Analyse | Rücktritt von Julia Schmidt
Gut eineinhalb Jahre vor der nächsten Landtagswahl tobte bei Brandenburgs Bündnisgrünen hinter den Kulissen ein Kampf um Personen und Strategien. Am Freitagabend eskalierte der Streit. Und endete mit einem sofortigen Rücktritt. Von Thomas Bittner
Der grüne Landesvorstand hat der eigenen Vorsitzenden das Vertrauen entzogen und sie einstimmig zum Rücktritt aufgefordert. So etwas passiert nicht oft in Parteien, die regieren, Ministerinnen und Minister stellen, sich in Partei- und Koalitionsdisziplin üben. Der Grund für die Forderung: "wiederholte Fälle untragbaren Fehlverhaltens." Konkreter werden die Grünen, die ja sonst sehr auf Klartext setzen, in einer ersten Pressemitteilung nicht.
Was war untragbar? Und was hat sich da wiederholt? Politik-Kenner werden da hellhörig. Bei Brandenburgs Grünen waren in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt Rücktritte fällig. 2005 trat ein Landesvorsitzender wegen einer illegal beschäftigten Putzfrau zurück. 2012 wurde der Schatzmeister des Landesverbands zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er 270.000 Euro aus der Parteikasse abgezweigt hatte.
Doch diesmal geht es nicht um solcherart Peinlichkeiten und Vergehen, sondern wohl um einen handfesten Streit, mit wem und mit welcher Strategie die inzwischen zur Regierungspartei aufgestiegenen Grünen in den Landtagswahlkampf 2024 ziehen. Julia Schmidt stand am Ende mit ihren Ambitionen allein da.
Der 29-jährigen Studentin blieb nichts anderes übrig, als der Forderung nach sofortigem Rückzug nachzukommen. Bis zum Parteitag in ein paar Wochen konnte und wollte man nicht warten. Nicht einmal zu einer gemeinsamen gesichtswahrenden Presseerklärung kam es.
Julia Schmidt äußerte sich auf Twitter, sie mache "den Weg frei für eine Neuaufstellung des Landesverbandes bei der Landesdelegiertenkonferenz im April." Aus diesen dürren Zeilen lässt sich durchaus herauslesen, dass sie die ganze Landespartei nicht gut vorbereitet für die Auseinandersetzung im nächsten Wahljahr sieht. Darum ging es. Aber: Wer oder was muss neu aufgestellt werden? Sollten die Grünen nach dem Vorbild der Bundespartei Personen ins Rampenlicht rücken? Sollte man sich härter gegen die Koalitionspartner profilieren?
Sie selbst will sich derzeit nicht weiter öffentlich äußern. Sie wolle zunächst ihr Studium abschließen, "was zuletzt neben der politischen Tätigkeit immer schwieriger gelungen" sei, schreibt sie. Die Sorge um den Studienabschluss dürfte das geringste Problem gewesen sein. Vielmehr scheinen sich in der Landesspitze der mitregierenden Grünen in den vergangenen Wochen unbemerkt von der Öffentlichkeit die Auseinandersetzungen hochgeschaukelt zu haben.
Julia Schmidt, Politikstudentin aus Hohen Neuendorf, hatte die Positionen der Grünen in der Kenia-Koalition stets offensiv vertreten. Es wirkte, als würde sich der Aufstieg früherer junger Spitzenfrauen aus Brandenburg wiederholen. Auch Ska Keller, heute Europapolitikerin, und Außenministerin Annalena Baerbock waren als Landesvorsitzende in Brandenburg politisch durchgestartet. Schmidt wurde immer wieder als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2024 gehandelt. Aber offensichtlich nicht in der eigenen Partei.
Dass die Grünen vor einem Generationswechsel stehen, war schon länger offen diskutiert worden. Sowohl Umweltminister Axel Vogel als auch Sozialministerin Ursula Nonnemacher, die beiden prominentesten Grünen in Brandenburg, hatten keinen Hehl daraus gemacht, dass sie keine Ambitionen auf erneute Spitzenkandidaturen haben. Umso dringlicher wurde die Frage, wie sich die kleinste der drei Kenia-Koalitionsparteien aufstellt.
Wenn man sich in den Stunden nach dem Rauswurf der eigenen Parteichefin bei Grünen umhört, bleiben die Befragten seltsam schmallippig. Niemand will sich zitieren lassen, alle verweisen auf die verbliebene Co-Vorsitzende Alexandra Pichl. Dem rbb sagt Pichl, Julia Schmidt sei in den letzten Wochen und Monaten "vor allem in eigener Sache und nicht im Interesse des Landesverbands unterwegs gewesen." Sie habe dafür Gremien umgangen und "Falschaussagen getroffen". Heißt wohl: Sie hat gelogen. Mehr erfährt man nicht, sie wolle "im Interesse des Landesverbands und im Interesse von Frau Schmidt keine schmutzige Wäsche waschen".
Julia Schmidt schreibt: "Ich habe für mich persönlich entschieden, als Spitzenkandidatin nicht zur Verfügung zu stehen." Darin scheint der Kern der Auseinandersetzung zu liegen. Denn Schmidt schreibt von einer Kandidatur, die ihr bisher offiziell gar keiner angetragen hat.
Die Profilierung einer eher einsam agierenden Spitzenfrau oder eines Spitzenmanns war den basisdemokratisch orientierten und in Brandenburg jahrzehntelang außerparlamentarisch agierenden Parteifreunden der Grünen stets suspekt.
Jetzt aber rückt die Personalfrage ins Rampenlicht. Wer geht mit welchem Plan ins Wahljahr? Die Landesdelegiertenkonferenz Ende April muss darauf Antworten finden.
Sendung: rbb24, 18.02.2023, 21:45 Uhr
Beitrag von Thomas Bittner
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