135. Jahrestag der Kongo-Konferenz
Vor 135 Jahren lud Bismarck die Vertreter konkurrierender Regierungen nach Berlin, um Regeln für die Verteilung Afrikas aufzustellen. Für die nicht eingeladenen Afrikaner wurde der Gipfel zu einer Katastrophe, die bis heute nachhallt. Von Oliver Noffke
Eigentlich war schon so gut wie alles verteilt, als am 15. November 1884 in der Berliner Wilhelmstraße die Kongo-Konferenz begann. Der Großteil Afrikas, der von den Europäern als irgendwie wertvoll angesehen wurde, wurde zum Teil bereits seit Jahrhunderten ausgebeutet.
Frankreich beherrschte einen gigantischen Teil im Westen und Zentrum des Kontinents sowie diverse Inselgruppen und war dabei, die Kontrolle über Madagaskar zu übernehmen. Gebiete, weit mehr als zehnmal so groß wie das Land selbst. In London brüstete man sich mit der Tatsache, dass man sich auf der 10.000 Kilometer langen Strecke zwischen Kairo und dem Kap der guten Hoffnung fast durchgehend im Einflussgebiet des Empires befand.
Portugal, Spanien, Italien - alle hatten bereits Überseekompanien, militärische Stellungen und christliche Missionen auf afrikanischem Boden. Tausende Schiffe waren voll beladen mit Elfenbein oder Kautschuk bereits Richtung Norden gesegelt. Millionen Sklaven waren nach Amerika deportiert worden. Mit Blick auf Infrastruktur und Einfluss war der sogenannte Wettlauf um Afrika eigentlich vorbei.
Was fehlte, war die gegenseitige Anerkennung der Einflussgebiete. Eine Verabredung, die den Besitz in den Augen der Konkurrenten legitimieren würde und militärische Auseinandersetzungen zwischen den Europäern verhinderte. Regeln für die offizielle Beschlagnahmung. Deshalb hatte Otto von Bismarck Vertreter von zwölf europäischen Staaten, dem Osmanischen Reich und den USA in das Berliner Reichskanzlerpalais geladen. Nun legten sie gemeinsam das Lineal an. Afrikaner waren nicht dabei.
Für Bismarck war dieser Schritt nicht weniger als eine Wende um 180 Grad. Noch 1881 sagte er einem Reichstagsabgeordneten: "So lange ich Reichskanzler bin, treiben wir keine Kolonialpolitik. Wir haben eine Flotte, die nicht fahren kann, und wir dürfen keine verwundbaren Punkte in fernen Weltteilen haben, die den Franzosen zufallen, sobald es losgeht."
Bismarck bezweifelte auch, dass Kolonialbesitz ökonomisch sinnvoll war. So gut wie alle deutschen Versuche, in Übersee Fuß zu fassen, waren zuvor am Geld gescheitert oder lahmten wegen fehlender Subventionen. Brandenburg-Preußen hatte bereits 1682 im heutigen Ghana das Fort Groß Friedrichsburg gegründet. Der erste bedeutende deutsche Sklavenhändler kam aus dem Hause Hohenzollern, residierte in Potsdam und hieß Friedrich Wilhelm. Nach knapp 40 Jahren verkaufte das klamme Kurfürstentum seine afrikanische Burg jedoch an die Niederlande.
Vor den Reichstagswahlen im Oktober 1884 hatte Bismarck allerdings selbst die Lust der Deutschen nach dem berüchtigten "Platz an der Sonne" angestachelt. Viktoria, die Frau des deutschen Kaisers, ätzte in einem Brief an ihre Mutter, die britische Königin Victoria, dass Bismarck die Begeisterung der Deutschen für Sansibar und Samoa während des Wahlkampfs noch nützlich schien.
Nach dreimonatigen Verhandlungen im Reichskanzlerpalais hatten sich die Teilnehmer am 26. Februar auf Kriterien geeinigt, unter denen Kolonialbesitz völkerrechtlich anerkannt werden sollte. Für Deutschland war das die Grundlage für die Kolonien im heutigen Namibia, Kamerun, Togo und Teilen Ghanas sowie in Tansania, Ruanda und Burundi. Für die afrikanische Bevölkerung folgten blutige Auseinandersetzungen wie der Maji-Maji-Krieg (1905 - 1907) oder der Völkermord an den Herero und Nama (1904 - 1908).
Zum großen Gewinner hatte sich der belgische König Leopold II. gepokert. Vor der Konferenz hatte er teils verdeckt große Landstriche im Kongobecken gekauft. Nun ließ er sich eine Fläche von weit mehr als zwei Millionen Quadratkilometern quasi als Privatkolonie legalisieren. Dass sich die Teilnehmer der Konferenz auf ein Verbot des internationalen Sklavenhandels geeinigt hatten, hinderte ihn nicht daran, die Bevölkerung auf seinen Plantagen zu quälen. Es gibt Schätzungen, nach denen unter seiner Herrschaft zehn bis 15 Millionen Menschen im Kongo ermordet wurden oder sich zu Tode schufteten.
Nach der Konferenz wurde nahezu der gesamte Kontinent mit europäischen Flaggen abgesteckt. Lediglich das heutige Äthiopien blieb unabhängig sowie Liberia, das zur Siedlung für ehemalige Sklaven aus den USA wurde.
Bismarcks Befürchtungen sollten sich später bewahrheiten. Nahezu alle Kolonien kamen der Reichskasse teuer zu stehen. Die Begeisterung der Bevölkerung beschränkte sich zudem auf Völkerausstellungen, hinziehen wollte kaum jemand. Von den Millionen Menschen, die im späten 19. Jahrhundert wegen der miserablen Lebensbedingungen Deutschland den Rücken kehrten, gingen nur wenige Tausend in die Kolonien. Der überwiegende Teil ließ sich auf Ellis Island auf Läuse und Krätze untersuchen, bevor er von der Freiheitsstatue begrüßt wurde. 1904 umfasste das deutsche Kolonialgebiet in Afrika etwa 2,5 Millionen Quadratkilometer. Auf diesem Gebiet, fast fünfmal so groß wie das Reich, lebten 5.495 Deutsche. Selbst 1911 waren es nur etwas mehr als 21.000.
An das Reichskanzlerpalais erinnern heute nur noch einige Plaketten und Schautafeln in der Wilhelmstraße. Unter Hitler wurde das Gebäude zur Reichskanzlei umgebaut und im Garten der Führerbunker angelegt. Mehr als ein paar Mauerreste blieben nach dem Zweiten Weltkrieg nicht stehen.
Beitrag von Oliver Noffke
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