Sperrung ab 30. Januar
Im Endspurt des Wahlkampfes streitet die Berliner Landesregierung über die Zukunft der Friedrichstraße. Verkehrssenatorin Jarasch will einen Abschnitt zur Fußgängerzone umwandeln. Die Regierende Giffey sieht kein Gesamtkonzept.
In der Berliner Landesregierung gibt es offenen Streit über den Umgang mit der Friedrichstraße. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) kritisierte die Ankündigung von Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne), den Abschnitt zwischen Leipziger und Französischer Straße für Autos zu sperren. Es fehle das Gesamtkonzept, in das auch die Gewebetreibenden mit eingebunden sind, sagte Giffey am Mittwoch im rbb.
"Es geht mir nicht darum, dass ich autofreundlich bin, sondern es geht darum, dass wir die Friedrichstraße nicht einfach sperren und dann überlegen, was wir dort tun", sagte Giffey bei Radioeins. "Ich wäre dafür, dass man sagt, es soll 'ne schöne Flaniermeile werden, wo auch die Gewerbetreibenden eingebunden sind, das zusammen erarbeitet und dann einen konkreten Plan hat, damit alle gut damit leben können. Und das ist hier leider nicht erfolgt." Der Deutschen Presse-Agentur sagte Giffey, dass das Vorgehen nicht im Senat abgestimmt sei. "Ich halte diesen Alleingang auch nicht für durchdacht", so Giffey weiter.
Dessen ungeachtet hat Jarasch das Vorhaben am Mittwoch offiziell vorgestellt. Demnach soll der Abschnitt ab Montag als Fußgängerzone ausgewiesen werden. Zunächst sollen Sitzmöbel aufgestellt werden. Mit der geplanten Begrünung soll ab dem Frühjahr begonnen werden. In einem nächsten Schritt - nach der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus - soll dann die Planung für die dauerhafte Gestaltung beginnen.
Die dafür nötige offizielle Umwidmung der Straße werde am 27. Januar 2023 im Amtsblatt verkündet und am 30. Januar wirksam, erklärten Verkehrssenatorin Jarasch und die Verkehrsstadträtin Almut Neumann aus Berlin-Mitte. "Metropolen auf der ganzen Welt setzen Konzepte für Verkehrsberuhigung und autofreie Innenstädte um", erklärte Jarasch. "Auch Berlin denkt seine historische Mitte neu: Die Friedrichstraße als dauerhafte Fußgängerzone ist ein wichtiger Baustein im Kontext der Verkehrswende-Projekte zwischen Rathausforum, Checkpoint Charlie und Unter den Linden."
Jarasch widersprach der Kritik der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey, die ihr am Mittwoch eine nicht im Senat abgestimmte Aktion und einen nicht durchdachten Alleingang vorgehalten hatte. "Unser Ziel ist ein fußgängerfreundlicher, moderner Stadtraum im
Kontext der historischen Mitte", sagte Jarasch. "Das war immer die Verabredung", sagte Jarasch. Das sei auch in den Koalitionsverhandlungen genau so besprochen worden.
Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos) sieht die kurzfristige Ankündigung skeptisch. "Das Vorpreschen wiederholt die alten Fehler, indem man den letzten Schritt macht vor dem ersten", sagte Schwarz am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. "Mit dieser Aktion schafft man kein Vertrauen in den Prozess und stellt auch die Idee einer echten Beteiligung, die jetzt so wichtig gewesen wäre, gleich zu Anfang in Frage."
"Ich kann die Enttäuschung und Sorge der Gewerbetreibenden und Anrainer völlig verstehen, die jetzt wieder aus der Presse erfahren, wie es weitergeht", so der Wirtschaftssenator. "Für eine gut durchdachte, partizipative Gestaltung der gesamten Gegend um die Friedrichstraße ist das ein Bärendienst."
Linke-Vorsitzende Katina Schubert hält die Aufregung für überflüssig. "Es war immer klar, dass die Friedrichstraße an dem Punkt Fußgängerzone werden sollte, und es war auch klar kommuniziert, dass es kommen wird", sagte Schubert am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. "Diese Aufregung, die jetzt darum gemacht wird, ist deswegen auch Wahlkampfgeklingel", kritisierte sie.
Aus Sicht der Linken ist die Diskussion um die Friedrichstraße für die aktuellen Probleme in der Verkehrspolitik nicht zentral: "Ich würde mir wünschen, dass sich die Senatsverwaltung jetzt mal darauf konzentrieren würde, die Lebensadern des öffentlichen Nahverkehrs schnell wieder in Gang zu bringen", sagte Schubert.
Sebastian Czaja, FDP-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, bezeichnete das Vorgehen Jaraschs als "nächste Sauerei" gegen "alle Widerstände und gegen die Interessen der Menschen vor Ort". Jarasch, Spitzenkandidatin der Grünen für die Wiederholungswahl am 12. Februar, dürfe mit solcher Politik "gegen die Menschen in unserer Stadt" nicht Regierende Bürgermeisterin werden. Der FDP-Politiker gehört zu den größten Verfechtern einer Friedrichstraße mit Autoverkehr.
Auch die Berliner CDU kritisierte die Ankündigung. "Die Friedrichstraße wieder für Autos gesperrt?! Mobilitätswende geht anders", schrieb der Landesvorsitzende und Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl, Kai Wegner, auf Twitter.
Die AfD bezeichnete Senatorin Jarasch als "knallharte Ideologin". Sie werde "ihre Ideologie immer vor die Interessen der Bürger stellen", erklärte Fraktionschefin Kristin Brinker laut einer Mitteilung. "Wenn der unselige und rechtswidrige 'Verkehrsversuch' der Jahre 2020 bis 2022 eines gezeigt hat, dann, dass eine autofreie Friedrichstraße erheblichen Schaden für die anliegenden Geschäfte verursacht."
Der Vorstoß der Berliner Verkehrssenatorin ist bereits der zweite Versuch, Autos aus der Friedrichstraße zu verbannen. Der Bereich war seit August 2020 mehr als zwei Jahre lang für den Fahrzeugverkehr gesperrt. Der Verkehrsversuch endete im Oktober 2021, die Sperrung wurde aber aufrecht erhalten.
Eine Weinhändlerin mit Geschäft in der parallel verlaufenden Charlottenstraße klagte gegen die Sperrung für Autos - und war damit vor dem Verwaltungsgericht erfolgreich. Für die Sperrung fehlten die Voraussetzungen, so das Gericht. Zwar hatte die Verkehrsverwaltung nach dem Ende eines Verkehrsversuchs beantragt, die Friedrichstraße zwischen Französischer und Leipziger Straße dauerhaft umzuwidmen. Das Verfahren ist aber nicht abgeschlossen. Für die Zwischenzeit dürfe der Senat nicht aus städtebaulichen Gründen die Sperrung anordnen - dies sei nur aus Gründen der Sicherheit und Ordnung im Straßenverkehr möglich, so das Gericht. Vor dem Abschluss des Umwidmungs-Verfahrens scheide eine Sperrung daher aus.
Nach Angaben der Berliner Verkehrsverwaltung sprachen sich in einer Evaluation vier von fünf befragten Passanten für eine Verstetigung der autofreien Friedrichstraße aus.
Sendung: rbb24 Inforadio, 25.01.2023, 12:00 Uhr
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