Amri-Anschlag auf Breitscheidplatz
Ein Berliner Polizist soll Interna zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz an seine AfD-Parteifreunde weitergegeben haben. Unter den Empfängern ist auch ein Verdächtiger in der Neuköllner Anschlagsserie. Von G. Heil und O. Noffke (rbb) sowie R. Pinkert (NDR)
Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt nach Informationen des ARD-Politikmagazins Kontraste und des NDR gegen einen Polizeihauptkommissar wegen des Verdachts auf Verrat von Dienstgeheimnissen. Detlef M. soll Mitglied der AfD sein und Parteifreunde über den Messenger Telegram mit Interna der Polizei versorgt haben zum Anschlag auf den Breitscheidplatz durch den Islamisten Anis Amri. Bereits 90 Minuten nach der tödlichen Lkw-Fahrt vom 19. Dezember 2016 soll der Beamte Informationen in einer Chatgruppe geteilt haben.
Am Folgetag wurden über die Telefonnummer des Polizisten Ergebnisse der kriminaltechnischen Untersuchung des Lkw an die Gruppe verschickt. Weitere Nachrichten folgten, versehen mit dem expliziten Hinweis, diese erst einmal nicht weiter zu schicken, sonst könne es anschließend keine Informationen mehr geben. In der Chatgruppe: AfD-Mitglieder aus Neukölln. Islamophobe Äußerungen wurden nach Erkenntnissen des Berliner Landeskriminalamts ebenfalls in der Gruppe geäußert, sogar der Holocaust sei geleugnet worden.
Zusätzliche Brisanz erhalten die Ermittlungen, da ein gewisser Tilo P. zu den zwölf Mitgliedern des Chats gehört. Der Rechtsextreme ist einer von drei Tatverdächtigen in einer Serie von politisch motivierten Anschlägen, die ab 2013 in Neukölln verübt wurden. Eine Anklage wegen Sachbeschädigung gegen P. besteht bereits, ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Brandstiftung läuft noch. Aus der AfD soll er mittlerweile ausgetreten sein, um einem Parteiausschlussverfahren zuvorzukommen.
Im Zuge der Ermittlungen zu der Anschlagsserie wurde im September vergangenen Jahres P. Mobiltelefon sichergestellt. Bei der Auswertung stießen die Ermittler auf die Chatgruppe und den mutmaßlichen Geheimnisverrat durch ihren Kollegen Detlef M. Ob gegen den Beamten auch in einem internen Disziplinarverfahren ermittelt wird, konnte die Berliner Polizei auf Anfrage nicht mitteilen.
Ziel der Anschläge war auch Ferat Kocak, Stellvertretender Sprecher der Neuköllner Linken. Im Februar 2018 ging sein Auto in Flammen auf. "So etwas beängstigt mich und meine Familie, da wir schon längst nicht mehr wissen, wem wir vertrauen können und wer hier geschützt wird", sagt er zu den Ermittlungen gegen Polizeihauptkommissar M. auf Anfrage von Kontraste und NDR. Kocak fragt sich, wie viele Verbindungen zwischen der rechten Szene und Berliner Sicherheitsbeamten noch aufgedeckt werden müssten, "damit die Forderung der Betroffenen des rechten Terrors in Neukölln nach einem Untersuchungsausschuss endlich ernst genommen wird?"
Kocaks Parteifreundin Martina Renner, die für die Linke im Bundestag sitzt und dort Mitglied im Amri-Untersuchungsausschuss ist, fordert harte Konsequenzen: "Wer Polizeiinterna an Demokratiefeinde und mutmaßliche Brandstifter weitergibt, muss aus dem Dienst fliegen."
Brandanschläge, Sachbeschädigungen und Diebstahldelikte: Besonders intensiv verlief die Anschlagsserie zwischen Ende 2016 und Mitte 2017. Opfer der Straftaten waren überwiegend Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. In dieser Hochphase wurde auch das Fahrzeug einer Neuköllner Bezirksverordneten der SPD angezündet. Zehn Tage nachdem ein Buchhändler aus dem Bezirk eine Diskussionsrunde mit dem Titel "Was tun gegen die AfD? Aufstehen gegen Rassismus" organisiert hatte, brannte auch sein Wagen.
Die Berliner Polizei, die nach öffentlicher Kritik und Ermittlungspannen eine Sonderkommission unter dem Namen "BAO Fokus" eingerichtet hat, rechnet mittlerweile 72 Straftaten zum Tatkomplex in Neukölln, darunter 23 Brandstiftungen.
Bianca Klose, Projektleiterin der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR), findet, die ausbleibenden Ermittlungserfolge in der Anschlagsserie werfen Fragen nach möglichen Verbindungen zwischen Tätern und der Polizei auf. "Ob diese durch freundschaftliche Kontakte oder ideologische Überschneidungen zustande kommen - ein Polizist reicht theoretisch aus, um Daten weiterzugeben oder die Aufklärung zu torpedieren."
Schon einmal bestand der Verdacht, dass ein Polizeibeamter Informationen zu der Anschlagsserie an einen Tatverdächtigen weitergegeben haben könnte. Mitarbeiter des Berliner Verfassungsschutzes meinten, einen Beamten des Landeskriminalamts bei einem Treffen mit dem Verdächtigen Sebastian T. in einer Gaststätte beobachtet zu haben. Die "BAO Fokus" geht von einer Verwechslung durch die Verfassungsschützer aus. Das Strafverfahren gegen den Beamten wurde mittlerweile eingestellt.
Beitrag von Georg Heil, Oliver Noffke und Reiko Pinkert
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