Datenprojekt | Politisches Engagement
Engagiert über Politik diskutieren? Gern. Sich in einer Partei engagieren? Lieber nicht. Trotz steigender Mitgliederzahlen lautet der Befund: Die Berliner und Brandenburger machen um Parteien einen Bogen. Von Thorsten Gabriel und Götz Gringmuth-Dallmer
Denken wir die Metropole ein paar Nummern kleiner. Nehmen wir an, Berlin wäre ein Dorf. 1.000 Einwohner. Dann besäßen von diesen 1.000 Menschen genau 13 ein Parteibuch: Fünf wären SPD-Mitglied, drei in der CDU, je zwei bei Linken und Grünen und einer wäre in der FDP. Und die AfD? Sie hätte nicht ein einziges Mitglied (statistisch gesehen 0,03 Prozent der Einwohner).
Dagegen stünden 987 von 1.000 Dorfbewohnern den Parteien fern. Was nicht heißt, dass sie nicht engagiert oder zumindest irgendwo Mitglied wären: 241 von ihnen wären zum Beispiel in der Kirche und 173 im Sportverein registriert. So wäre das, im Dorf Berlin – was bedeutet: So ist es auch im Großen:
Für Brandenburg ist das Herunterrechnen auf Dorfgröße rundungsbedingt kaum noch sinnvoll möglich. Dort wären es nur acht Dorfbewohner in Parteien, und Grüne, FDP und AfD bestünden streng genommen nur aus je einem halben Menschen. Was aber unter dem Strich hier wie dort einfach nur zeigt: Das Bedürfnis, der eigenen politischen Ansicht durch Mitgliedschaft in einer Partei Ausdruck zu verleihen, ist bei Berlinern und Brandenburgern nur sehr schwach ausgeprägt.
Es ist ein Befund, der im Kern bundesweit gilt: Die Parteien haben über die Jahrzehnte ihre Bindungskraft und damit auch massiv Mitglieder verloren. Zwar verzeichneten fast alle in den vergangenen zwei Jahren wieder Zuwächse, doch das wiegt die Verluste nicht annähernd auf. 1990 hatten SPD, CDU, Grüne, Linke und FDP in der Hauptstadt noch rund 100.000 Mitglieder. Zurzeit sind es weniger als die Hälfte, knapp unter 50.000. In Brandenburg fiel die Zahl der Parteimitglieder im gleichen Zeitraum noch drastischer, von rund 80.000 auf etwa 20.000.
Zum bundesweiten Vergleich: Die meisten Menschen mit Parteibuch gab es in der alten Bundesrepublik im Jahr 1980. Damals waren 1,3 Millionen Bundesbürger Mitglied in einer Partei. Wobei auch dies nur einem Anteil von rund zwei Prozent an der damaligen Einwohnerzahl von etwas über 60 Millionen entsprach. Heute liegt die Quote etwas niedriger.
Die meisten Mitglieder in Berlin hat seit jeher die SPD. Auch in den meisten Bezirken ist sie die Partei mit den mitgliederstärksten Kreisverbänden. Nur in vier Bezirken verhält es sich anders. Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick sind Hochburgen der Linken, in Steglitz-Zehlendorf liegt knapp die CDU vorn. Der Südwest-Bezirk ist auch der einzige Bezirk, in dem die CDU den Mitgliederzahlen nach "stärkste Kraft" ist (Vergleichsstichtag: 31.12.2017).
Die Linken sind berlinweit die drittgrößte Partei, gefolgt von den Grünen und der FDP. Die AfD hat mit nur rund 1.200 Mitgliedern die mit Abstand geringste Mitgliederzahl. Wie stark sie in welchen Bezirken vertreten ist, darüber gibt die Partei allerdings keine Auskunft.
Während die Statistik für Berlin eine treppenstufenartige Abnahme der Mitgliederzahlen von SPD bis AfD ausweist, sieht das Bild für Brandenburg deutlich anders aus: Hier ist auch die SPD die mitgliederstärkste Partei, allerdings dichter gefolgt von Linken und CDU. Alle drei Parteien haben um die sechs- bis knapp unter siebentausend Mitglieder. Mit sehr großem Abstand folgen dann AfD, FDP und Grüne dicht beieinander – alle mit jeweils nur etwas über tausend Mitgliedern.
Über die Verteilung der Mitglieder in den einzelnen Landkreisen lassen sich nur bedingt Aussagen treffen, da CDU, AfD und FDP hierzu keine Auskunft gaben. Bei Gesprächen mit Vertretern der Geschäftsstellen der Parteien wurde jedoch deutlich, dass die Mitgliederzahlen in einzelnen Kreisverbänden teils im unteren zweistelligen, wenn nicht gar einstelligen Bereich liegen dürften.
Blickt man auf die Altersstatistiken der Berliner Parteien, lässt sich ablesen: In allen Parteien sind Menschen unter 30 in der Minderheit. Ihr jeweiliger Anteil an der Gesamtmitgliedschaft einer Partei liegt bei deutlich unter 20 Prozent. Besonders gering fällt er mit 12 bzw. 13 Prozent bei CDU und Grünen aus. Der Anteil der Mitglieder, die 61 Jahre und älter sind, liegt hingegen in allen Parteien bei über 20 Prozent, bei SPD und CDU sogar über 30 und bei der Linken knapp unter 50 Prozent. Damit sind die Linken unangefochten die Partei mit den ältesten Mitgliedern.
Beim mittleren Alter differenziert es sich etwas: Bei den 31- bis 45-Jährigen sind Grüne und FDP besonders mitgliederstark, SPD, CDU und Linke dagegen schwächer. Im Segment der 46- bis 60-Jährigen liegen CDU, Grüne und FDP in etwa gleich auf bei um die 26 Prozent und die SPD folgt mit etwas Abstand, abgeschlagen dahinter die Linke. Die Berliner AfD gab zur Altersstruktur ihrer Mitgliedschaft keine Auskunft.
In Brandenburg ergibt sich ein ähnliches Bild. Allerdings ist hier der Kontrast größer. Hier sind die Unter-30-Jährigen noch stärker unterrepräsentiert. Ihr Anteil liegt in allen Parteien, mit Ausnahme der Grünen, bei unter zehn Prozent. Gleichzeitig sind die Mitglieder der Brandenburger Linken noch einmal deutlich älter als ihre Genossen in Berlin. 71 Prozent der Brandenburger Linken-Mitglieder sind 61 Jahre und älter.
Unterrepräsentiert sind in den Parteien nicht nur Jüngere, sondern auch Frauen. In Berlin erreichen nur Linke und Grüne einen Frauenanteil von rund 40 Prozent, alle anderen Parteien liegen deutlich darunter. Die wenigsten Frauen verzeichnen die Mitgliederstatistiken von FDP und AfD.
In Brandenburg ist der Befund ähnlich. Auch hier liegt der Frauenanteil bei Linken und Grünen über 40, aber immer noch deutlich unter 50 Prozent. Allerdings dominieren bei den übrigen Parteien hier noch stärker die Männer als in den Berliner Landesverbänden.
Für den Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer sind das keine überraschenden Zahlen. Er beobachtet die Mitgliederentwicklung der Parteien in Deutschland seit vielen Jahren. Das Interesse, sich in einer Partei zu engagieren, sei seit je her nicht besonders ausgeprägt. "Gerade in Parteien ist das politische Engagement besonders 'ressourcenvernichtend‘ – man braucht viel Zeit", gibt Niedermayer zu bedenken.
Unter besonderen Druck geraten sind die Parteien in den vergangenen Jahren zudem durch die direkte Demokratie. Gerade Bürgerinitiativen böten heute in ganz anderer Form die Möglichkeit, sich politisch zu engagieren als in Parteien: "nämlich kurzfristig, problemorientiert, ergebnisorientiert", wie der Politologe konstatiert. All das hätten Parteien nicht, "wo man sozusagen erstmal die 'Ochsentour' durchmachen muss", also den Gang durch die Parteihierarchien aufwärts, angefangen vom Ortsverein. Eine besondere Konkurrenz – insbesondere bei den Jüngeren – seien für die Parteien außerdem die "unpolitischen Möglichkeiten, die knappe Freizeit zu gestalten."
Die Möglichkeiten, daran etwas zu ändern, hält Niedermayer für begrenzt. Zwar könne man die Hürden für einen Parteieintritt senken – etwa, indem man es Jüngeren via Internet besonders leicht mache, Mitglied zu werden. Allerdings gebe es, anders als noch vor Jahrzehnten, in der Gesellschaft keine "normative Motivation" mehr in eine Partei einzutreten. "Das bedeutet, dass man aufgrund von Verhaltenserwartungen der Umwelt in Parteien reingeht, zum Beispiel in der Familie", so Niedermayer. Will heißen: Die Eltern waren SPD- oder CDU-Mitglied und formulierten die Erwartung an ihre Kinder, es ihnen gleichzutun – diese Zeiten sind passé.
Die weitere Entwicklung der Mitgliederzahlen in den Parteien bleibt spannend. Im vergangenen Jahr gingen die Zahlen nahezu bei allen Parteien leicht nach oben, aus unterschiedlichen Gründen. Die Parteien im linken Spektrum verbuchten Eintritte als Reaktion auf die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Für andere Menschen war der "Brexit" ein Grund, sich für ein Parteiengagement zu entschließen. Bei der SPD sorgte zunächst Spitzenkandidat Martin Schulz für einen kräftigen Mitgliederschub. Allerdings traten nach der für die Sozialdemokraten verlorenen gegangenen Bundestagswahl auch viele Neu-Mitglieder wieder aus. Eine zweite Welle erlebte die SPD dann zuletzt Anfang des Jahres, als die Jusos für einen Parteieintritt warben. Sie wollten erreichen, dass mehr Mitglieder bei der damals bevorstehenden Basisabstimmung gegen den schwarz-roten Koalitionsvertrag votieren. Ein Ansinnen, das erfolglos blieb.
Sendung: Inforadio, 14.05.2018, 6.00 Uhr
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