BerlinTrend | Analyse
Die Grünen sind zurück an der Spitze. Der BerlinTrend sieht die Partei bei der Sonntagsfrage knapp vor der Wahlgewinnerin SPD und der CDU. Mit der aktuellen landespolitischen Lage dürfte das allerdings wenig zu tun haben. Von Thorsten Gabriel
Noch keine 100 Tage ist der rot-grün-rote Senat im Amt, da haben sich die Kräfteverhältnisse zwischen den Regierungsparteien schon wieder umgekehrt - zumindest laut Meinungsumfrage. Zog die SPD am Wahlabend noch an den Grünen vorbei auf Platz eins, haben sich eben diese Grünen den Platz nun zurückergattert.
Im BerlinTrend von Infratest dimap im Auftrag der rbb-Abendschau und der "Berliner Morgenpost" kommen sie jetzt auf 21 Prozent, wobei ihnen sowohl die SPD als auch die CDU mit 20 Prozent im Nacken sitzen.
Eine naheliegende Erklärung dafür gibt es nicht. Zwar besetzen die Grünen das coronabedingt stark geforderte Gesundheitsressort, doch Senatorin Ulrike Gote hatte in den zurückliegenden Wochen kaum Gelegenheit, als Krisenmanagerin öffentlich zu punkten. Der Krieg in der Ukraine hatte die politischen Prioritäten schlagartig verschoben.
Zuletzt zeigte deshalb neben der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) vor allem Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) Präsenz. Ausgerechnet deren Parteien büßten allerdings in der jüngsten Umfrage Prozentpunkte ein. Die Linke liegt jetzt bei zwölf Prozent.
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Auch das leichte Plus bei der CDU gegenüber dem Wahlergebnis lässt sich kaum aus dem Auftreten der Partei in den vergangenen Monaten deuten. Öffentlich trat sie - auch bedingt durch Corona- und Ukraine-Krise - kaum in ihrer Oppositionsrolle in Erscheinung. Der neue Fraktionschef Kai Wegner hielt zwar bereits einige Reden im Abgeordnetenhaus, stieß zuletzt aber auf Unverständnis bei den übrigen Fraktionen.
Nach einem bewegenden Auftritt des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk im Parlament hatte Wegner seine Redezeit dafür genutzt, eher oberflächliche parteipolitische Attacken gegen den Senat zu fahren. Das kam nicht nur im Regierungslager schlecht an, sondern auch bei der ebenfalls oppositionellen FDP, die sich an dieser Stelle für einen staatstragenden Auftritt entschied.
Erklären lässt sich dieser BerlinTrend schon eher, wenn man ihn neben die Umfragen vorangegangener Jahre legt. Dann zeigt sich nämlich deutlich, dass der Zuspruch für die Grünen, eher mit den berühmten "längerfristigen Überzeugungen" der Wähler:innen in Berlin zu tun haben dürfte: In den 13 BerlinTrend-Umfragen der vergangenen Wahlperiode (seit Ende 2016) hatten die Grünen am häufigsten die Nase vorn, nämlich sieben Mal. In drei Umfragen war die Union an der Spitze und nur zwei Mal (im November 2016 und im August 2021) die regierungsführende SPD. Dass übrigens auch die Linke in dieser Zeit einmal stärkste (Umfrage-)Kraft war, im Mai 2018, kann man wohl eher als Demoskopie-Ausrutscher deuten.
Der Zeitverlauf belegt, wie wenig die politische Stimmung während einer Wahlperiode mit den Kreuzen zu tun hat, die die Wählerinnen und Wähler am Ende auf den Stimmzetteln setzen. Blickt man anschließend noch auf die Zufriedenheitswerte, die die neue Regierungskoalition und ihre Regierungschefin im jüngsten BerlinTrend einfahren, sieht man auch dort, dass es gefestigte Umfragetraditionen gibt: Mit lediglich 39 Prozent der Befragten, die mit der Arbeit des Senats zufrieden oder gar sehr zufrieden sind, ist die Berliner Landesregierung wieder mal Schlusslicht unter den Regierungen der Bundesländer.
Auch Franziska Giffey selbst kann ihre mediale Dauerpräsenz nicht in Zustimmung für sich umwandeln: 40 Prozent sind mit ihrer Arbeit zufrieden oder sehr zufrieden. Das sind zwar drei Prozentpunkte mehr als noch im August vergangenen Jahres, liegt aber deutlich unter dem "Abschiedswert" des vorherigen Regierenden Bürgermeisters Michael Müller, der auf 45 Prozent kam. Zum Vergleich: Klaus Wowereit kam als Regierungschef seines rot-roten Bündnisses zwischen 2001 und 2011 zuweilen auf persönliche Zustimmungswerte von fast 70 Prozent.
Die geringen Zustimmungswerte zur neuen Regierung und ihrer Chefin sind allerdings insofern bemerkenswert, als dass sich der neue Senat, anders als die Vorgängerregierung bislang weitgehend als geschlossenes Team präsentiert. Meinungsverschiedenheit werden nicht auf offener Bühne ausgetragen.
Auch die Regierungsfraktionen im Abgeordnetenhaus gehen halbwegs pfleglich miteinander um und stechen nur wenige Spitzen gegen die Koalitionspartnerinnen nach draußen durch. Da müssten eigentlich bessere Zufriedenheitswerte drin sein, sollte man meinen. Aber so viel Freundlichkeit liegt offenbar einfach nicht im Naturell der Wahlberechtigten. Berlin bleibt eben doch Berlin, auch demoskopisch.
Sendung: Abendschau, 23.03.2022, 19:30 Uhr
Beitrag von Thorsten Gabriel
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