Leerstand in Berlin
Dutzende Häuser stehen in Berlin leer, verfallen absichtlich oder werden vernachlässigt. In Steglitz-Zehlendorf wird nun zum ersten Mal in Berlin ein Hausbesitzer vorübergehend enteignet. In Mitte prüft der Senat sogar eine dauerhafte Enteignung. Von Ansgar Hocke
In Berlin wird zum ersten Mal ein Hausbesitzer vorübergehend enteignet. Nach Informationen von rbb24 Recherche will der Bezirk Steglitz-Zehlendorf ein seit langem unbewohnbares Mehrfamilienhaus am Hindenburgdamm/Ecke Gardeschützenweg an einen Treuhänder übergeben und sanieren lassen.
Schon 20 Jahre ist an der Immobilie nichts mehr getan worden. Nach und nach zogen die Mieter aus, inzwischen steht das Haus leer. Die Dachplanen sind längst zerrissen, flattern im Wind. An der Fassade überall Wasserflecken. Die Anwohner schütteln nur noch den Kopf, sind verärgert, schimpfen, wenn man sie auf die Immobilie Hindenburgdamm Ecke Gardeschützenweg in Lichterfelde anspricht.
Im vergangenen Jahr erneuerte Berlins rot-rot-grüne Regierung das Gesetz zum Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum. Die Bezirke erhielten mehr Eingriffsrechte: Die Eigentümer müssen einen Antrag stellen, wenn sie Wohnungen länger als drei Monate leerstehen lassen wollen. Tun sie es nicht, drohen Zwangsgelder. Per Verwaltungsgericht können die Bezirke zudem die Wiederherstellung von Wohnraum durchsetzen. Hilft das alles nicht, kann auch ein Treuhänder eingesetzt werden, der dann die Häuser und Wohnungen auf Kosten des Eigentümers sanieren lässt.
Das Thema Leerstand beschäftigt das Verwaltungsgericht bisher noch nicht intensiv, weil die Bezirksämter zunächst auf die Ferienwohnungen reagiert haben. "Aktuell sind 20 Verfahren anhängig", so Stephan Groscurth, Sprecher des Verwaltungsgerichts.
Auch der Fall des 71-jährigen Berliner Hausbesitzers, dem das Eckhaus am Hindenburgdamm gehört, landete schon vor dem Verwaltungsgericht. Immer wieder versprach er dem Wohnungsamt, der Bauaufsicht und dem Baustadtrat, in das Haus zu investieren, Dach und Fassade sollten saniert werden. Doch nichts geschah. Jetzt beschloss der Bezirk Zehlendorf-Steglitz, den Eigentümer vorübergehend zu enteignen und die Sanierung des Hauses zwangsweise durchzusetzen.
Der stellvertretende Bezirksbürgermeister Michael Karnetzki (SPD) spricht gegenüber rbb24-Recherche von einem Pilotprojekt in Sachen Durchsetzung des Zweckentfremdungsverbots. Warum nicht schon früher gehandelt wurde? "Wir konnten dies erst jetzt angehen", so Karnetzki, "weil wir vorher die milderen Mittel einsetzen mussten. Und das Zwangsgeld oder die Zwangsgelder, die verhängt worden sind, die sind ja gerade erst jetzt rechtskräftig geworden. Bis dahin hat der Eigentümer das immer noch angefochten."
Nun also wird zum ersten Mal in Berlin ein Haus durch einen Treuhänder wieder bewohnbar gemacht. Karnetzki muss darauf achten, dass jeder Schritt sorgfältig erfolgt, denn das Verfahren muss auch vor Gericht bestehen. "Auch gegen den Einsatz von Treuhändern kann der Eigentümer Rechtsmittel einsetzen und wir müssen das gerichtsfest durchziehen", so Karnetzki.
Die Treuhänderschaft für das Haus am Hindenburgdamm ist eine Berliner Premiere. Zwischen Steglitz-Zehlendorf und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gibt es eine klare Verabredung, auch über die Finanzen. Der Bezirk oder die Treuhändergesellschaft müssen dabei in Vorkasse gehen, die Senatsverwaltung für Finanzen erstattet die Kosten.
Auch wenn Bezirk und Senat die Treuhänder und Sanierungskosten vorstrecken, in der letzten Konsequenz muss es der Eigentümer bezahlen. Kann er dies nicht, wird die Summe als Schuld ins Grundbuch eingetragen und es droht sogar die Zwangsversteigerung.
Einfach wird das nicht, so der Immobilienexperte und Rechtsanwalt Lukas Wenderoth. In den meisten Fällen gehe es um Immobilien, "die einen massiven Instandhaltungsrückstand haben", sagt er. "Das heißt, wo wir Kosten zwischen Hundert und vielleicht sogar 2.000 Euro pro Quadratmeter aufwenden müssen, um eine solche Immobilie überhaupt mit einem einfachen Standard wieder bewohnbar zu machen." Für das Eckhaus am Hindenburgdamm muss schätzungsweise knapp eine Million Euro für die Sanierung aufgebracht werden.
Senatorin Katrin Lompscher (Linke) lässt sich davon nicht abschrecken. Sie will den Weg bis zu Ende gehen und den Bezirk unterstützen. Es sei ein entsprechendes Gutachten erforderlich, das die Bausubstanz bewertet, die notwendigen Maßnahmen beschreibt und eine Kostenschätzung mache. Auf dieser Grundlage erfolge dann eine Ausschreibung für einen Treuhänder. "Es gibt etliche Firmen, die so etwas machen können. Also nicht nur Treuhänder des Landes Berlin, die wir jetzt schon haben, sondern auch Private könnten sich bewerben", so Lompscher.
Doch genau diesen Punkt sieht Immobilienexperte Wenderoth skeptisch. "Es wird problematisch, jemanden zu finden, der wirtschaftlich ein solches Haus verwalten kann. Denn die Treuhänder sind ja privat, die machen das um Geld zu verdienen. Und wenn jemand die Arbeit für das Land Berlin macht, dann muss er marktüblich vergütet werden." Nicht ohne Grund favorisiert Stadtrat Karnetzki deshalb eine städtische Wohnungsbaugesellschaft als Treuhänder.
Der Eigentümer der Immobilie am Hindenburgdamm besitzt über ein Dutzend Mietshäuser in Berlin. Entweder stehen sie komplett leer oder nur einzelne Wohnungen oder Seitenflügel. In seinem großen Eckhaus im Bezirk Mitte an der Kameruner Straße stehen alle Wohnungen leer. Seit 1996 zogen dort nach und nach die Mieter aus. Ihnen folgten – illegal – Osteuropäer. Vergangenes Jahr hat die Polizei das Haus geräumt.
Auch hier handelt jetzt der Bezirk, geht aber einen anderen Weg. Der Bezirksamt Mitte beruft sich auf den Paragrafen 172/85 des Baugesetzbuches [Bundesjustizministerium]: Da sich das Haus in einem sogenannten Erhaltungsgebiet befindet, die soziale Mischung, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung, die städtebauliche Eigenart und das Ensemble zu schützen sind, kann der Eigentümer auch enteignet werden. Schriftlich erklärt Stadtrat Ephraim Gothe dazu: "Voraussetzung hierfür ist, dass der Eigentümer nicht Willens oder nicht in der Lage ist, die bauliche Anlage zu erhalten, so dass ohne eine Enteignung die Erhaltung gefährdet wäre. Dies ist nach Auffassung des Bezirksamtes gegeben." Auch dies ist eine Premiere für Berlin. Für die Enteignung ist jedoch die Enteignungsstelle bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zuständig. Dort wird letztlich alles geprüft und entschieden. Ausgang offen.
Ob Enteignung oder Treuhänderschaft, wer Wohnungen oder Häuser leer stehen lässt, wird es in Zukunft in Berlin schwerer haben.
Sendung: Inforadio, 11.06.2019, 6 Uhr
Beitrag von Ansgar Hocke
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