Zahlen der AOK zu "Gender Care Gap"
Wer sich zuhause um einen Angehörigen mit einem Pflegegrad kümmert, leistet enorme Arbeit. Zahlen der AOK für Berlin und Brandenburg zeigen, dass diese Arbeit noch immer vor allem Frauen übernehmen.
Die Pflegearbeit bei Angehörigen leisten in Berlin und Brandenburg noch immer hauptsächlich Frauen. Diesen Schluss legt eine Auswertung der AOK Nordost nahe, die rbb|24 vorliegt. Die Krankenkasse hatte als Grundlage die Daten von 19.600 bei ihr versicherten Pflegepersonen untersucht. Das sind Menschen, die mindestens zehn Stunden pro Woche einen Angehörigen mit mindestens Pflegegrad zwei zu Hause pflegen.
Laut der Auswertung liegt der Frauenanteil in Berlin hier bei 72,5 Prozent, in Brandenburg bei 76,5 Prozent. Am deutlichsten ist dieses sogenannte "Gender Care Gap", also die Lücke zwischen den Geschlechtern, in der Altersgruppe zwischen 30 und 49 Jahren: Hier sind es in Berlin zu 75,5 Prozent Frauen, die sich als Pflegepersonen um Angehörige mit einem Pflegegrad kümmern, in Brandenburg fast 80 Prozent.
Solche Pflegepersonen erhalten Vorteile in der Rentenversicherung, dürfen im Gegenzug aber höchstens 30 Stunden pro Woche arbeiten. Zu der Frage der Aussagekraft und somit Relevanz der Daten sagte ein Sprecher am Montag, in Berlin seien rund ein Fünftel der Bewohnerinnen und Bewohner bei der AOK Nordost versichert, in Brandenburg rund ein Viertel.
Die Zahl solcher Pflegepersonen ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, was zunächst daran liegt, dass es mehr pflegebedürftige Menschen gibt - eine Folge des demografischen Wandels. In Berlin stieg sie laut der Erhebung der AOK zwischen 2017 und 2021 um rund 30 Prozent. Der Anteil der Männer, die ihre Angehörigen pflegten, stieg dabei lediglich um 1,2 Prozentpunkte. In Brandenburg sank er sogar leicht.
Ein wichtiger Grund für die deutliche Lücke zwischen Frauen und Männern ist vor allem das Geld. Zwar haben beide Geschlechter seit 2015 den gleichen Rechtsanspruch auf 24-monatige Arbeitszeitreduzierung für eine sogenannte "Familienpflegezeit". Dieser Anreiz könnte zuerst mal ein weiterer Grund dafür sein, dass die Zahl der Pflegepersonen so stark gestiegen ist. Aber die damit verbundenen Einkommensverluste können Pflegende aktuell nur durch ein zinsloses Darlehen ausgleichen, das sie später in der Regel zurückzahlen müssen.
Weil dieser Einkommensverlust bei Männern im Schnitt größer ausfällt als bei Frauen, entscheiden sich viele Männer gegen die Pflege - auch hier macht sich bemerkbar, dass Frauen in vielen Berufen noch immer weniger verdienen. "Männer können sich die monetären Einbußen einer Arbeitszeitreduzierung oftmals einfach nicht erlauben. Denn durch die Pflegesituation sind eher mehr Mittel nötig, sodass weniger Einkommen die Probleme noch verschärft. Das ist eine echte Gender-Falle, in die Frauen und Männer dabei durch die vorherrschende Arbeitsteilung geraten", sagt Dag Schölper, der Geschäftsführer des Interessensverbandes "Bundesforum Männer".
Ein Indiz: Besonders im Lebensalter zwischen 30 und 49 Jahren, Jahre, die für die weitere berufliche Karriere oft entscheidend sind, klafft das "Gender Care Gap" am breitesten. Was logischerweise berufliche Folgen für Frauen bedeutet, die in diesen Jahren nicht so präsent im Job sein können. Noch immer ist die Regel: Männer übernehmen im Schnitt mehr Erwerbsarbeit, Frauen mehr unbezahlte Pflege-, Haushalts-, Kinderbetreuungsarbeit [diw.de].
Die Berliner Versicherten, deren Daten die AOK für ihre Pflegepersonen-Erhebung analysierte, waren im vergangenen Jahr im Schnitt rund 47 Jahre alt, durchschnittlich vier Jahre älter als der Schnitt der Gesamtbevölkerung Berlins. Rund die Hälfte der pflegenden Angehörigen in Berlin ist zwischen 50 und 64 Jahre alt, rund 40 Prozent sind zwischen 30 und 49 Jahre alt. In Brandenburg, wo sich die Krankenkasse die Daten von 21.800 pflegenden Versicherten ansah, lag der Altersschnitt bei 53 Jahren. Hier waren rund zwei Drittel der Pflegepersonen zwischen 50 und 64 Jahre alt.
Beim Anteil der männlichen Pflegepersonen zeigt sich nochmal ein Unterschied zwischen Berlin und Brandenburg: In der Hauptstadt sind besonders jüngere Männer häufiger in der Pflege eines Angehörigen vertreten, bei den 15- bis 29-Jährigen liegt der Anteil in Berlin bei 34,2 Prozent, in Brandenburg bei 23 Prozent. Dieser Unterschied löst sich aber mit zunehmendem Alter auf. Bei den Pflegepersonen über 65 Jahren liegt der Männeranteil in Brandenburg leicht vor dem in Berlin.
Sendung: rbb 88.8, 30.11.2022, 10:00 Uhr
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