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Audio: rbb24 Inforadio | 07.11.2022 | Anita Fünffinger | Quelle: dpa/Valentin Wolf

Kritik der Union dauert an

Bundestag stimmt für Bürgergeld-Reform

Höhere Regelsätze, höhere Hinzuverdienste, weichere Sanktionen: Der Bundestag hat für die Umwandlung der Hartz-IV-Grundsicherung in ein Bürgergeld gestimmt. Doch im Bundesrat ist die Ampel-Koalition auf CDU und CSU angewiesen. Dort scheint kein Kompromiss in Sicht.

Der Bundestag hat die Umwandlung der Hartz-IV-Grundsicherung in ein Bürgergeld beschlossen. Für den Gesetzentwurf der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP stimmten am Donnerstag 385 Abgeordnete bei 261 Nein-Stimmen und 33 Enthaltungen, wie Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt mitteilte. Damit wird das 2005 eingeführte Arbeitslosengeld II durch ein Bürgergeld ersetzt.

Der Bundesrat muss allerdings noch zustimmen und berät darüber am Montag in einer Sondersitzung. Da die Union die Reform in wesentlichen Teilen nicht mittragen will, stellt sich die Regierung auf ein Vermittlungsverfahren von Bundestag und Bundesrat ein.

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Hartz IV soll schon bald der Vergangenheit angehören. Begleitet von Kritik aus der Wirtschaft und von Sozialverbänden beschließt die Bundesregierung das Bürgergeld, erhöht die Leistungen und will den Umgang mit den Betroffenen verbessern.

Ampel auf Union angewiesen

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) verteidigte das Vorhaben noch einmal deutlich gegen Kritik - während zahlreiche Politiker der Opposition ihren Unmut über die Sozialreform zum Ausdruck brachten. Scharfe Auseinandersetzungen gab es vor allem zwischen Vertretern der Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP und Abgeordneten von CDU und CSU. Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Hermann Gröhe (CDU) warf der Ampelkoalition vor, sich jeglicher Debatte über die "Webfehler" des Gesetzes zu verweigern.

Die Union, auf deren Zustimmung die Ampel später aber im Bundesrat für eine endgültige Verabschiedung des Bürgergelds angewiesen ist, hat den angepeilten Wechsel weg vom bisherigen Hartz-IV-System in den vergangenen Wochen immer wieder scharf kritisiert und droht mit einer Blockade in der Länderkammer.

Damit könnte der rot-grün-gelbe Zeitplan ins Wanken geraten, denn eigentlich soll das geplante Bürgergeld schon zum 1. Januar 2023 die bisherige Grundsicherung Hartz-IV ablösen. Ziel ist es, Betroffene in die Lage zu versetzen, sich stärker auf Weiterbildung und Arbeitssuche konzentrieren zu können. Sie sollen dafür vom Jobcenter weniger unter Druck gesetzt werden. Die Änderungen betreffen knapp fünf Millionen Leistungsbezieherinnen und -bezieher sowie 405 Jobcenter mit fast 75.000 Beschäftigten.

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53 Euro mehr für alleinstehende Bezieher

Der Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen soll am 1. Januar 2023 um 53 Euro von 449 Euro auf 502 Euro steigen. Künftig soll im Voraus statt im Nachhinein die Inflation bei der jährlichen Anpassung der Regelsätze berücksichtigt werden. Lebenspartner oder -partnerinnen sollen 451 Euro (bisher 404 Euro) bekommen, Kinder im Alter von 14 bis 17 Jahren 420 Euro (bisher 376 Euro). Für 6- bis 13-Jährige steigt der Satz auf 348 Euro (bisher 311 Euro) und für Kleinkinder bis fünf Jahre auf 318 Euro (bisher 285 Euro).

Nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums sollen unter anderem Vermögen und Angemessenheit der Wohnung erst nach 24 Monaten Bezug des Bürgergeldes überprüft werden (Karenzzeit). Während dieser Zeit sollen die Heizkosten nur noch in angemessener Höhe übernommen werden. Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Regierung sah an dieser Stelle kein Limit für die Kostenübernahme vor. Das hatte die Union scharf kritisiert.

Zudem ist vorgesehen, dass Vermögen bis 60.000 Euro und für jede weitere Person im Haushalt bis 30.000 Euro nicht angerechnet werden sollen (Schonvermögen).

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Weniger Druck im Jobcenter - entschärfte Sanktionen

Der bisherige Vermittlungsvorrang soll fallen. Leistungsbeziehende müssen nicht mehr jeden Job annehmen, sofern eine Aus- oder Weiterbildung sinnvoller erscheint, um ihre Job-Chancen zu verbessern. Es soll ein monatliches Weiterbildungsgeld von 150 Euro und weiterhin Prämien für Abschlüsse geben. Die bisher bis 2024 befristete mehrjährige Förderung von Langzeitarbeitslosen für die Rückkehr in einen regulären Job ("Sozialer Arbeitsmarkt") soll entfristet werden.

Im ersten halben Jahr des Bürgergeld-Bezugs (Vertrauenszeit) soll es keine Sanktionen geben - außer bei hartnäckigen Terminversäumnissen. Anschließend kann das Bürgergeld bei Pflichtverletzungen um bis zu 30 Prozent gekürzt werden. Die früheren schärferen Sanktionen für Unter-25-Jährige werden endgültig abgeschafft. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2019 Kürzungen von mehr als 30 Prozent für unzulässig erklärt. Die früheren, härteren Hartz-IV-Sanktionen sind derzeit bis zur Neuregelung ausgesetzt.

Wer oberhalb der Minijob-Grenze (künftig 520 Euro) bis zu 1.000 Euro hinzuverdient, soll 30 statt 20 Prozent der Einkünfte behalten können. Schüler, Studierende und Auszubildende können bis zu 520 Euro statt 100 Euro hinzuverdienen. Wer ein Ehrenamt hat, soll von der Aufwandsentschädigung mehr behalten können.

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Aus Sicht von CDU und CSU senkt das Bürgergeld die Motivation, eine Arbeit anzunehmen und schafft "Anreize zur Einwanderung in unser Sozialsystem", wie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erst kürzlich sagte. Die AfD argumentiert ähnlich: Die Anreize, "sich in die Hängematte zu legen", nähmen zu, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Bernd Baumann.

Unionspolitiker warnen derweil vor Leistungsmissbrauch. Sie bemängeln auch, es gäbe keine Anreize, wieder eine Arbeit aufzunehmen. Die Ministerpräsidenten von CDU und CSU könnten das Vorhaben im Bundesrat blockieren. Für die Einführung des Bürgergelds ist die Ampel auf Zustimmung von unionsregierten Bundesländern im Bundesrat angewiesen.

CDU-Chef Friedrich Merz hat am vergangenen Sonntag vorgeschlagen, im Bundestag zunächst eine Anhebung der heutigen Hartz-IV-Sätze zum Jahreswechsel zu beschließen. "Und dann müssen wir uns über diesen Systemwechsel unterhalten, der mit diesem sogenannten Bürgergeld vorgenommen wird", hatte der CDU-Chef in den ARD-"tagesthemen" gesagt. Er verwies dabei auf die vorgesehenen Schonvermögen und Karenzzeiten, mit denen die Union nicht einverstanden sei.

SPD und FDP kritisieren Äußerungen des CDU-Chefs

Seitens der Ampel-Koalition wird dieser Vorschlag abgelehnt. "Das Argument von Herrn Merz verwundert mich ein bisschen", sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Montag in Berlin. In den vergangenen Tagen habe sich die Union immer beklagt, dass der Abstand zwischen Bürgergeld und Löhnen nicht groß genug sei. Jetzt wechsele sie den Zusammenhang und wolle nur das Geld erhöhen. "Das wäre arbeitsmarktpolitisch zu kurz gesprungen. Deshalb werben wir für eine große Reform", sagte Heil.

Auch die FDP wies den Merz-Vorstoß zurück: "Einfach nur die Regelsätze erhöhen, ohne Leistungsgerechtigkeit und Aufstiegschancen durch Reformen zu verbessern - das kommt für die FDP nicht in Frage", sagte der stellvertretende Parteivorsitzende Johannes Vogel am Montag in Berlin. "Dass die Union das vorschlägt, zeigt, dass es ihnen und insbesondere Friedrich Merz offenbar gar nicht um Arbeitsanreize, sondern nur um die eigene Wahrnehmung in der Debatte geht."

Vogel betonte, mehr Geld für Transferempfänger müsse zwingend mit besseren Hinzuverdienstmöglichkeiten und mehr Möglichkeiten zur Qualifikation einhergehen. "Nur so wird der Grundsatz gestärkt: Wer arbeitet, soll mehr haben als der, der nicht arbeitet."

Snedung: rbb24 Inforadio, 10.11.2022, 12:00 Uhr

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