Warum das "Dranbleiben" in der Jugendsozialarbeit oft schwierig ist
An den Silvester-Krawallen in Berlin waren zahlreiche Jugendliche beteiligt. Wie konnte es so weit kommen? Ein Blick auf die Jugendsozialarbeit zeigt: Es fehlt an vielem. Von Kira Pieper
Mittel für Jugendarbeit sind nicht zweckgebunden. Das führt dazu, dass die Gelder auch immer wieder zu anderen Zwecken genutzt werden.
Jugendsozialarbeit hat Schwierigkeiten, Personal zu finden. Erzieher:innen und Sozialarbeiter:innen sind außerdem schnell wieder weg, wenn die Rahmenbedingungen schlecht sind.
Geld-, Personal und Raumnot führen dazu, dass eine intensive Betreuung von Jugendlichen kaum möglich ist.
Nach den Krawallen in der Silvester-Nacht steht die Lage der Jugendsozialarbeit in Berlin – insbesondere im Bezirk Neukölln – im Fokus der Öffentlichkeit. Dem Vernehmen nach gibt es zu wenig Personal, zu wenig Räume und zu wenig Geld, um langfristige Angebote für Jugendliche zu schaffen und sie intensiv zu begleiten und dies sei der Keim des Problems.
Elvira Berndt, Geschäftsführerin des Straßensozialarbeitsvereins Gangway, sagt auf Nachfrage von rbb|24: Die Jugendarbeit sei aktuell nicht darauf ausgerichtet, auch individuelle Unterstützung in schwierigen Lebenslagen zu leisten oder Gruppenprozesse längerfristig zu begleiten.
"Natürlich tun dies Kolleg:innen vor Ort manchmal dennoch, weil es notwendig ist und sie sehr engagiert sind. Die finanzielle und personelle Ausstattung gibt dies aber eigentlich nicht her", so Berndt. Wenn es darum gehe, vor allem in "schwierigen Kiezen" langfristig da zu sein, stabile Beziehungen und Vertrauen aufzubauen, brauche man Fachkräfte, die kontinuierlich "dranbleiben".
Im Kampf gegen Jugendgewalt hat Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey ein Maßnahmenpaket in Aussicht gestellt. Das kündigte die SPD-Politikerin nach einem Gipfel mit Vertretern von Polizei, Justiz und Sozialarbeit an.
Mittel sind nicht zweckgebunden
Bereits im Vorfeld des "Gipfel gegen Jugendgewalt" in der vergangenen Woche hatten die Grünen ein Eckpunktepapier zum Umgang mit Jugendgewalt vorgelegt. Darin heißt es unter anderem: "Jugendliche brauchen Chancen und eine Perspektive auf eine gute Zukunft." Und: Es sei ein "Jugendstärkungspaket für Berlin" erforderlich.
Konkret fordern die Grünen, dass die Bezirke finanziell und personell besser ausgestattet werden, um Jugend- und Sozialarbeit leisten zu können. Nötig sei auch eine Zweckbindung der Mittel, damit sie nicht für andere Aufgaben verwendet werden. Ein Problem, dass zuletzt offenbar zu finanziellen Engpässen führte: Da die Mittel für die Jugendarbeit "nicht eindeutig zweckgebunden" seien, dienten sie auch immer wieder anderen Zwecken, "je nachdem, wo im Bezirk gerade der Schuh drückt", ist der Eindruck von Gangway-Geschäftsführerin Elvira Berndt.
Etat für Jugendsozialarbeit ist für 2023 gestiegen
Die finanzielle Ausstattung der Jugendsozialarbeit scheint sich auf den ersten Blick positiv zu entwickeln: Laut Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie wurden 2023 die gesamtstädtischen Mittel für die Jugendsozialarbeit von 37 Millionen Euro auf 48 Millionen gesteigert.
Das Aber dazu erklärt Elvira Berndt: Die Etats seien in den vergangenen Jahren zwar wieder gewachsen, nachdem sie mehr als 15 Jahre tendenziell eher gesunken seien. Der weitaus größte Teil sei dabei der Tarifentwicklung geschuldet. Dadurch würden allerdings keine neuen Angebote generiert. Diese entstünden meist aufgrund von Sonderprogrammen und seien dann irgendwann wieder weg. Das von der Fachfrau geforderte "Dranbleiben" an den Problematiken der Jugendlichen ist damit nur schwer möglich.
Die Ausschreitungen an Silvester haben am Donnerstag das Berliner Abgeordnetenhaus beschäftigt. Die Fraktionen lieferten sich dabei einen Schlagabtausch, sprachen unter anderem von Rassismus und Polizeifeindlichkeit.
Personalnot und weniger Angebote
Auch das Thema Personalnot bestätigt Berndt. Erzieher:innen und Sozialarbeiter:innen würden überall händeringend gesucht, sagt sie. "Was auch heißt, dass sie bei schlechten Rahmenbedingungen sehr schnell auch wieder weg sind", so die Gangway-Geschäftsführerin. In vielen Jugendeinrichtungen sei die Personaldecke so dünn, dass neben der Sicherung der Öffnungszeiten kaum Raum bleibe.
Zudem haben sich Berndt zufolge seit Corona die bereits vorhandenen Probleme der Jugendlichen verschärft oder sind erst sichtbar geworden. Gleichzeitig zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamts (Destatis): Im zweiten Corona-Jahr 2021 sank die Zahl der Angebote der Jugendangebote – wie etwa Ferienfreizeiten, Gruppenstunden oder Sportveranstaltungen – deutschlandweit um knapp ein Drittel (- 32 Prozent) und damit auf einen neuen Tiefstand.
Und: In Deutschland nahmen 2021 nur rund 4,4 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene an öffentlich geförderten Angeboten der Jugendarbeit teil. Nach Destatis-Angaben waren das nur etwa halb so viele junge Menschen (‑ 49 Prozent) wie im letzten Vergleichsjahr vor der Pandemie 2019. Damals lag die Teilnehmerzahl noch bei rund 8,6 Millionen jungen Menschen.
Nach den Silvester-Krawallen ist die High-Deck-Siedlung in Neukölln in aller Munde. Jeden Tag pilgern Journalisten an den Ort des Geschehens. Doch auch wenn es jetzt im Stadtteil still ist, läuft die Debatte weiter. Von Efthymis Angeloudis
3,55 Millionen Euro mehr für Jugendarbeit
Beim Jugendgipfel wurde erkannt, dass vor allem finanziell bei der Jugendarbeit aufgestockt werden muss. DIe Berliner Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sagte nach dem Gipfel, ein Betrag in mehrstelliger Millionenhöhe sei dafür nötig. Am Montag teilte die Senatsverwaltung für Bildung dann mit, dass zusätzlich 3,55 Millionen Euro in die Jugendarbeit fließen sollen. Das Geld solle in gleichen Anteilen auf die Bezirke verteilt werden.
Außerdem nannte Giffey vier Bereiche, die im Fokus der Bemühungen stehen sollen: intensivere Sozialarbeit mit Elternhäusern, mehr außerschulische Jugendsozialarbeit, neue "Orte für Jugendliche" und konsequente Strafverfolgung.
Bis zu einem weiteren Treffen am 22. Februar sollen Konzepte ausgearbeitet werden und der Finanzbedarf geklärt sein. Für März kündigte Giffey einen Beschluss des Senats dazu an. Das Geld dafür soll aus dem Haushalt mobilisiert werden.