Zurück in die Zukunft
Erst war es das Fernsehen, später das Internet, das für den Tod des Radios sorgen sollte. Doch trotzdem hat das Radio irgendwie überlebt. Wird es das auch in Zukunft? Ein Blick in die Zukunft - und zurück. Von Samuel Jackisch
Eine Kiste im Wohnzimmer, die ganz von allein Musik spielt und spricht: Anfangs sahen die Deutschen diese Erfindung noch sehr skeptisch. Die Geräte waren teuer, zusätzlich musste für die Nutzung des Rundfunknetzes eine Gebühr bei der Post entrichtet werden - und das ohnehin überschaubare Programm war auch noch staatlich kontrolliert.
Noch bis in die 50er Jahre hinein hielten es die Hersteller für nötig, Werbespots zu schalten, die erklärten, was ein Radio ist - und wozu man es überhaupt braucht. Gleichzeitig lief in Berlin der Deutsche Musikerverband Sturm, und rief zum Protest auf, gegen die "mechanische Musik aus Rundfunk und Grammophon", die zehntausende Arbeitsplätze von Berufsmusikern bedrohe.
90 Jahre später haben nicht nur Musiker die Vorzüge des Rundfunks erkannt. Laut Statistik hört jeder Deutsche am Tag fast dreieinhalb Stunden Radio, meistens immer denselben Sender. Dass die Nutzung vor allem bei jüngeren Hörern leicht abnimmt, das liege an der wachsenden Konkurrenz aus dem Internet, sagt Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer beim Branchenverband BITKOM. "Das heißt nicht, dass jüngere Menschen nicht mehr Radio wählen, aber sie sind weniger loyal einem Stammsender gegenüber. Junge Menschen wollen diese Auswahl, und entscheiden sich dann ganz bewusst für ein Programm."
Das klassische, lineare Radiomodell sei zudem für jüngere Hörer weniger attraktiv als beispielsweise Podcast-Modelle. Ein Demografieproblem habe das Radio als solches deshalb aber nicht. Neben den mehr als 300 Radio-Stationen mit eigener Frequenz kann der Hörer heute aus über 2.500 Internetradios aus Deutschland wählen, dazu kommen noch Zehntausende mehr aus aller Welt - vom japanischen Popsender bis zur Bibel-Welle aus Jamaika.
"Diese Auswahl überfordert viele Hörer", sagt der Düsseldorfer Blogger und Radiomacher Daniel Fiene. Die Zukunft des Radiohörens sieht er in der Möglichkeit, sich aus einzelnen Elementen von Sendern aus der ganzen Welt sein eigenes, persönliches Lieblingsprogramm zusammenzustellen. "Wenn ich zum Beispiel sage: 'Ich möchte gern so viel Musik, so viel Wortanteil. Davon so viel Sport, so viel Politik, ein paar digitale Themen, und wenn Breaking News sind, dann möchte ich die natürlich nicht verpassen', dann wird mir dieser Radiostream so zusammengestellt."
Wer als Hörer seinem Lieblingssender mit den vertrauten Stimmen aus der Region treu bleiben will, der werde in Zukunft dennoch mehr Möglichkeiten haben, das Programm nach persönlichen Vorlieben abzuändern, prophezeit Daniel Fiene. "Wer weiß, vielleicht kommt die Musik dann nicht mehr aus der Redaktion, sondern von meinem Musik-Streaming-Anbieter oder aus meiner iTunes-Bibliothek."
Empfangen werden wir dieses Radio der Zukunft größtenteils über das Internet, auf entsprechend vielseitigen Geräten - ein Trend, der anscheinend nicht mehr aufzuhalten ist. "Die sprechende Kiste im Wohnzimmer, die nur Radio kann, wird bis dahin endgültig ausgestorben sein", sagt Bernhard Rohleder.
Das Radioprogramm werde dabei eine von vielen Informationsquellen sein, die über ein zentrales Empfangsmodul auf verschiedenen Ausgabegeräten in der Wohnung abgespielt werde könne. Anders sieht es bei der mobilen Nutzung aus: "Wenn wir unterwegs sind, dann werden wir insbesondere mit Smartphones Radio hören, aber auch mit ganz neuen Geräten, die gerade erst in den Markt kommen, zum Beispiel Computerbrillen oder multimediale Armbänder".
Bis zu seinem 100. Geburtstag wird sich das Radio also sowohl inhaltlich als auch technisch neu erfinden müssen - es wäre nicht das erste Mal.
Beitrag von Samuel Jackisch
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