Berlinale-Filmkritik | "Introduction"
Ein junger Mann, der noch nicht ganz im Leben angekommen ist, friert, raucht, redet sich um Kopf und Kragen und trinkt Soju: Hong Sangsoo ist in seinem neuen Film "Introduction" etwas melancholischer als zuvor - aber nicht weniger meisterhaft. Von Fabian Wallmeier
Diese Rezension wurde am 02.03.21 erstveröffentlicht im Rahmen des digitalen Branchenevents der 71. Internationalen Filmfestspiele Berlin.
Wenn Mütter ihre Söhne ermahnen, sie mögen doch bitte endlich mal etwas Anständiges machen und ihren Weg ins Berufsleben finden, geht es dabei konventionell um grundsolide Jobs: Bankkaufmann, Anwalt, Schlosser, Arzt. Aber ganz sicher nicht um die Schauspielerei. Hier ist es anders: Im dritten und letzten Teil von Hong Sangsoos episodisch erzählten Film "Introduction" ist der junge Youngho (Shin Seokho) von seiner Mutter aus Seoul in ein Hotelrestaurant an der Küste beordert worden, um sich von einem alten Schauspieler die Leviten lesen zu lassen. Youngho hat das Schauspielen aufgegeben - er habe keine Kuss-Szene drehen wollen, weil er damals doch eine Freundin gehabt habe, gesteht er peinlich berührt. Seine Mutter zeigt dafür kein Verständnis.
Es ist eine dieser Szenen, die in unendlichen Variationen in fast jedem Film von Hong Sangsoo vorkommen: Beim Essen im Restaurant fließt zu viel Soju, jemand verliert die Contenance, und es wird herrlich peinlich. Hier fängt der alte Schauspieler irgendwann an zu lallen. Dabei hat er Youngho und dessen Freund, der ihn begleitet, gerade noch eindringlich ermahnt: "Wenn du trinkst, betrink dich nicht!" Nun brüllt er, selbst völlig aus der Fassung geraten: Was denn daran denn falsch sein solle, wenn man eine Liebesszene spielt, will er vom immer kleinlauter werden Youngho wissen. "Echt oder gespielt, es ist alles Liebe!"
Auch in den anderen beiden Teilen des mit 66 Minuten kürzesten Beitrag des diesjährigen Wettbewerbs zelebriert Hong seine Lehrstunden in fehlgeleiteter Kommunikation, im fahrig sich wiederholenden, wortreichen Aneinandervorbeireden. "Lange nicht gesehen" ist ein Satz, der immer wieder fällt. Um verebbende Gespräche zu beleben und gleich wieder im Keim zu ersticken. Denn was soll man schon darauf antworten außer: Mensch, lange nicht gesehen.
Dabei ist nicht zuletzt die Nicht-Kommunikation zwischen Eltern und Kindern ein Thema im Film. Youngho wartet im ersten Teil stundenlang auf seinen Vater, einen Arzt, der ihn angerufen und in die Praxis bestellt hat, um mit ihm etwas zu besprechen. Dem Vater scheint das nicht mehr so wichtig zu sein. Er schaut einmal kurz ins Wartezimmer, um dem Sohn kurz und desinteressiert mitzuteilen, dass er sich noch gedulden müsse. Was die beiden zu besprechen haben, bleibt für die Zuschauer*innen unklar. Überhaupt wird in "Introduction" vieles nur angedeutet, Hong arbeitet noch stärker als sonst mit Auslassungen. Manches kann man sich mit den Informationen aus allen drei Teilen im Kopf zusammenpuzzeln, doch einiges bleibt offen.
Der zweite Teil des Films spielt in Berlin. Youngho besucht dort seine Freundin, die ein Modestudium beginnen will. Nur einen Tag nach ihrer Abreise aus Seoul ist er ihr spontan hinterhergeflogen. Sehr zu ihrer Irritation - und erst recht zum Missfallen ihrer Mutter, die sie kettenrauchend durch ihre ersten Berliner Tage begleitet.
Hong interessiert sich nicht für Berliner Sehenswürdigkeiten oder sonstige Erkennungszeichen. Ein Kanal, eine Straße, eine Wohnung und eine Häuserfassade zeigt er, Orte, die so unspezifisch sind, dass sie überall sein könnten. Nur die Verkehrsschilder im Hintergrund und der deutsche Warnhinweis auf einer Zigarettenschachtel zeigen, dass wir uns gerade nicht in Seoul befinden.
Überhaupt das Rauchen: Nicht nur Youngho raucht in fast jeder Szene - so hat er wenigstens etwas zu tun, während seine Gespräche außer Kontrolle geraten. So auch beim Wiedersehen mit der Freundin, fröstelnd am Kanal.
Hong war schon oft im Berlinale-Wettbewerb, zuletzt im vergangenen Jahr: mit der leichtfüßigen, doppelbödigen Komödie "The Woman Who Ran". Doppelbödig ist auch sein neuester Film, doch die Grundstimmung ist deutlich gedämpfter, melancholischer. Das Wetter ist trist, ständig friert irgendjemand und auch die schwarz-weißen Bilder, die Hong diesmal als Kameramann selbst eingefangen hat, strahlen kein Stück Heimeligkeit aus.
Dennoch sind diese 66 Minuten reich an Leben: an Gesagtem und Nicht-Gesagtem, an Zaghaftigkeit und Zweifel, Ziellosigkeit und Aufbruch, Impulshaftigkeit und Scham. "Introduction" ist sicherlich nicht Hongs leichtester und zugänglichster Film - aber wieder einmal ein ausgesprochen guter.
Fazit: Drei Episoden aus dem Leben eines jungen Mannes auf der Suche: einmal in Seoul, einmal am Meer - und einmal in Berlin. Hong Sangsoos kurzer neuer Film "Introduction" ist melancholisch, subtil, streckenweise lustig - und ein weiteres Beispiel für die große Könnerschaft des koreanischen Berlinale-Dauergastes.
"Introduction" (Inteurodeoksyeon) von Hong Sangsoo, mit Shin Seokho, Park Miso, Kim Youngho, Ki Joobong, Seo Younghwa, Kim Minhee u.a., 66min, Republik Korea 2020
Beitrag von Fabian Wallmeier
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