Parkplatzsuche in Berlin
In Berlin werden die Parkgebühren angehoben, zum ersten Mal seit 18 Jahren. Das eigene Auto auf der Straße abstellen zu können, gilt auch in der Innenstadt immer noch als völlig normal - trotz zunehmender Platzprobleme. Andere Städte lösen diese radikaler. Von Sebastian Schneider
Überschrift gelesen? Gut, dann haben Sie jetzt wahrscheinlich einen Ohrwurm. Aber was einst Grönemeyer besungen hat, kennt jeder, der in der Großstadt nach Feierabend einen Parkplatz sucht. Umgerechnet etwa 2,5 Tage Lebenszeit im Jahr widmen Berliner Autofahrer dieser Odyssee [inrix.com].
Es nervt, auf der einen Seite. Auf der anderen: Wenn man erstmal in die ersehnte Lücke geprescht ist, macht es in vielen Teilen der Stadt keinen Unterschied, ob man sein Auto am nächsten Tag wieder wegfährt oder vier Wochen nicht mehr anrührt. Zu parken kostet einen nichts - oder als Anwohner eben etwas mehr als 10 Euro im Jahr.
Der Berliner Senat will das ändern, so wie er es in seinem Koalitionsvertrag beschlossen hat: Die Parkraumbewirtschaftung soll in den nächsten Jahren bis auf den gesamten Bereich innerhalb des S-Bahn-Rings erweitert werden. Schon zum 1. Juli steigen die Parkgebühren um einen Euro pro Stunde, je nach Bezirk sind es dann 2 bis 4 Euro, statt wie bisher 1 bis 3.
18 Jahre lang sind die Gebühren nicht angerührt worden, trotzdem taugt die Erhöhung nun zu grundlegender Empörung - denn das Thema Parken ist hochemotional. Es geht um die Frage, wie viel der Platz, auf dem man sein Auto in der Öffentlichkeit abstellen darf, eigentlich wert ist.
Denn das Blech rollt: Mit der Zahl der Bewohner steigt auch die Zahl der zugelassenen Autos in Berlin. Rund 1,24 Millionen Pkw sind hier inzwischen angemeldet, fast zehn Prozent mehr als noch vor zehn Jahren - und die müssen irgendwo hin. 12 bis 15 Quadratmeter groß ist ein Stellplatz am Straßenrand, wie es sich in Deutschland gehört, ist das sauber genormt. Stand: 2005.
Die Automodelle aber werden immer größer, egal ob Elektromotor oder Verbrenner. Den bedeutendsten Anteil der Neuzulassungen machen SUV-Modelle aus, aber auch Smart und Golf sind gewachsen. Das führt dazu, dass das Bundesverkehrsministerium inzwischen den Standard nach oben setzt: Statt bisher 1,76 Meter ist das Norm-Kfz nun 1,89 Meter breit, ohne Außenspiegel. Deshalb sollen auch die vorgegebenen Parkflächen um zehn Prozent wachsen. Doch der Platz ist endlich. Verkehrserhebungen und Parkraumgutachten zeigen laut des Think-Tanks Agora Verkehrswende, dass 40 Prozent der Autos in Deutschland nicht täglich bewegt werden - fast ein Drittel nicht einmal wöchentlich.
"In den großen Innenstädten, wo die Flächenkonkurrenz am größten ist, gerät das System an seine Grenzen. Das parkende Auto ist die ineffizienteste Nutzung öffentlicher Straßenräume, durchschnittlich 23 Stunden am Tag steht es ungenutzt herum. Parkraumbewirtschaftung ist die zentrale Stellschraube, die Kommunen haben", sagt Uta Bauer, Mobilitätsforscherin beim Deutschen Institut für Urbanistik (difu), das unter anderem den Deutschen Städtetag berät. Auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) und der ADAC fordern mehr kostenpflichtige Parkplätze, "um die Anwohnerschaft vom Parkdruck zu entlasten".
Finanziert wird ein öffentlicher Stellplatz von allen Steuerzahlern, denn die reinen Parkgebühren decken bisher nicht einmal ansatzweise die Kosten für Verwaltung, Kontrollen und Wartung. Mit dem tatsächlichen Wert der Flächen habe das nichts zu tun, sagte Joachim Scheiner, Verkehrsforscher an der Technischen Universität Dortmund, "Zeit Online".
Das machen besonders die Preise fürs Anwohnerparken deutlich: Bis vor zwei Jahren war die Gebühr für eine Vignette bundesweit auf 30,70 Euro pro Jahr gedeckelt - durch eine Gesetzesänderung dürfen Länder und Kommunen die Höhe nun selbst festlegen.
Noch zahlt man in Berlin 10,20 Euro im Jahr für so eine Vignette, den Mindestbetrag. Am anderen Ende der Skala: Stockholm mit umgerechnet 827 und Oslo mit 890 Euro. "Die jetzigen Gebühren ändern kein Verhalten. Aus Nutzersicht funktioniert es wie bei jedem anderen Preis. Erst wenn es so teuer ist, dass ich darüber nachdenke, stelle ich mich um", sagt Wolfgang Aichinger, Projektleiter Städtische Mobilität bei Agora Verkehrswende.
Nicht nur Berlin erhöht die Gebühren deshalb: Ab Anfang kommenden Jahres soll ein Anwohnerparkausweis in der Hauptstadt jährlich 120 Euro kosten. Andere Städte wie Freiburg gehen auf 360 Euro pro Jahr, in der Stuttgarter Innenstadt sind 400 Euro geplant.
Anders als Bundessteuern wie die Energiesteuer, die man für Kraftstoffe zahlt, können Städte diese Einnahmen zweckgebunden verwenden: Metropolen wie Wien stecken Geld aus der Parkraumbewirtschaftung nachweislich in den Nahverkehr und subventionieren damit einen Teil des 365-Euro-Tickets. In Berlin ist man von so einem Ticket noch weit entfernt.
Um aber Leute zum Umstieg zu bewegen, muss man den ÖPNV deutlich attraktiver machen als jetzt. Die Forschung zeigt jedoch auch: Selbst wenn man den Nah- und Radverkehr noch so gut ausbaut (und hier klafft in Berlin auch im sechsten Jahr der ausgerufenen Verkehrswende eine breite Lücke zwischen Anspruch und Realität), ändert das das Mobilitätsverhalten noch längst nicht. Dafür ist das Auto unschlagbar bequem, auch wenn es nur für gut ein Viertel der Wege in der Stadt verantwortlich ist.
Deshalb sprechen Mobilitätsforscher hier von nötigen "Push-and-Pull"-Maßnahmen, also Anreiz und Abschreckung. "Gerade in der Verkehrspolitik gibt es meistens nur den Gedanken: Wenn wir nur schöne neue Angebote schaffen, dann werden die Leute schon umsteigen. Das spricht aber erfahrungsgemäß nur einen geringen Teil an", sagt Volker Blees, Professor für Verkehrswesen an der Hochschule Rhein-Main.
Dass es mit der Idee von Zuckerbrot und Peitsche nicht schneller vorangeht, liegt - wie könnte es anders sein - vor allem an der Bürokratie. Nicht nur die berüchtigte Doppelstruktur von Senat und Bezirken bremst, sondern auch die Zettelwirtschaft: Die Überwachung von Parkraum kostet die Stadt auch deshalb soviel, weil die Kontrollen ineffizient sind, nicht zuletzt wegen des Datenschutzes. Jeder Anwohnerparkausweis wird immer noch von der Behörde ausgedruckt und abgestempelt, digital liegen die Berechtigungen nicht vor. Handyparken geht zwar inzwischen, die Daten des einzelnen Parktickets werden aber nicht vernetzt.
In Amsterdam und Oslo dagegen fahren sogenannte Scan-Cars durch die Straßen und erfassen automatisch die Kennzeichen der parkenden Autos. Sie gleichen ab, ob das Fahrzeug die entsprechende Parkerlaubnis hat oder nicht - das geht viel schneller und mit weniger Personal als die Touren der unterbesetzten Ordnungsämter. Berlin testet das gerade ein bisschen.
Und: Die Stadtverwaltung in Amsterdam kontrolliert nicht nur häufiger, sie weiß auch genau, wieviele Parkplätze überhaupt zur Verfügung stehen und dementsprechend, wieviele Anwohnerparkausweise und Kfz-Zulassungen sie ausstellen kann. Nur wenn ein Platz da ist, bekommt man eine Erlaubnis. Ansonsten gehts auf die Warteliste.
Die deutsche Straßenverkehrsordnung dagegen erlaubt seit Jahrzehnten jedem, sein Auto am Straßenrand abzustellen, wenn dem "nichts anderes entgegensteht". Wieviele Autos wo gemeldet sind, weiß jede Behörde. Wieviel Platz für diese zur Verfügung steht, nicht.
Weder Senat noch Bezirke können genau sagen, wieviele Parkplätze es gibt, zeigt eine Anfrage von rbb|24. In Mitte etwa sind 55.500 Plätze kostenpflichtig, von insgesamt "vermutlich zirka 80.000", wie die Sprecherin des Bezirksamts sagt.
In Neukölln weiß man nur über den dicht besiedelten Norden des Bezirks Bescheid [github.io], südlich des Rings ist alles Terra Incognita. Tempelhof-Schöneberg, Pankow, Lichtenberg und Reinickendorf können keine Angabe machen. Auch der Spandauer Bezirksstadtrat hat keine Daten. Der Bezirk erhebt diese Zahl nicht, ließ er am Dienstag mitteilen. Dabei hatte er kurz zuvor eindringlich vor dem Wegfall von Parkplätzen gewarnt [B.Z.].
Andere Städte nähmen die Besitzer privater Kfz beim Flächenverbrauch stärker in die Verantwortung als die Allgemeinheit, sagt der Mobilitätsforscher Weert Canzler vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB): "Singapur und Tokio knüpfen eine Fahrzeugzulassung an den Nachweis eines Stellplatzes. Das halte ich für eine naheliegende Idee." Japanische Kommunen wie Tokio bieten mehr kleinere als größere Stellplätze an: Je zierlicher der Wagen, desto höher die Chance, reinzupassen - ein ganz anderer Weg als der der deutschen Verkehrsplaner.
Paris, Brüssel und Amsterdam, Barcelona oder Madrid streichen in den kommenden Jahren systematisch Parkflächen für Privatautos auf den Straßen, zugunsten von Grünflächen, Bänken, Fahrrad- und Fußwegen. Die Verwaltungen kommunizieren das allerdings transparent: In Paris etwa können alle Bürger auf Karten verfolgen, wo in welchem Jahr wieviele Flächen wegfallen und was aus diesen gemacht wird - sie sind deshalb nicht begeisterter, aber können sich besser darauf einstellen.
In Amsterdam sehen Bürger außerdem genau, wie lange sie auf einen Anwohnerparkausweis in der gewünschten Gegend warten müssen. Das System ist kein Labyrinth der Zuständigkeiten, sondern für jeden nachvollziehbar. "In der Regel weiß ich für diese Innenstädte: Wenn ich ein Auto habe, kann ich nicht damit dort hinziehen. Bei uns wird dagegen bis heute suggeriert, es gäbe immer eine Möglichkeit, egal wie", sagt Uta Bauer vom difu.
Anders als Berlin nehmen diese Verwaltungen aber nicht einfach nur Parkraum draußen weg (Stichwort Parklets), sondern nutzen auch Ersatz, der bisher kaum im Blickfeld der Verkehrsplanung liegt: Parkhäuser und -garagen, selten ausgelastet.
In Rotterdam ist es günstiger in einem Parkhaus zu parken als auf der Straße, also schwenken die Fahrerinnen und Fahrer um. In Hamburg-Ottensen, Frankfurt am Main und Stuttgart hat die Verwaltung das Ziel, das Parken in der Innenstadt nur noch in Parkhäusern zu ermöglichen. Damit sich das nicht nur wohlhabendere Autofahrer leisten können, müssten Subventionen von draußen nach drinnen fließen.
In Berlin kostet heute ein privat vermieteter Stellplatz in einer Tiefgarage pro Monat um die 90 Euro, in den Parkhäusern der Innenstadt zwischen 60 und 185 Euro - ein Vielfaches teurer als auf der Straße. Dass das so ist, gilt als selbstverständlich. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg testet gerade in einem Modellversuch im Graefekiez, Anwohnern zum subventionierten Preis von 30 Euro monatlich einen Stellplatz im Parkhaus am Hermannplatz anzubieten. Kopenhagen fördert das seit Jahren so [sueddeutsche.de].
Was aber wäre am Ende ein fairer Preis - und wer legt fest, was fair ist? Hier gibt es an anderen Orten unterschiedliche Ideen. Freiburg beispielsweise bevorzugt nicht nur Menschen mit Behinderung oder Sozialleistungsempfänger, sondern staffelt auch nach Länge des Fahrzeugs: Wer einen Kleinwagen hat, spart pro Jahr 120 Euro, wer einen vom Kaliber länger als 4,70 Meter hat, zahlt den gleichen Betrag drauf.
Zweitwagen kosten deutlich mehr, auch die ÖPNV-Anbindung fließt mit ein: Wo der Nahverkehr dünner ist, wird Dauerparken billiger. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) schlägt außerdem vor, das Gewicht des Autos miteinzubeziehen - hier bringen auch die vergleichsweise schweren Elektrofahrzeuge keinen Vorteil.
"Die Frage ist, ob wir es am Ende schaffen, eine soziale Differenzierung hinzubringen, also Anwohnerparkgebühren an das Einkommen zu koppeln. Natürlich wird auch weiterhin ein Teil der Anwohnenden beruflich auf sein Auto angewiesen sein", sagt Verkehrsforscher Volker Blees. In Berlin beispielsweise sollen Schichtarbeiter, sowie Beschäftigte von Polizei, Feuerwehr oder Krankenhäusern an ihrem Arbeitsort gratis parken.
Weert Canzler vom WZB schlägt vor, den Preis fürs Parken mit dem einer Monatskarte für den ÖPNV gleichzusetzen, Peitsche und Zuckerbrot. In Berlin wären das momentan 86 Euro. Einen etwas drastischeren Ansatz verfolgt der Dortmunder Verkehrsforscher Scheiner: Er bezeichnet die Kosten für eine vergleichbare Standfläche auf einem Wochenmarkt als angemessen. Das wären etwa 2.000 Euro pro Stellplatz und Jahr.
Dass aber Parkgebühren in Innenstädten generell erhöht werden müssen, um den Druck auf die Straße zu mindern, darüber zeigen sich die Fachleute einig. "Was man dadurch mit Sicherheit erreicht, ist ein Nachdenken über Fahrzeuge, die in Wahrheit nicht regelmäßig genutzt werden. Das haben wir nach den Saharastaub-Perioden in diesem Jahr schön feststellen können. Da sah man auch nach etlichen Tage noch geparkte Autos mit vollkommen verstaubten Windschutzscheiben – die waren also nicht bewegt worden", sagt Volker Blees. Die anderen drehten weiter ihre Runden.
Beitrag von Sebastian Schneider, rbb|24
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