Bestand sinkt seit Jahren
Bundesweit seien 2022 nur rund 20.000 Sozialbauwohnungen fertiggestellt worden, beklagt ein Bündnis aus Mieter-, Sozial- und Bauwirtschaftsverbänden – und stellt klare Forderungen. Der Ukraine-Krieg verschärft die Lage. Von Thorsten Gabriel
Der Alarmruf ist laut, die Forderung saftig: Weil Deutschland vor einer "neuen und in ihrer Dimension beängstigenden Sozialwohnungsnot" stehe, seien "in erstem Schritt" bis zum Jahr 2025 insgesamt 50 Milliarden Euro notwendig, um eine Trendwende zu erreichen. So fordert es ein Bündnis, dem unter anderem der Deutsche Mieterbund, die Gewerkschaft IG BAU und die Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie angehören. Daneben gehören auch der Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel und die Deutsche Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau zu dem Zusammenschluss.
"Die Wohnkostenkrise in Deutschland spitzt sich immer mehr zu", stellt der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten fest. "Die Entlastungen der Bundesregierung reichen für viele Mieterinnen und Mieter nicht aus und kommen oftmals zu spät." Zugleich seien nun die Neubauzahlen dramatisch eingebrochen. Das Bündnis spricht von einem "gescheiterten Sozialwohnungsbau-Jahr 2022". Infolge des Ukraine-Krieges seien nur rund 20.000 Sozialwohnungen neu gebaut worden.
Der Bund und die Länder sollten deshalb kurzfristig ein "Sondervermögen" – eben jene 50 Milliarden Euro – bereitstellen. Dreiviertel dieser Summe müsse dabei vom Bund kommen. Außerdem fordert das Bündnis eine Mehrwertsteuer-Absenkung für den Bau von Sozialwohnungen. Allein die Reduzierung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent würde einen "enormen Effekt" bringen, rechnet das Bündnis vor: "Eine durchschnittliche Sozialwohnung mit 60 Quadratmetern Wohnfläche wäre bei siebenprozentiger Umsatzsteuer um über 20.000 Euro günstiger zu bauen."
Das Bündnis fordert darüber hinaus, dass es möglich werden solle, freifinanzierte Wohnungsbauprojekte, die aufgrund der aktuellen Krise eigentlich nicht mehr realisiert werden könnten, in Sozialwohnungsbauprojekte umzuwandeln. Die Wohnungsbauförderung könne sich hier zu einem entscheidenden Faktor entwickeln. Ein Umschwenken von freifinanziertem Wohnungsbau hin zu sozialem Wohnungsbau müsse in jeder Projektphase vor der Fertigstellung möglich sein, so die Forderung.
Blickt man auf eine Studie zum Sozialen Wohnungsbau, die das Bündnis beim in Hannover ansässigen Pestel-Institut in Auftrag gegeben hat, sieht die Statistik, was Berlin angeht, zunächst erstaunlich positiv aus: Die Hauptstadt gehört nach Hamburg und Nordrhein-Westfalen zu jenen Bundesländern, die die meisten Sozialwohnungen pro 1.000 Miethaushalten haben. Auch bei der Schaffung von neuen Sozialwohnungen in den Jahren 2017 bis 2021 steht Berlin an dritter Stelle im Bundesländer-Ranking.
Allerdings führt Hamburg diese Statistiken mit weitem Vorsprung an. So entstanden in Hamburg in dem genannten Zeitraum jährlich rund sieben Wohnungen pro 1.000 Miethaushalten, während es in Berlin nur etwa 2,5 waren. Schlusslicht im Bundesländer-Vergleich bildet in beiden Fällen das Saarland, wo es kaum Sozialwohnungen gibt und auch nur wenige neu gebaut wurden.
Vor allem aber gilt: Trotz Neubau sinkt bundesweit und auch in Berlin die Gesamtzahl an Sozialwohnungen Jahr für Jahr. Das liegt daran, dass bei vielen alten Sozialwohnungen die Mietpreisbindung ausläuft und diese dann auf dem freien Wohnungsmarkt zu deutlich höheren Mietpreisen angeboten werden können.
Nach der vom Bündnis in Auftrag gegebenen Studie reichte in keinem der vergangenen Jahre die Zahl der neu geschaffenen Sozialwohnungen aus, um den Verlust an Sozialbindungen bei den Bestandswohnungen auszugleichen. Im Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2021 habe sich der Bestand an Sozialwohnungen im Saldo um 30.000 Wohnungen pro Jahr verringert.
Neben dem Neubau von Sozialwohnungen gibt es deshalb auch immer wieder das Bemühen, die Mietpreisbindungen alter Sozialwohnungen zu verlängern. Dafür wird versucht, von den Eigentümern der entsprechenden Wohnungen sogenannte "Belegungsrechte" zu kaufen. Dieses Verfahren spielt insgesamt aber nur eine nachrangige Rolle. Entscheidend ist vor allem der Neubau.
In Berlin wurden im vergangenen Jahr Förderanträge für 1.935 Sozialwohnungen bewilligt. Der allergrößte Anteil der Anträge kam dabei von den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften (für 1.732 Wohnungen). Privaten Investoren wurde die Förderung von 166 Wohnungen zugesagt, Genossenschaften für 37. Diese Zahlen nannte die Investitionsbank Berlin dem rbb auf Anfrage. In Summe waren das zwar deutlich mehr bewilligte Sozialwohnungen als 2021 (da waren es 1.011), aber auch deutlich weniger als noch 2020, wo die Förderung für mehr als 3.700 Sozialwohnungen auf den Weg gebracht wurde.
Um mehr Anreize für den Bau von Sozialwohnungen zu schaffen, hatte der Senat im Herbst die Förderrichtlinien für den Wohnungsbau reformiert. Seit Ende September können Bauinvestoren höhere Darlehen und Zuschüsse beantragen, wenn sie Sozialwohnungen errichten. Die Wohnungen sind dann über 30 Jahre lang mietpreisgebunden. Mieterhöhungen sind nur in engem Rahmen möglich. Für rund 2.000 Wohnungen, die noch nach dem alten Förderprogramm eine Zusage erhalten hatten, wird derzeit geprüft, ob und wie ihre Förderdarlehen an die gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten angepasst werden können.
Sendung: rbb24 Abendschau, 12.01.2023, 19.30 Uhr
Beitrag von Thorsten Gabriel
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