US-Wahl 2016 im Selbstversuch
Trump oder Clinton? Etwa 219 Millionen US-Bürger sind zur Präsidentschaftswahl am 8. November 2016 aufgerufen. Doch nicht nur in den Staaten selbst wird gewählt – auch Tausende Amerikaner in Berlin dürfen ihre Stimme abgeben. Mark Perdoni war einer davon.
"Sie sind ein spezieller Fall", ruft der sichtlich bemühte Sicherheitsbeamte mir entgegen. Also bleibe ich vor dem streng bewachten US-Botschaftsgebäude in der Clayallee in Berlin-Dahlem ratlos zurück. Ich hatte es mit meiner Frage noch nicht mal durch die Sicherheitsschleuse geschafft – dabei ist sie auf den ersten Blick gar nicht so schwer zu beantworten: "Wie kann ich bei der US-Wahl am 8. November mitmachen?"
Gut, zugegeben: Meine Voraussetzungen sind ein wenig verzwickt. In Boston, Massachusetts geboren, dadurch im Besitz der doppelten Staatsbürgerschaft – allerdings noch nie in den USA gelebt. Wie ich auf den Informationsseiten der US-Botschaft für die im Ausland lebenden US-Amerikaner jedoch erfahren konnte: Auch dann habe ich das Recht zu wählen, ich müsse nur über 18 Jahre alt sein. "Bitte wenden Sie sich an Ihren zuständigen Wahlbeauftragten in Boston", gibt mir der mittlerweile genervte Sicherheitsbeamte vor der Botschaft mit auf den Weg.
Skeptisch, ob sich auf meine Anfrage überhaupt jemand meldet, bekomme ich prompt eine Antwort: "Good morning, Mark!" werde ich zu Beginn der E-Mail begrüßt. Die Verfasserin heißt Maryann, Wahlmanagerin in Boston für sogenannte "absentee voters", also im Ausland lebende Wähler mit amerikanischem Pass. Ich solle ihr nur die letzte US-Adresse meiner Eltern durchgeben, damit mein Wahlbezirk festgelegt werden kann.
Typisch amerikanische Leichtigkeit, denke ich mir: Beamte, die einen duzen, eine Rückmeldung innerhalb von Stunden und dann auch noch alles per Mail. Wenn deutsche Bürokratie doch nur ansatzweise so unkompliziert sein könnte.
Zu früh gefreut. Weil meine Eltern damals nicht in Boston, sondern in Revere, einem 50.000-Seelen-Vorort der Ostküstenmetropole ihren Wohnsitz hatten, ist Maryann gar nicht für mich zuständig, sondern ihre Kollegin Diane: "Deshalb konnten wir dich nicht finden!" Eine Mail und nur einen Tag später weiß ich: Mein Wahlbezirk ist Suffolk County. Und dann habe ich die vollständigen Wahlunterlagen in meinem Postfach vorliegen – als E-Mail-Anhang. Das Land der grenzübergreifenden Möglichkeiten.
Endlich kann ich nach der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus jetzt auch noch meine US-Kreuzchen setzen. Doch nach dem Öffnen der Dokumente füllt sich mein Kopf mit großen Fragezeichen.
Neben einem kleinen Kasten für die Wahl des Präsidentschaftskandidaten gibt es etliche weitere Wahlmöglichkeiten: Kongressabgeordnete, Kandidaten für die örtlichen Schulversammlungen, einen Senator für die Justiz, dessen Namen ich logischerweise noch nie gehört habe. Sogar einen Sheriff kann ich wählen – und über Gesetze abstimmen, die beispielsweise einem 21-Jährigen den Besitz von Marihuana gestatten. Ein Wahlzettel wie eine Speisekarte in einem 24-Stunden-Diner.
War ich zu naiv, um vom deutschen Zweistimmen-System auszugehen? Scheint so. Ob ich das wirklich alles ausfüllen müsse und ob mein Wahlzettel auch dann gültig bliebe, wenn ich nur meine Präsidentenstimme abgebe, frage ich Diane. "Es ist dein Wahlzettel – mach damit was du willst!" ist ihre Antwort. In Deutschland undenkbar. Genau wie die Tatsache, dass ich ihr die Wahlunterlagen per Mail zurückschicken kann – unter der Bedingung, dass ich unterschreibe, auf das geheime Wahlrecht zu verzichten. Andere Länder, andere datenschutzrechtliche Sitten.
Wie mir geht es genau 16.472 wahlberechtigten US-Bürgern mit Hauptwohnsitz in Berlin, sagt das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg. Sie alle werden beim Besuch der Wahl-Website der US-Botschaft Berlin freundlich darauf hingewiesen, dass jede Stimme zähle und es in der Geschichte der US-Wahlen schon oft knappe Ergebnisse gegeben habe.
Ob ich wirklich glaube, dass meine Stimme überhaupt von Bedeutung ist, fragt mich ein Bekannter. Ja, antworte ich, und sei es nur, um mir den offiziellen Botschaftsaufkleber „I voted from Germany“ auf meinen Kühlschrank zu kleben.
Beitrag von Mark Perdoni
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