Neue Berlinale-Chefin Tricia Tuttle
Die alte Festivalleitung geht, die Neue kommt. Ab April übernimmt Tricia Tuttle die Intendanz. Was bringt die gebürtige US-Amerikanerin mit für die Berlinale? Von Gabi Biesinger
Dass sie in ihrem Leben etwas mit "Film" machen wollte, wusste Tricia Tuttle schon früh, in ihrer Heimat in North Carolina, USA. Als Teenagerin in den 1980er-Jahren trieb sie sich in Kinos in Einkaufscentern und Videotheken herum. Ihr Vater war Western-Fan und liebte harte Männer-Filme, erinnert sie sich. "Er nahm mich mit ins Kino zu allem, Horrorfilme, Humphrey Bogart. Ich danke ihm für die Erfahrungen, aber Western mag ich ehrlicherweise bis heute nicht."
Mit 17 Jahren verkaufte Tuttle im örtlichen Kino Tickets, Popcorn, wies die Plätze an und begann kurz danach ein Filmstudium. Nach Abschlüssen in den USA und London folgten Stationen bei der British Academy of Film and Television, kurz BAFTA, und beim British Film Institute BFI.
Von 2018 bis 2022 leitete Tuttle fünf Ausgaben des BFI London Film Festivals – und krempelte das Konzept erfolgreich um. Sie erweiterte das Programm um Fernsehserien oder Extended-Reality-Produktionen. Gleichzeitig lockte sie mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit mehr Zuschauer:innen an und ließ die Festivalbeiträge streamen oder auf Partnerveranstaltungen im ganzen Land zeigen. Die 53-Jährige leitete außerdem das London LGBTIQ+ Film Festival für Filme mit bi-, trans- und homosexuellen Inhalten. "Die Filmindustrie ist nicht einförmig. Man kann mit vielen Arten Filme zu machen, Erfolg haben. Und das schätze ich sehr", sagt Tuttle.
Ihr letztes London-Filmfestival 2022 eröffnete sie mit dem Musical-Film "Mathilda" und erklärte auf dem roten Teppich, warum: "Wir haben das Festival seit über zehn Jahren nicht mehr mit einer solchen Art von Film eröffnet. Wir wollen zeigen, dass das Festival für jeden etwas bietet. Und wie sollte das besser gehen als mit einem Stoff, den zehn Millionen Menschen weltweit gesehen haben.“
Tuttles Fünf-Jahres-Strategie bei der Festivalleitung führte nach Angaben des BFI im Vergleich zu 2019 zu einem Besucherzuwachs von 76 Prozent. Im Jahr 2021 kamen rund 40 Prozent des Publikums von außerhalb Londons, während es 2019 nur 10 Prozent waren. Und das, obwohl ihre Amtszeit in die Zeit der Corona-Pandemie fiel.
Sie sei freiwillig gegangen, sagt Tuttle. Sie habe nicht zu lange an einem Job kleben wollen sondern habe sehen wollen, wie andere Festivalteams ihn angehen.
Kommunikation und Kollaboration sind zwei Begriffe, die Tuttle immer wieder benutzt, und so definiert sie auch ihr Führungsverständnis. "Ein guter Chef trifft nicht alle Entscheidungen selbst, sondern holt gute Leute an Bord und vertraut ihnen, ihre Bereiche zu entwickeln."
Zu managen mache ihr besonders viel Spaß sagt Tuttle. Und sie scheint zu wissen, worauf sie sich mit einer Position wie der Berlinale-Intendanz einlässt: "Jeder, der in der Festivalbranche arbeitet, weiß, dass man eigentlich keine Chance zur Einarbeitung hat und alles mit einem Riesentempo vorangeht. Man macht tolle Pläne, dann kommt alles anders oder läuft schief, und man ist damit beschäftigt, darauf zu reagieren."
Als sie im Dezember in Berlin von Kulturstaatsministerin Claudia Roth überraschend als neue Chefin des Hauptstadt-Filmfestivals vorgestellt wurde, erklärte Tuttle, sie behalte ihre konzeptionellen Vorstellungen noch für sich, bis die Berlinale 2024 über die Bühne gegangen sei. Sie wolle ihrem Vorgängern Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian klugerweise nicht die Show stehlen. Ein paar Andeutungen machte sie dennoch: "Ich bin besonders leidenschaftlich, wenn es darum geht, dass Festivals inklusiv sind und wir neue Publikumsgruppen willkommen heißen können. In London war ich sehr stolz auf die "LFF for free" Initiative, bei der wir 50 Veranstaltungen rund ums London Film Festival bei freiem Eintritt angeboten haben. Sowas könnte ich mir in Berlin auch vorstellen. Aber im April kann ich dann mehr dazu sagen."
Wenn Tuttle dann in den kommenden Wochen ihre Pläne vorlegt, darf man auch gespannt sein, ob das Projekt mit dem "Deutsch lernen" Fortschritte gemacht hat. Bei ihrer Vorstellungspressekonferenz hatte sie damit kokettiert, in einem Jahr so gut Deutsch sprechen zu können, dass man sich über ihren Akzent lustig machen könne:
Sendung: rbbKultur, 23.02.2024, 18:47 Uhr
Beitrag von Gabi Biesinger
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