BerlinTrend
Vom 29-Euro-Ticket bis zum Kündigungsmoratorium – den Berliner:innen gefällt, was der Senat in der Krise auf den Weg bringt. Die Zustimmung zu ihrer praktischen Politik kann die Koalition aber nicht in Wählerstimmen ummünzen. Mit einer Ausnahme. Von Jan Menzel
Die schwere Geburt des Berliner 29-Euro-Tickets zeigt es am besten: Fast zwei Wochen mussten die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) rödeln, bis die Bedenken des Bundesverkehrsministeriums ausgeräumt waren. Mit teils hektischer Telefondiplomatie wurden einzelne Landräte in Brandenburg überzeugt und die verstimmte Landesregierung in Potsdam besänftigt, bis die beiden Spitzenfrauen Vollzug melden konnten: Das Berliner 29-Euro-Ticket kommt von Oktober bis Dezember.
Doch die harte politische Arbeit zahlt sich bislang nicht für alle aus, die sich abgerackert haben. Obwohl die Sozialdemokraten mit ihrer Regierenden Bürgermeisterin Giffey das Ticket kurzerhand zu ihrer Sache gemacht und durchgeboxt haben, rutscht die SPD tiefer in den Umfragekeller. Die Linke kommt zahlenmäßig nicht vom Fleck. Einzig die Grünen können sich in der Wählergunst sonnen und den Auftrieb genießen.
Dabei hätte das 29-Euro-Ticket durchaus das Zeug zum kollektiven Wahlkampfschlager für Rot-Grün-Rot. Das zeigt der BerlinTrend von infratest dimap im Auftrag von rbb24 Abendschau und "Berliner Morgenpost". Mehr als Dreiviertel der Befragten finden, dass das 29-Euro-Ticket für Berlin eine super Sache ist. Fast genauso viele begrüßen das ebenfalls vom Senat und rot-grün-roter Koalition verkündete Kündigungsmoratorium. Es sieht vor, dass kein Mieter und keine Mieterin bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften die Wohnung verlieren soll, weil er oder sie die Energiepreise nicht mehr zahlen kann.
Und auch der dritte Baustein des Berliner Entlastungspakets trifft offenkundig den Nerv: 74 Prozent der Berlinerinnen und Berliner finden es richtig, dass Unternehmen, die in eine Schieflage rutschen, direkt mit Landesgeld geholfen wird. So wurde schon in der Corona-Pandemie verfahren, und so will es der von Franziska Giffey geführte Senat auch dieses Mal handhaben.
Die Berliner Koalitionäre haben auch an anderer Stelle das richtige Gespür gezeigt, ohne dass alle dafür in den Umfragen "belohnt" worden wären. Während sich Politiker im Bund oder in anderen Ländern mit Ratschlägen zum Energiesparen hervortaten, blieben Senatsmitglieder an dieser Stelle eher zurückhaltend. Dahinter könnte die Ahnung gesteckt haben, dass die Menschen auch ohne Tipps zur Duschdauer oder zum Gebrauch eines Waschlappens sensibilisiert sind.
Im BerlinTrend geben 83 Prozent der Befragten an, dass sie stärker auf ihren Stromverbrauch und auf ihr Heizverhalten achten. Verzicht und Zurückhaltung zeigen sich auch beim Konsum: Die Hälfte der Berlinerinnen und Berliner kauft wegen der höheren Preise weniger ein. Ebenfalls 50 Prozent sagen, dass sie seltener im Restaurant essen, ins Kino gehen oder andere Freizeiteinrichtungen besuchen.
Trotz der allgegenwärtig steigendenden Preise stellt die große Mehrheit der Befragten in Berlin die Sanktionen gegen Russland nicht in Frage. 63 Prozent unterstützen das Embargo. Besonders auffällig ist, dass die Nähe zu Parteien hier eine entscheidende Rolle spielt. Lediglich die Anhänger der AfD stellen sich mehrheitlich gegen das Russland-Embargo. Bei den Unterstützern der Linken halten sich Zustimmung und Ablehnung die Waage.
Die Sympathisanten der Grünen stehen dagegen fast geschlossen hinter den Sanktionen. Unter den SPD-Anhängern sind es 80 Prozent, die die Russland-Politik in dieser Frage unterstützen.
Aber auch hier bleibt es bei dem Paradox: Die Spitzenleute aller drei Regierungsparteien stehen klar hinter der mehrheitlich getragenen Embargo-Politik. Doch nur die Grünen punkten beim Wahlvolk.
Sendung: rbb24 Inforadio, 23.09.2022, 18:40 Uhr
Beitrag von Jan Menzel
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