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Video: rbb24 Abendschau | 04.01.2023 | B. Hermel | Quelle: AA

Nach Silvester-Krawallen in Berlin

Giffey kündigt Gipfel gegen Jugendgewalt an - skeptische Reaktionen

Die Berliner Politik ringt nach der eskalierten Silvesternacht um Erklärungen. Die Regierende Bürgermeisterin will einen "Mix aus ausgestreckter Hand und Stopp-Signal" entwickeln. Nicht alle sehen darin die Lösung.

Nach Angriffen auf Polizei und Rettungskräfte hat die Regierende Bürgermeisterin in Berlin, Franziska Giffey (SPD), einen Gipfel gegen Jugendgewalt angekündigt. Dazu werde sie in der kommenden Woche einladen.

Die Vorfälle in der Silvesternacht nannte Giffey am Mittwoch im rbb "absolut unakzeptabel und zu verurteilen und konsequent zu verfolgen". Als Antwort auf die "massive Respektlosigkeit" und die Gewalt brauche es einen "Mix aus ausgestreckter Hand und Stopp-Signal", forderte Giffey im rbb24 Inforadio. Taten müssten konsequent und schnell bestraft werden, so Giffey. Sie erinnerte an das Neuköllner Modell der ehemaligen Jugendrichterin Kirsten Heisig. Diese hatte sich für das Prinzip eingesetzt, dass bei jugendlichen Straf- und Intensivtätern die Strafe auf dem Fuß folgen müsse.

Ermittlungen nach Silvester-Randale

Rund jeder Fünfte der in Berlin Festgenommenen ist minderjährig

145 Personen hat die Polizei in der Silvesternacht im Zusammenhang mit Ausschreitungen in Berlin festgenommen. Jeder fünfte von ihnen war nach Polizeiangaben minderjährig. Mehr als 300 Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren wurden eingeleitet.

Debatte über Herkunft der Täter

Die Ursache der Silvesterkrawalle sehe sie nicht in der Migrationsgeschichte von Beteiligten, sondern im sozialen Umfeld, betonte Giffey. Schließlich seien fast alle "Berliner Kinder", die hier geboren und aufgewachsen seien, so Giffey am Mittwoch auf einem Termin in der Polizeidirektion Lichtenberg. "Wir reden ja nicht über die Einwanderungsmarke, sondern über das, was in den sozialen Brennpunkten schiefgelaufen ist." Sie forderte eine Stärkung der Jugendlichen in entsprechenden Vierteln der Stadt.

Die Polizei hatte am Dienstag mitgeteilt, dass im Zusammenhang mit den Ausschreitungen 145 Menschen vorläufig festgenommen wurden, die meisten davon Männer. Es seien insgesamt 18 verschiedene Nationalitäten erfasst worden. 45 der Verdächtigen hätten die deutsche Staatsangehörigkeit, 27 hätten die afghanische Nationalität und 21 seien Syrer.

Giffey sieht soziale Medien als Verstärker

Giffey betonte, dass es einen "neuen Schub" und eine breite Anstrengung in mehreren Bereichen brauche. "Das muss in Schule, in Jugendsozialarbeit, der polizeilichen Präventionsarbeit, aber auch in der Jugendgerichtshilfe eine konzertierte Aktion geben."

Sie sehe aber auch in den sozialen Medien einen Verstärker, sagte Giffey. "Das Thema Social Media spielt unter den Jugendlichen eine wichtige Rolle, wenn man Videos teilt und sich gegenseitig dadurch anspornt", so die Regierende Bürgermeisterin.

Giffey sieht keine Versäumnisse beim Senat

Den Vorwurf von CDU-Chef Friedrich Merz, ihr Senat trage eine Mitverantwortung an der Eskalation in der Silvesternacht, wies sie zurück. Polizei und Feuerwehr seien "in voller Mannstärke" im Einsatz gewesen. Sie könne nicht erkennen, dass die Polizei in ihrer Arbeit eingeschränkt worden sei, es habe vielmehr die volle Rückendeckung der Politik für die Einsatzkräfte gegeben.

Ein Feuerwehrmann berichtet von der Silvesternacht

"Was habe ich diesen Leuten getan?"

Er habe zum ersten Mal in seinem Job richtig Angst gehabt - "eine Angst, wie ich sie selber so noch nicht kannte", erzählt ein Berliner Feuerwehrmann. Hier schildert er seine Erlebnisse aus der Silvesternacht.

In den vergangenen Jahren sei die Polizei "unter sozialdemokratischer Verantwortung" massiv aufgestockt worden, sagte Giffey. Die Gewaltausbrüche seien zudem kein "Berlin-Phänomen". Ähnliches sei auch in anderen Städten passiert, entgegnete die SPD-Politikerin dem CDU-Chef.

In der Diskussion um ein Böller-Verbot mahnte die Regierende Bürgermeisterin Realismus an. "Ich glaube nicht, dass für sämtliche Böller ein Verbot auf Bundesebene durchsetzbar sein wird", sagte Giffey im rbb24-Inforadio mit Blick auf die anderen Bundesländer. Sie warnte zugleich vor einfachen Antworten und betonte, dass es ihr nicht darum gegen "alles flächendeckend" zu verbieten. "Ich würde es gut finden, wenn für bestimmte Böller Einschränkungen erfolgen", so die Regierende Bürgermeisterin.

Die Gewerkschaft der Polizei Berlin (GdP) startete unterdessen eine Petition für ein bundesweites Böllerverbot. Auf einer Unterschriftenplattform wendet sich die GdP stellvertretend "im Namen von Polizisten und Feuerwehrleuten" an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sowie die Berliner Senatorin für Inneres, Digitalisierung und Sport Iris Spranger (SPD) mit der Forderung: “Böllerverbot, jetzt!”

Jarasch (Grüne) reagiert zurückhaltend auf Giffeys Vorschlag

Auch Giffeys Ankündigung für einen Gipfel zur Jugendgewalt stieß auf ein geteiltes Echo. Der Vorstoß von Berlins Regierender Bürgermeisterin sei zwar eine "gute Idee", könne aber nur der Anfang sein, sagte die grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarasch am Mittwoch dem rbb. "Eine aktionistische, schnelle Lösung hilft uns gar nicht."

Tatsächlich sinke die Jugendkriminalität, so Jarasch. "Es gibt aber offensichtlich einzelne Jugendliche, die komplett abgehängt sind von der Gesellschaft, so wie die Täter in der Silvesternacht." Es komme nun vor allem darauf an, mit den Gesellschaftsgruppen, aus denen die Jugendlichen kommen, zusammenzuarbeiten und die Hilfsstrukturen zu stärken, sagte Jarasch. "Nichts davon ist mit einem Gipfel erledigt."

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Dutzende Angriffe mit Pyrotechnik auf Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr hat es in der Silvesternacht in Berlin gegeben. Mehr als 50 von ihnen wurden verletzt. Nun werden wieder Forderungen nach einem Böllerverbot laut. Was sollte getan werden? Stimmen Sie ab!

Kritik auch von Berliner CDU, FDP und Linken

CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner kritisierte den Gipfel als "Kuschelpädagogik". "Wir müssen einen starken Staat, der respektiert wird, durchsetzen", so Wegner. "Dafür brauchen wir keine neuerlichen Gesprächskreise." Der CDU-Politiker forderte unter anderem die Einführung neuer Sonderstaatsanwälte für besondere Lagen. "Ich verstehe nicht, warum bei solch einer Silvesternacht nicht ein, zwei Staatsanwälte vor Ort sind, die sofort aburteilen."

Eine schnellere Strafverfolgung sei nur ein Aspekt, sagte Björn Jotzo, der innenpolitische Sprecher der FDP. Notwendig sei auch, Probleme klar zu benennen, auch in den migrantischen Communitys. "Wenn Linke und Grüne nicht bereit sind, sich mit den Herkunftsländern und Gebräuchen dieser Personen auseinanderzusetzen, können sie die Motivation der Täterinnen und Täter nicht verstehen." Jotzo warf den Koalitionsparteien auch vor, ein "strukturelles Misstrauen" gegen die Polizei in Berlin zu streuen. "Das Ergebnis haben wir an jedem 1. Mai und nun auch am 1. Januar gesehen."

Dem widersprach der Linken-Innenpolitiker Niklas Schrader. Probleme wie strukturellen Rassismus auch in der Polizei anzusprechen sei ein Teil der Lösung. Grund für Übergriffe wie in der Silvesternacht sei bei den Tätern eine "Wut auf den Staat" und das Gefühl, abgehängt zu werden, so Schrader. "Ich warne davor, das Problem zu ethnisieren. Da hilft uns eine Stammbaumforschung nicht weiter."

Krawalle im ganzen Stadtgebiet

In der Silvesternacht war es in Berlin zu teilweise massiven Übergriffen auf Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr gekommen. So wurden Beamte mit Pyrotechnik, Eisenstangen, Steinen oder Flaschen angegriffen. Dutzende Polizisten und Feuerwehrleute wurden verletzt. Auch ein Löschfahrzeug wurde schwer beschädigt.

In Gropiusstadt wurden nach Polizeiangaben die Scheiben eines Ladens regelrecht gesprengt. Eingetroffene Polizeibeamte seien dann "sprichwörtlich unter Beschuss genommen", twitterte die Polizei. In Mitte sei eine Frau durch einen Böller am Hals verletzt worden, in Moabit schossen "Idioten gezielt mit Pyro auf Passanten", hieß es weiter. Auch in Lankwitz sollen Jugendliche auf alles geschossen haben, "was sich bewegt".

145 Menschen wurden nach Polizeiangaben vorläufig festgenommen, sind aber mittlerweile wieder auf freiem Fuß.

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.01.22, 6:45 Uhr

 

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