film lässt er kaum ein gutes Haar - und das fängt schon bei der Ausbildung an: "Was ich mit sehr großem Erstaunen oder Schmerz sehe ist, dass die an den Filmhochschulen lernen, wie man Anträge bei der Förderung stellt. Das ist Teil der Ausbildung. Das ist eine Pervertierung der gesamten Filmkunst, die damit verbunden ist. Also die Freiheit, die wir uns mal erkämpfen wollten, in den 60er-und 70er-Jahren, ist längst wieder weg".
Edgar Reitz mag in die Jahre gekommen sein. Aber noch ist der Begriff Ruhestand nichts für ihn. "Es gibt sozusagen aus diesem Blickwinkel, den ich mir erobert habe, immer wieder Neues zu erzählen".
Sendung: rbb24 Inforadio, 22.02.2024, 14:55 Uhr
Beitrag von Peter Beddies
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