rbb-Krise
Ein Bonussystem für Führungskräfte, unsolide Haushaltsführung, ein überdimensioniertes neues Medienhaus: Für die großen rbb-Skandale ist nicht nur die alte Geschäftsleitung verantwortlich. Auch die Kontrollgremien wussten Bescheid. Von René Althammer und Jo Goll
Am 1. Dezember muss der rbb-Verwaltungsrat über das Ende des "Digitalen Medienhauses" entscheiden – jenen hoch umstrittenen Neubau, der einer der Auslöser der schweren rbb-Krise ist. Denn wenn es ums Geschäft geht, haben die Verwaltungsratsmitglieder das letzte Wort. "Der Verwaltungsrat überwacht die Geschäftsführung des Intendanten oder der Intendantin mit Ausnahme der inhaltlichen Gestaltung der Angebote", heißt es im rbb-Staatsvertrag vom 25. Juni 2002.
Gewählt werden die sieben Mitglieder des Verwaltungsrats vom Rundfunkrat. Auch der oder die Vorsitzende des Rundfunkrats dürfen an den Sitzungen des Verwaltungsrats teilnehmen, der sich um die "mittelfristige Finanzplanung" und die Wirtschaftspläne ebenso kümmert wie um alle Geschäfte, bei denen es um mehr als 200.000 Euro geht. Der rbb wird also gut kontrolliert – wie konnte es dann trotzdem zu den Skandalen kommen?
Januar 2018: Die Mitglieder des rbb-Verwaltungsrats trafen sich zur 100. Sitzung des obersten Kontrollgremiums. Auch die rbb-Geschäftsleitung um Patricia Schlesinger war vollständig erschienen. Nur die Vertreter der Rechtsaufsicht der Länder Berlin und Brandenburg ließen sich nach Informationen des rbb-Rechercheteams entschuldigen.
Auch deren Anwesenheit hätte wohl nichts am Ergebnis jener Sitzung geändert, denn: "Der Verwaltungsrat kontrolliert die Geschäfte der Intendanz sowie der rbb-Tochterunternehmen und schließt den Dienstvertrag mit Intendant oder Intendantin ab. Eine Einflussnahme durch die Landesregierung ist wegen des Gebotes der Staatsferne ausgeschlossen", heißt es aus den Staatskanzleien beider Länder.
Den Auftakt machte damals Wolf-Dieter Wolf, der Verwaltungsratsvorsitzende. Schnell kam er zu einem Thema, dass den rbb bis heute umtreibt: Es geht um das neue Konzept zur Bezahlung der Mitglieder der Geschäftsleitung und der Hauptabteilungsleiter, ausgearbeitet von der Firma Kienbaum. Monatelang soll das System entwickelt worden sein, neben der rbb-Intendantin Schlesinger und dem Verwaltungsratsvorsitzenden Wolf seien auch Mitglieder des Rundfunkrats und des Haushalts- und Finanzausschusses einbezogen worden.
Allen Teilnehmern der Sitzung wurde das neue System deutlich und unmissverständlich erklärt: Wenn die Mitglieder der Geschäftsleitung ihre Ziele voll erreichen, können sie zehn Prozent ihres Basisgehalts – das im Anstellungsvertrag festgelegt wird - zusätzlich bekommen.
Als das Bonus-System in diesem Jahr öffentlich wurde, kam es zu einem Aufschrei: Selbstbedienungsladen lautete der Vorwurf. Auch die ARD-Führungsspitzen empörten sich, obwohl sie schon lange wussten, was da im rbb ablief.
Recherchiert man dazu, wie das Bonussystem seinerzeit im rbb-Verwaltungsrat vorgestellt wurde, hat man den Eindruck, dass der durchaus dominant vortragende Verwaltungsratschef Wolf-Dieter Wolf das kollektive Kontrollgremium mehr oder weniger gut im Griff hatte. Als ein Mitglied fragte, inwieweit die Verwaltungsratsmitglieder auch über die Zielvereinbarungen der Direktoren oder der Intendantin und die Abrechnung informiert werden, verwies Wolf darauf, dass er in die Auswertung der Vereinbarungen einbezogen sei und den Verwaltungsrat so informieren werde, dass die Mitglieder ihrer Verantwortung nachkommen können.
Im Klartext: Der Verwaltungsratsvorsitzende steht im Zentrum – über ihn werden die Mitglieder informiert, ohne ihn scheint nur wenig zu laufen. Transparenz sieht anders aus. Aber Widerspruch dagegen scheint sich auch nicht geregt zu haben.
Am 1. Dezember 2022 trifft sich der Verwaltungsrat zur 130. Sitzung. Wolf-Dieter Wolf und Patricia Schlesinger sind nicht mehr dabei. Dabei geht es um ihr ehrgeizigstes Projekt: Das Digitale Medienhaus. Für Planungen und Vorbereitungen des Neubaus sollen bis Ende September 2022 gut 4,6 Millionen Euro geflossen sein.
Am 18. Juli 2022 wurden die Arbeiten vorerst gestoppt, weil Vorwürfe wegen möglicher Verstöße gegen das Vergaberecht und mögliche Interessenskonflikte aufkamen. Konkret ging es um explodierende Kosten sowie den damaligen Verwaltungsratsvorsitzenden Wolf-Dieter Wolf und seine Kontakte zu Beraterfirmen. Dabei wurde auch bekannt, dass Wolf über den Verwaltungsrat Rechtsgutachten in Auftrag gegeben hatte, wohl auch, um Widerstände im rbb-Justitiariat auszuräumen.
Jetzt muss der Verwaltungsrat offiziell die Beendigung des Projektes beschließen. Die Vorlage samt Anlagen soll nach Informationen des rbb-Rechercheteams mehr als 50 Seiten umfassen und kann wohl gut auch als Fundamentalkritik an der Arbeit des wichtigsten Kontrollgremiums während der Ära Schlesinger-Wolf gelesen werden.
Im Frühjahr 2020 wurden die Verwaltungsratsmitglieder darüber informiert, dass die Prognose für das DMH samt Teilprojekt "Weiterbetrieb Studio A und FSZ" bei 117 Millionen Euro liegt. Für Planungsleistungen, Ausschreibungen und Berater werden damals Ausgaben von mehr als fünf Millionen Euro genehmigt.
Finanzierungswege wurden gesucht, Projektbudgets festgelegt. Was fehlte, war die Antwort auf eine grundsätzliche Frage: Kann der rbb das DMH-Projekt mittel- und langfristig finanzieren?
Auch als die Mitglieder des Verwaltungsrats im Frühjahr 2022 allein für die Errichtung des Gebäudes eine Summe von bis zu 125 Millionen Euro genehmigten und der "Suche" nach einer Zwischenfinanzierung über 31 Millionen Euro zustimmten, lag ihnen keine Darstellung der Kostenentwicklung für das Gesamtprojekt vor. Später wurde der Vertragsabschluss blockiert.
Lediglich eine Übersicht über die "möglichen Sollzinszahlungsverpflichtungen" zwischen 2022 und 2026 erhielten die obersten KontrolleurInnen: je nach Zinssatz 865.000 bis zu eine Million Euro. Aber eine Prognose der Gesamtkosten samt Zinsen über 30 Jahre fehlte. Dabei hätte allein die Tilgung der knapp 190 Millionen Euro den rbb mindestens 5 Millionen Euro pro Jahr gekostet – je nach der Höhe der bewilligten Fördermittel für den Neubau.
Vielleicht hätten die Verwaltungsräte einfach auf die Berater zugehen und sie fragen sollen. Immerhin haben die teilweise exorbitante Tagessätze für ihre – mitunter auch gute – Arbeit bekommen: Drei Rechtsanwaltskanzleien, zwei Consultants, Projektsteuerer, Fördermittelberater usw. Sie alle haben mehr als 3,7 Millionen Euro an dem Projekt verdient, das nun beendet wird.
Noch sind nicht alle Verträge aufgelöst. Ein Teil der Ausgaben ist unwiederbringlich verloren und muss abgeschrieben werden. Dass die Geschäftsleitung über Jahre wohl nicht nur "über ihre Verhältnisse gewirtschaftet", sondern auch geplant hat, dafür sind auch die Mitglieder des Verwaltungsrats verantwortlich.
Nachdem die "Sparkasse" des Senders geplündert ist, drohen Einsparungen bei Programm und Personal – die Beitragszahler und die Belegschaft werden es hier und da zu spüren bekommen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 01.12.2022, 6 Uhr
Beitrag von René Althammer und Jo Goll
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