Debatte um Schreckschusspistolen
Feuerwehr und Polizei wurden an Silvester auch mit Schreckschusspistolen beschossen. Die nun diskutierte Verschärfung des Waffenrechts ist aus Sicht eines Waffenexperten durchaus sinnvoll, denn diese Waffen können tödliche Verletzungen verursachen. Von H. Daehler und C. Rubarth
An den Wänden des Ladens an der Frankfurter Allee in Friedrichshain hängen Jagdgewehre, Samurai-Schwerter, Armbrüste und Messer. Nur eine der vielen Vitrinen ist fast leer. "Hier präsentieren wir eigentlich unsere Signal- und Schreckschusswaffen", erklärt Ladeninhaber Pavel Sverdlov. "Aber vor Silvester war der Andrang groß - viele Modelle sind ausverkauft."
Sogenannte SRS-Waffen – also Schreckschuss-, Reizstoff- oder Signalwaffen - sind eigentlich für Notwehrsituationen gedacht, doch es gibt auch Feuerwerksmunition dafür. Wer derzeit eine solche Waffe legal kaufen möchte, muss lediglich über 18 Jahre alt sein und sich ausweisen können. Beim Kauf weist Sverdlov seine Kundinnen und Kunden zwar darauf hin, dass für das Mitführen einer solchen Waffe im öffentlichen Raum ein sogenannter Kleiner Waffenschein benötigt wird. Überprüfen, ob ein solcher vorliegt, muss er bisher aber nicht.
Dass es in der Neujahrsnacht in Berlin zu Eskalationen kam, bei denen auch Schreckschusspistolen derart heftig in den Fokus gerieten, hat Sverdlov erstaunt. Die derzeitige Diskussion über strengere Regeln beim Waffenkauf findet er überstürzt: "Ich halte das für billigen politischen Aktionismus. Die Politik will nun ganz hektisch alles einfach verbieten."
Wie gefährlich SRS-Waffen sein können, kann Waffensachverständiger Dirk Schöppl veranschaulichen. Schöppl zielt in seiner Werkstatt aus nächster Nähe auf eine Jeans – und drückt ab. Zurück bleibt ein rundes Loch im hellblauen Stoff – obwohl die Waffe kein Projektil hat. Das Loch entsteht allein durch den Luftdruck. "Bei den Waffen kommen 400 Bar raus, und die sind im Nahbereich beim aufgesetzten Schuss lebensgefährlich", erklärt Schöppl. "Ich kann jemanden damit schwer verletzen oder töten."
Auch wenn es an Silvester allgegenwärtig ist, das Schießen mit SRS-Waffen, ob nun mit Feuerwerksmunition oder ohne, ist im öffentlichen Raum selbst mit einem Kleinen Waffenschein nicht gestattet. Die einzige Ausnahme gilt für Notwehr-Situationen. Davon könne aber in der Silvester-Nacht nicht die Rede sein, sagt Sachverständiger Schöppl.
Der Gesetzentwurf von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) [tagesschau.de] sieht nun vor, dass SRS-Waffen nur an Menschen verkauft werden dürfen, die bereits einen Kleinen Waffenschein besitzen und diesen auch beim Kauf vorweisen können. Bei der Beantragung eines solchen Scheins wird grundsätzlich überprüft, ob laufende oder abgeschlossene Strafverfahren, Drogendelikte oder anderweitige polizeilich bekannte Auffälligkeiten und verfassungsfeindliche Aktivitäten vorliegen. Sachverständiger Schöppl würde eine solche Verschärfung des Waffenrechts begrüßen.
Für Waffenladenbesitzer Sverdlov würde sie voraussichtlich starke Umsatzeinbußen bedeuten, denn eine Gesetzesänderung würde ganz praktisch die Hürden zum Kauf erhöhen. Der Händler macht immerhin ein Viertel seines Jahresumsatzes in den Wochen vor Silvester. Sverdlov findet die Regelung gut, so wie sie ist, und setzt auf die Eigenverantwortung der Käufer und Käuferinnen: "Es braucht mehr Aufklärung und nicht noch mehr Verbote." Zudem wäre ein solches nachträglich sowieso nicht wirksam. "Es gibt ja bereits Millionen von Waffen, die im Umlauf sind."
Der Verband Deutscher Büchsenmacher und Waffenfachhändler geht nach einer neuesten Schätzung davon aus, dass es in Deutschland 43 Millionen SRS-Waffen gibt, die in den Händen von 16 Millionen Bürgern sind. Faesers Gesetzentwurf sieht auch Verbandschef Ingo Meinhard kritisch. Straftaten würden durch den Kleinen Waffenschein nicht verhindert, so sein Argument. "Gewaltstraftäter interessiert nicht, ob ein Kleiner Waffenschein notwendig ist oder nicht."
Die Zahl der von der Berliner Polizei erfassten Straftaten im Zusammenhang mit Schreckschuss- und Signalwaffen steigt: 2018 wurden 366 Vorfälle registriert, 2022 waren es 484. In den ersten neun Tagen dieses Jahres waren es demnach bereits 112 Fälle.
Die Mehrheit der von der Polizei erfassten Delikte sind Verstöße gegen das Waffengesetz, dazu gehört auch das Abfeuern von Schreckschuss- oder Signalmunition im öffentlichen Raum, zum Beispiel an Silvester.
Immer häufiger wurden bei den von der Polizei erfassten Vorfällen aber auch Menschen verletzt. 2022 waren es mit 40 mehr als doppelt so viel als noch 2018. Zudem hat sich die Anzahl der erfassten Raubdelikte unter Einsatz der genannten Waffen innerhalb von vier Jahren mehr als vervierfacht - auf 43 Fälle im Jahr 2022.
Unter anderem in solchen Fällen sieht Waffensachverständiger Schöppl eine weitere Gefahr, die von Schreckschusspistolen ausgeht. Viele der SRS-Waffen werden echten Modellen nachempfunden. Rein optisch lässt sich kein Unterschied feststellen. "Besonders in der Dunkelheit haben Polizisten und Polizistinnen im Einsatz keine Chance, das zu erkennen. Sie müssen immer vom Schlimmsten ausgehen, um sich selbst oder Dritte zu schützen", so Schöppl. Dementsprechend könne man den Polizeikräften, die an Silvester im Einsatz waren, auch nur ein Lob aussprechen, dass in dieser Nacht nichts Schlimmes passiert sei.
Sendung: rbb|24 Inforadio, 12.01.2023, 7 Uhr
Beitrag von Helena Daehler und Christina Rubarth
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