Personalmangel in der Berliner Verwaltung
Ausgerechnet dort, wo es schon jetzt an Fachkräften fehlt, wird die nahende Verrentungs- und Pensionierungswelle im öffentlichen Dienst besonders hart zuschlagen. Zu spüren ist das schon jetzt beim Thema Bauen. Von Wolf Siebert und Christina Rubarth
Gordon Lemm ist erst seit Kurzem Bürgermeister von Marzahn-Hellersdorf. Der SPD-Politiker hat noch nicht einmal Zeit gehabt, sein Büro einzurichten, da kommen schon große Aufgaben auf ihn zu. Der 44-jährige Marzahner mit 16 Jahren Erfahrung in der Bezirkspolitik ist jetzt für den Bereich Personal zuständig - und da gibt es Probleme: Das Bezirksamt hat 1.900 Stellen, 300 davon sind derzeit nicht besetzt. In der Tiefbauabteilung sind es elf, im Hochbau 18. Das hat Folgen: "Wir mussten unter anderem die Sanierung einer Kita und einer Jugendfreizeiteinrichtung verschieben." Dabei werden die dringend gebraucht.
Der Bezirk ist in den letzten Jahren gewachsen, zwölf neue Schulen sollen gebaut werden, Kitas und 3.000 bis 5.000 Wohneinheiten sind in Planung. Lemm spricht von einem "riesigen Baugeschehen im Bereich der sozialen Infrastruktur". Aber dazu müsste er Ingenieurinnen und Ingenieure haben.
Und dann muss Bürgermeister Lemm seinen Bezirk auch noch auf die absehbare Pensionierungs- und Verrentungswelle vorbereiten: Bis 2030 werden 51,2 Prozent der Mitarbeitenden des Bezirksamts aus Altersgründen ausscheiden. Damit liegt Marzahn-Hellersdorf im Bezirksvergleich auf Platz 1.
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In der Berliner Verwaltung arbeiten rund 127.000 Menschen - rund 102.000 in der Hauptverwaltung, 25.000 in den Bezirken. Von diesen wird zum Ende des Jahrzehnts voraussichtlich mehr als jeder dritte aus Altersgründen ausscheiden. Die Bezirke trifft es besonders hart: Hier sind es sogar 41,4 Prozent, die gehen - und mit ihnen viel Wissen und Erfahrung. Beim Zukunftsthema Bauen ist der Schwund besonders groß: Schon bis 2026 werden in diesem Arbeitbereich nach Angaben des Hauptpersonalrats rund 420 Mitarbeitende den öffentlichen Dienst verlassen.
Auf diese Entwicklung sind Verwaltung, Bezirke und Politik nicht gut vorbereitet, kritisiert der Landesrechnungshof in seinem diesjährigen Bericht. Eine fundierte, "auf anerkannten Methoden […] basierende […] Personalbedarfsermittlung" habe es für die Bezirke gar nicht und für die Hauptverwaltung nicht in ausreichendem Maße gegeben. Dazu kommen rund 6.100 Stellen Stellen, die nach Angaben der Finanzverwaltung des Senats derzeit unbesetzt sind. Die politische Herausforderung ist also dreierlei: das Besetzen der unbesetzten und der freiwerdenden Stellen, und: neue Stellen schaffen, um den wachsenden Verwaltungsbedarf zu erfüllen.
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Die neue Regierung müsse nicht nur – wie angekündigt – einen "Kassen-Sturz" machen, sondern auch einen "Personal-Sturz", fordert die Vorsitzende des Hauptpersonalrats Berlin, Daniela Ortmann. Sie ist die oberste Interessenvertretung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Mit "Personal-Sturz" meint sie eine ehrliche Analyse: Wie viele Beschäftigte hat Berlin? Und wie viele Stellen braucht Berlin, auf Landes- und auf Bezirksebene? Nur mit einer solchen Analyse werde die Kritik des Landesrechnungshofs wirklich ernst genommen, sagt Ortmann.
Diese Stellen müssten dann auch finanziert werden von der neuen Regierungskoalition. "Im Zweifel hat in der Vergangenheit immer der Haushälter regiert, und auch heute noch rennen wir den Spar-Jahren hinterher." Schon jetzt sei der öffentliche Dienst in Teilen gefährdet, so Ortmann: Bei Staats- und Amtsanwaltschaften werde in den kommenden Jahren fast jede zweite Stelle frei. Finde man dafür keinen guten Ersatz, werde die "Axt an den Rechtsstaat gelegt".
Konkret fordern Ortmann und der Hauptpersonalrat einen eigenen Staatssekretär für "Personal und Ausbildung" – und zwar mit zentraler Zuständigkeit: "Wenn zwölf Bezirke dezentral versuchen, Ingenieure an Bord zu holen, dann sind sie nicht so erfolgreich, wie wenn man das zentralisiert."
Ein paar Klicks auf der Website des Bezirks Marzahn-Hellersdorf – und schon ploppen die aktuellen Stellenangebote auf: Sachbearbeiterinnen, Hausmeister, Ingenieure, auch Leitungsfunktionen sind zu besetzen. Es gebe Resonanz, sagt Bürgermeister Gordon Lemm. In diesem Jahr habe man 60 Menschen mehr gewinnen können als ausgeschieden sind, und von den unbesetzten Stellen seien 140 "in Bearbeitung".
Aber er braucht auch Sozialarbeiter, Fachkräfte für Tiefbau und Ärztinnen, und da gebe es zu wenig Bewerbungen. Würde das durch eine zentrale Steuerung für Personal, wie ihn der Hauptpersonalrat fordert, besser? Lemm bleibt darauf eine eindeutige Antwort schuldig, bevorzugt aber eine etwas andere Lösung: Das Land legt nach Absprache mit den Bezirken Ziele fest und finanziert das Personal, das es dafür braucht. Diese Modell habe seine Partei-Kollegin Franziska Giffey als angehende Regierende Bürgermeisterin Berlins auch mit in die Koalitionsverhandlungen genommen. Lemm nennt zudem einen weiteren Knackpunkt: "Wir müssen schneller werden." Wenn eine Stelle frei wird, dauere es im Bezirksamt ein Jahr, bis sie endlich besetzt ist.
Gerade junge Menschen müssen gewonnen werden, deswegen hat der Bezirk Neukölln die Kampagne #typischneukoelln [typischneukoelln.de] gestartet und geht damit jetzt in die zweite Runde. Porträts von Mitarbeitenden des Bezirksamts laufen in den sozialen Medien und sind auf Plakaten zu sehen. Verantwortlich für die Neueinstellung der Nachwuchskräfte ist Tülin Sezgin. "Besonders in Neukölln ist, dass die Leute sich wirklich mit dem Bezirk identifizieren", sagt Sezgin. Sie spüre viel Herzblut und viel Stolz in ihrem Bezirk. "So wie die Gesellschaft in Neukölln ist, so ist auch die Behörde."
Die 33-Jährige war früher Eventmanagerin in der freien Wirtschaft. In die Verwaltung ist sie gewechselt, weil es hier viele Möglichkeiten gibt: berufliche Perspektiven, sich weiterzuentwickeln, die Chance, noch nebenbei zu studieren und bezahlte Fortbildungen zu machen. Und für Körper und Seele gibt es Yoga-Kurse und eine Kooperation mit Fitness-Studios.
Laut Bezirksamt hat sich die Zahl der Interessenten im zweiten Jahr der Kampagne verdoppelt: mit etwa 8.000 Bewerbungen auf 300 Stellenausschreibungen und 400 leere Stellen. Das liegt sicher nicht nur an der Kampagne, aber rund sieben Prozent der Stellen sind zurzeit unbesetzt - für Berlin ein guter Wert. Der Altersdurchschnitt im Bezirksamt liegt bei 46,5 Jahren – auch das gilt berlinweit als recht jung. Aber das Amt soll noch jünger werden.
Sendung: Abendschau, 26.11. 2021, 19:30 Uhr
Beitrag von Wolf Siebert und Christina Rubarth
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