40. Jahrestag der Hinrichtung von Werner Teske
Bis Anfang der achtziger Jahre fanden in der DDR Hinrichtungen statt. Unter strengster Geheimhaltung. Das letzte Todesurteil wurde an einem Stasi-Spion vollstreckt. Dabei war der Prozess gegen Werner Teske selbst ein Verbrechen. Von Oliver Noffke
Werner Teske starb durch einen Schuss in den Hinterkopf. Abgedrückt hatte der Staat. Er war der letzte Mensch, dessen Todesurteil in Deutschland vollstreckt wurde, am 26. Juni 1981 in Leipzig. "Unerwarteter Nahschuss in das Hinterhaupt" hieß dies im DDR-Behördensprech. Dazu wurde der Todeskandidat in eine Zelle geführt; der Henker trat unbemerkt von hinten heran; hob den schallgedämpften Lauf der Pistole auf Höhe des Schädels; und drückte unvermittelt ab.
Ab 1968 war das Regime auf diese Hinrichtungsmethode nach sowjetischem Vorbild umgeschwenkt. Vorher wurden Todesurteile mit einer Guillotine vollstreckt. Die Methode wurde gewechselt, nachdem es zu Situationen gekommen war, bei denen das Fallbeil drei Mal herunterschießen musste, bevor das Urteil ausgeführt war.
Mindestens 168 Todesurteile wurden in der DDR vollstreckt. Anfangs waren es zumeist NS-Verbrecher, die hingerichtet wurden, später auch Mörder und Sexualstraftäter. Teske war hingegen einer aus dem System. Er spionierte für die Stasi. Heute ist allerdings klar, sein Todesurteil war selbst ein Verbrechen.
Werner Teske wurde im April 1942 in Berlin geboren. Vom Ministerium für Staatssicherheit wurde er 1967 angeworben. Damals strebte er noch eine wissenschaftliche Karriere an und war an der Humboldt-Universität angestellt. Dort hatte er zuvor Finanzökonomie studiert. Nach der Promotion wechselte Teske hauptamtlich zum MfS. Jedoch nicht ganz freiwillig. Als er der Stasi absagte, sabotierte sie seine Karrierepläne. Teske wurd also Hauptmann in der Hauptverwaltung Aufklärung, dem Auslandsgeheimdienst der DDR. "Ich habe das so gewertet, dass mir persönlich gar keine andere Wahl blieb", sagte Teske später in einem Verhör.
Mehrfach wurde er in den kapitalistischen Westen geschickt. Er hielt Kontakt zu Informanten, die Politiker oder Akteure aus der Wirtschaft bespitzelten. In dieser Zeit zweifelte er offenbar am sozialistischen System. Er verließ die strengen Richtlinien der Behörde, fing an, Geld abzuzweigen und geheime Akten mit nach Hause zu nehmen. Über die kommenden Jahre schaffte er so mehr als 20.000 D-Mark und noch einmal ebenso viel DDR-Mark beiseite. Die Dokumente waren offenbar als ein mögliches Angebot an den Bundesnachrichtendienst zu verstehen, falls er wirklich übergelaufen wäre.
Journalist und Autor Gunter Lange glaubt nicht, dass Teske tatsächlich fahnenflüchtig werden wollte. Er hat gerade ein Buch über den Fall veröffentlicht. Bei der Vorstellung vor ein paar Tagen im Innenhof der ehemaligen Stasi-Zentrale in der Normannenstraße beschrieb Lange Teske als einen Fehlbaren, der vom Glauben an die Sache ab- und dem Alkohol verfiel.
Zum Verhängnis wurde Teske offenbar ein Ereignis, mit dem er selbst nichts zu tun und über das er auch keine Kontrolle hatte.
Am 19. Januar 1979 lief Oberleutnant Werner Stiller zum BND über. Er war ebenfalls in der Hauptverwaltung Aufklärung tätig. Beide kannten sich. Stiller nahm jede Menge Unterlagen mit und half bei der Identifizierung des HVA-Chefs Markus Wolf. Als das Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" wenige Wochen später ein Foto von Wolf veröffentlichte, das Stiller heimlich geschossen hatte, wurde in der Normannenstraße aufgeräumt [spiegel.de; DDR-Spionage: "Das läßt die mächtig wackeln", Ausgabe 10/1979].
"Verrat ist das schwerste Verbrechen, welches ein Angehöriger des MfS begehen kann", schäumte Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit, in einer internen Mitteilung im Januar 1980. Wer das "große Vertrauen" von Partei und Arbeiterklasse "durch schmählichen Verrat hintergeht, den muß die härteste Strafe treffen".
Teske geriet ins Visier der Kollegen, als er nicht bei einem Termin erschien, zu dem er sich abgemeldet hatte. Stattdessen wurde er betrunken in seiner Wohnung aufgefunden. Daraufhin wurde er genauer überprüft. Sein chaotischer Stil machte es allerdings unmöglich nachzuvollziehen, ob geheime Akten bei ihm sicher aufbewahrt waren oder fehlten. Bei der Durchsicht von Abrechnungen fiel schließlich auf, dass bei seinen Informanten nicht die Summen angekommen waren, die ihm in Lichtenberg ausgehändigt worden waren.
Am 11. September 1980 gesteht Teske den Kollegen, über eine Flucht nachgedacht zu haben. Die folgenden Verhöre sowie die akribische Durchsuchung seiner Wohnung sind ebenso wie der Prozess gegen ihn detailliert in der Stasi-Mediathek auf den Seiten des Bundesarchivs dokumentiert [stasi-mediathek.de].
Aus den Akten geht hervor, wie sich die Lage für Teske immer weiter zuspitzte. Wie ihm schließlich Spionage, Fahnenflucht und "ungesetzlicher Grenzübertritt" vorgeworfen wurden, obwohl er offensichtlich nichts davon ausgeführt hatte. Weder hatte er Dokumente weitergegeben, noch war er im Westen geblieben, obwohl er mehrfach die Gelegenheit dazu gehabt hätte.
Einen Fluchtversuch, für den er bereits einen Abschiedsbrief geschrieben hatte, brach er 1978 ab. "Was im gefehlt hat, war die kriminelle Energie sich über Schranken hinwegzusetzen", sagte Werner Stiller 2008 in einem Interview über seinen Kollegen. Teske sei ein Grübler gewesen. "Er war schwankend scheinbar und ist dadurch auch schlampig geworden."
Was folgt ist ein bizarrer Prozess unter strengster Geheimhaltung. Die Kollegen in der Lichtenberger Stasi-Zentrale wissen nichts davon. Teskes Frau Sabine wird elf Monate lang verhört. Als sie entlassen wird, teilt man ihr mit, dass ihr Mann gerade hingerichtet worden sei, sagte sie vor zehn Jahren der "B.Z.". Anschließend müssen sie und ihre Tochter wegziehen und ein Leben unter neuem Namen beginnen. Dem MDR sagte Lange, das Todesurteil könnte möglicherweise als eine Racheaktion von Mielke verstanden werden [mdr.de].
Bei seinen Recherchen hat Gunter Lange herausgefunden, dass die Staatsanwaltschaft bereits Wochen vor dem Urteilsspruch über die Strafe informiert war. Nach der Wende werden ein Richter und ein Staatsanwalt wegen Totschlags und Rechtsbeugung beziehungsweise Beihilfe zu vier Jahren Haft verurteilt. Auch nach dem geltenden Recht der DDR sei die Verurteilung Teskes nicht rechtmäßig gewesen, heißt es zur Begründung.
Werner Teske selbst erfährt von seinem Schicksal am 12. Juni. Ein Gnadengesuch wird abgelehnt. Zwei Wochen später, am 26. Juni 1981, wird der 39-Jährige morgens von Berlin zur zentralen Hinrichtungsstelle nach Leipzig gefahren. Er wird in einen kargen Raum geführt, der Henker Hermann Lorenz tritt von hinten an ihn heran. Und drückt ab. Teskes Leiche wird verbrannt, die Asche anonym auf dem Südfriedhof bestattet. Heute erinnert dort ein Gedenkstein an ihn.
Als Todesursache steht in Werner Teskes Totenschein: Herzversagen.
Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Artikels stand, dass Sabine Teske erst nach der Wende von der Hinrichtung erfahren hat. Die entsprechende Stelle wurde korrigiert. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
Beitrag von Oliver Noffke
Artikel im mobilen Angebot lesen