Gilt seit 1. Januar
Ausbeutung, Kinderarbeit, Umweltsünden: Immer wieder kommt es zu Skandalen bei Zulieferern deutscher Unternehmen. Seit 1. Januar gilt ein neues Gesetz, das Missstände verhindern soll - bislang mit wenig Erfolg. Von Jan Wiese
Für etwa 50 Firmen in Brandenburg und Berlin gilt es bereits: das erste deutsche Lieferkettengesetz. Und stellt, so die IHK Potsdam auf Anfrage des rbb, die Unternehmen "vor immense bürokratische Herausforderungen".
Denn das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, wie es ganz genau heißt, verpflichtet große Unternehmen, Maßnahmen bei sich und ihren Lieferanten zu ergreifen, deren Erfüllung dann als sorgfältiger Umgang mit den Rechten von Menschen und Umwelt gilt. Maßnahmen, die mit großem Aufwand einhergehen: Regelmäßige Risikoanalysen aller direkten Zulieferer, die Einrichtung von Beschwerdemöglichkeiten sowie Präventivmaßnahmen zum Schutz von Mensch und Umwelt etwa zählen dazu.
Wie eine aktuelle Studie zur Umsetzung des Lieferkettengesetzes in deutschen Unternehmen jetzt zeigt, fühlen sich die meisten Unternehmen noch nicht gut aufgestellt. Obwohl das Gesetz seit Jahresbeginn in Kraft ist, gaben nur etwa vier Prozent der befragten Unternehmen an, dass sie auf der organisatorischen Ebene sehr gut darauf vorbereitet seien, 70 Prozent dagegen sehen sich mittelmäßig bis sehr schlecht aufgestellt.
Durchgeführt haben die Studie der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) und das Risikomanagement-Unternehmen Integrity Next. Zum BME zählen fast 10.000 Mitglieder aus allen Branchen, darunter alle 30 DAX-Konzerne. Knapp 250 Mitgliedsunternehmen haben sich an der Umfrage beteiligt, vom Kleinunternehmen bis zum Konzern mit mehr als 50.000 Mitarbeitern. Angesichts der Studienergebnisse urteilt die Hauptgeschäftsführerin des BME, Dr. Helena Melnikov: "Es ist höchste Zeit für die deutsche Wirtschaft zu handeln und die Einhaltung von Standards bei sozialen Rahmenbedingungen und Umweltaspekten entlang der globalen Wertschöpfungsketten proaktiv anzugehen. Dazu müssten sie sich aber zunächst mit zentralen Themen wie Lieferanten-Monitoring und Risikomanagement auseinandersetzen."
Zwar fallen gegenwärtig nicht alle der befragten Unternehmen unter das Gesetz: Es gilt vorerst nur für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitern. Ab dem 1.1.2024 ist es dann auch für Firmen ab 1.000 Mitarbeiter verbindlich. Doch die Tendenz, die sich in der Studie abzeichnet, ist eindeutig.
Die Antwort auf die Frage, inwieweit die Unternehmen Klarheit über ihre direkten Lieferanten haben, fällt ernüchternd aus: nur 13 Prozent der Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern haben volle Transparenz, wenn es um Risiken wie mögliche Menschenrechtsverletzungen bei ihren unmittelbaren Geschäftspartnern geht.
"Das mag man kaum glauben, denn mit denen macht man ja das Geschäft", sagt dann auch Nick Heine, Mitgründer von Integrity Next. Das Unternehmen ist eines von mehreren am Markt, das als Nachhaltigkeits-Dienstleister den Firmen mithilfe digitaler Werkzeuge wie Online-Plattformen oder Social-Media-Analysen Unterstützung anbietet, wenn es um die Umsetzung des Lieferkettengesetzes geht. Werkzeuge, die dringend notwendig sind, denn die Kunden von Integrity Next kommen auf durchschnittlich 6.000 direkte Lieferanten, die es jetzt zu prüfen gilt. Bei größeren Unternehmen geht deren Anzahl in die zehntausende. Eine Berücksichtigung von Menschenrechten und Umweltaspekten fällt da bislang in der Einkaufspraxis häufig hinten runter.
"Es ist tatsächlich so, dass da oft eingekauft wird, ohne dass irgendeine Strategie- oder Nachhaltigkeitsabteilung das sieht und weiß. Und sehr viele, das Gros der Lieferketten, sind tatsächlich im Nebel", so Heine.
Was die Studie auch zeigt: viele Unternehmen stehen den vom Gesetz geforderten Maßnahmen noch weitgehend ratlos gegenüber. Erst sechs Prozent fühlen sich zum Beispiel in Sachen Präventionsmaßnahmen sehr gut aufgestellt, weitere 22 Prozent bewerten sich selbst als "eher gut". Nur vier Prozent scheinen genau zu wissen, welche Abhilfemaßnahmen sie im Fall möglicher Verstöße und Risiken ergreifen sollen. Das könnte auch daran liegen, dass die zuständige Kontrollbehörde – das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) – erst spät, ab August 2022 damit begonnen hat, eine erste Handreichung herauszugeben, und das auch nur für einen Einzelaspekt des Gesetzes: "Die Ansprüche der Kontrollbehörde an die praktische Umsetzung in den Unternehmen war lange unklar. Sie konnten sich also nur Schritt für Schritt anpassen und haben noch ein Stück Wegstrecke zu gehen", kritisiert deshalb Helena Melnikov vom BME das Bundesamt.
So wie die Unternehmen bei ihren Zulieferern oft im Dunkeln tappen, scheint auch das Bundesamt nicht so genau zu wissen, welche Firmen es eigentlich beaufsichtigen soll. Auf schriftliche Anfrage von rbb24 Recherche, wie viele Unternehmen gegenwärtig unter das Lieferkettengesetz fallen, antwortet es mit einer Schätzung: ca. 1.300. Genauere Zahlen oder gar eine regionale Verteilung dieser Unternehmen kennt das Amt nicht. Denn die Unternehmen, die das BAFA seit Anfang des Jahres eigentlich kontrollieren soll, müssen sich erstmal selbst beim Amt melden.
Auch wenn die Ergebnisse der Studie zum Teil sehr ernüchternd sind, Nick Heine von Integrity Next sieht einen positiven Einfluss neuen Gesetzes auf die Unternehmen: "Die Unternehmen fangen an, gute Leute auf dieses Thema zu setzen. Das wird auf der Vorstandsetage diskutiert. Die Nachhaltigkeitsabteilung beschäftigt sich damit. Der Einkauf beschäftigt sich damit, die Compliance auch. Da ist viel Aufmerksamkeit drauf. Also ich denke, es ist ein guter Anfang."
Ohne das Gesetz – das macht die Studie auch klar – wäre die Lage sicherlich noch prekärer. Denn auf die Frage, was die Firmen überhaupt zur Berücksichtigung von menschenrechtlichen und Umweltrisiken entlang ihrer Lieferketten motiviert, antworten mit 56 Prozent die meisten lediglich: die Einhaltung von Gesetzen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 16.01.2023, 8 Uhr
Beitrag von Jan Wiese
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