Einsatzkräfte in Berlin attackiert
Wer attackiert Rettungskräfte - und warum? Nach den Angriffen auf Berliner Einsatzkräfte zu Silvester geraten die Täter in den Fokus der öffentlichen Debatte. Während für die CDU die Herkunft der Täter bedeutsam ist, warnen andere vor Stigmatisierung.
Nach den Angriffen auf Rettungskräfte in der Silvesternacht wird verstärkt über die mutmaßlichen Täter und ihre Beweggründe debattiert.
"Berlin hat ein wesentlich größeres Problem als die Debatte um Böllerverbote", teilte am Dienstag CDU-Fraktionschef Kai Wegner mit. "Es ist der fehlende Respekt vor dem Rechtsstaat in Parallelgesellschaften." Das Problem müsse der Senat dringend angeben.
"Der Täterkreis muss klar benannt werden", forderte Wegner. Nach seiner Ansicht waren die Täter "vorwiegend männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund, die für den Staat und seine Repräsentanten nur Verachtung übrighaben. Davor darf der Senat nicht länger die Augen verschließen."
Wegner forderte vom Senat, die Taten der Silvesternacht "tabulos" aufzuklären und im nächsten Schritt Polizei und Feuerwehr deutlich zu stärken.
Sehr klar widersprach hier die Integrationsbeauftragte des Bezirks, Güner Balci. Sie erklärte, die Ausschreitungen in der Silvesternacht dürften nicht allein auf den Migrationshintergrund vieler Täter reduziert werden. Der rbb24 Abendschau sagte Balci am Dienstag, die Jugendlichen seien hier sozialisiert worden. "Also erstmal sind das für mich Berliner Jungs, egal, ob man das toll findet oder nicht. In dem Fall ganz viele Neuköllner Jungs. Und ich glaube, dass die sich sehr integriert fühlen in das Milieu, in dem sie leben." Hier nun Migration und Gewaltbereitschaft in einen direkten Zusammenhang zu setzen, stellte Balci in Frage. Die Mehrheit der Menschen mit Migrationshintergrund, die dort lebe, sei unmittelbar von der Gewalt dieser jungen Männer betroffen. "Ich bezweifle absolut, dass diese Menschen alle eine komplett negative Haltung gegenüber dem Land haben, in dem sie leben."
Es sei aber ein massives Problem, dass Polizeibeamte in bestimmte Milieus zu bestimmten Tagen nur noch mit Verstärkung gehen könnten. Jeder, der an diesem Tag Menschen angegriffen habe, müsse hoffentlich gefasst und bestraft werden.
Anders als Wegner macht die Berliner Polizei bislang keine Angaben dazu, um wen es sich bei den mutmaßlichen Tätern handelt oder wo in der Stadt es zu den meisten Zwischenfällen kam. Die Auswertungen seien im Gange, noch habe man keine weiteren Erkenntnisse, sagte ein Sprecher.
Der Neuköllner Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) warnte am Dienstag davor, einen Generalverdacht gegen alle Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu erheben. "Daraus zu schlussfolgern, dass alle Menschen mit Migrationsgeschichte ein Gewaltproblem haben, wäre wirklich falsch. Denn es leiden ja vor allem auch die Menschen aus der Community darunter", sagte er dem rbb am Dienstag.
Er sei vielmehr der Meinung, dass es sich bei den Tätern, um Menschen mit wenig Perspektive handele. "Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir mit diesen Menschen umgehen", sagte er weiter. Dass die Justiz an vielen Stellen überfordert sei und sich Verfahren sehr lange hinziehen würden sei da nicht hilfreich, so Hikel. Er forderte schnellere Verfahren.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD) sagte zu den Silvesterkrawallen: "Die Gewalttaten und gezielten Attacken gegen Einsatzkräfte sind abscheulich und müssen konsequent mit der ganzen Härte unseres Rechtsstaats bestraft werden". Doch auch sie warnte davor, die Täter auf ihre ethnische Herkunft zu reduzieren: "Wir müssen die Täter anhand ihrer Taten beurteilen, nicht anhand ihrer vermuteten Herkunft, wie dies jetzt einige tun." Wer so reagiere, trage zur weiteren Stigmatisierung von Teilen der Gesellschaft bei und spalte, statt die sozialen Ursachen des Problems zu bekämpfen, sagte sie.
Die Berliner Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hatte sich bereits am Neujahrestag zu der Gewaltbereitschaft in der Silvesternacht geäußert. "Es schadet unserer Stadt, es schafft Angst und Schrecken und hat mit dem feierlichen Begrüßen des neuen Jahres nichts zu tun", schrieb Giffey bei Twitter und kündigte Konsequenzen an.
Den Psychologen und Autoren Ahmad Mansour haben die Krawalle wiederum nicht überrascht. Seit Anfang der 2000er Jahre arbeitet er mit jungen Migranten in Neukölln, veranstaltet Anti-Gewalt-Kurse in Schulen und Gefängnissen. Die Randalierer sieht er als "Menschen, die aus autoritären Systemen gekommen sind, wo die deutsche Polizei und der Rechtsstaat als sehr schwach und inkonsequent wahrgenommen werden", so Mansour gegenüber der rbb24 Abendschau.
"Sie attackieren dann die Polizei als Ausdruck von Ablehnung und Verachtung gegenüber diesem Rechtsstaat. Das hat mit Desintegration und Nicht-emotional-Ankommen in unserer Gesellschaft zu tun. Es hat aber auch mit Jugendkultur zu tun", so der deutsch-israelische Psychologe. Es gehe dabei auch um Männlichkeitswahn, so Mansour - dieser herrsche nicht ausschließlich, aber besonders auch in Einwanderermilieus vor. Straftäter müssten deswegen schneller und konsequenter verfolgt werden, um Zeichen zu setzen.
In der Silvesternacht war es in Berlin zu teilweise massiven Übergriffen auf Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr gekommen. Beamte sind mit Pyrotechnik und anderen gefährlichen Gegenständen wie Eisenstangen, Steinen oder Flaschen angegriffen worden. Dutzende Polizeikräfte und Feuerwehrleute wurden verletzt. Die Intensität der Angriffe sei "mit den Vorjahren nicht zu vergleichen" gewesen, hieß es am Sonntag von der Polizei.
145 Menschen hatte die Polizei eigenen Angaben zufolge während der Silvester-Krawalle vorläufig festgenommen. Ursprünglich war die Zahl der Festgenommenen mit 159 angegeben worden. Doch hier habe es Doppelzählungen gegeben, sagte der Polizeisprecher. Die Zahlen seien auch immer noch als vorläufig anzusehen. Die meisten davon sind Männer. Nach Feststellung der Identität seien alle 145 Verdächtigen wieder freigelassen worden, teilte die Polizei am Dienstag mit.
Sendung: rbb24 Inforadio, 03.01.2023, 16:10 Uhr
Die Kommentarfunktion wurde am 03.01.2023 um 21:40 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.
Artikel im mobilen Angebot lesen