Krieg gegen die Ukraine
Arshak Makichyan war lange das russische Gesicht der Fridays-for-Future-Bewegung. Als er spektakulär gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine protestiert, muss er nach Berlin fliehen. Jetzt hat der russische Staat ihn und seine Familie ausgebürgert. Von Eva Sinitseva
Es hätte ein glücklicher Tag werden sollen, der 24. Februar 2022. Die russischen Aktivist:innen Arshak Makichyan und Polina Oleinikova hatten einen Termin im Moskauer Standesamt und wollten heiraten. Doch am frühen Morgen des Tages erfährt das Paar: Russland greift das gesamte Staatsgebiet der Ukraine an.
Spontan entscheidet sich das Brautpaar für eine politische Aktion. Polina Oleinikova zieht ein blaues Kleid an und trägt dazu gelbe Blumen. Makichyan schreibt in Rot auf sein Hemd: "Fuck the war". Die Bilder der Hochzeit gehen sofort viral.
Bereits wenige Tage nach der Aktion drohen ihnen mehrjährige Haftstrafen in Russland. Sie fliehen nach Berlin, finden Unterschlupf bei einer deutschen Familie und organisieren von da an Proteste gegen den Krieg vor der Russischen Botschaft.
Schon kurze Zeit später erfährt Arshak Makichyan: Russland will ihn ausbürgern. Dem Aktivisten, seinem Vater und seinen Brüdern sollte die russische Staatsbürgerschaft entzogen werden, obwohl die Familie seit fast 30 Jahren in Russland lebt und keine anderen Pässe hat. Sie waren damals vor dem Krieg in Bergkarabach aus Armenien nach Russland geflohen.
Am 1. Februar nun hat ein Gericht entschieden: Makichyan, sein Vater und seine Brüder sind keine russischen Staatsbürger mehr. Sein Vater Artur Makichyan wurde am Mittwoch noch am Ausgang des Gerichtsgebäudes im russischen Krasnogorsk, in der Nähe von Moskau, verhaftet. Der Vorwand: Das Foto in seinem Pass sei nur aufgeklebt und der Pass sei nicht echt. Gleichzeitig wurde auch Makichyans Bruder Gagik in Moskau festgenommen und auf dieselbe Polizeistation gebracht.
"Ich habe nicht erwartet, dass sie meinen Vater und Bruder verhaften", sagt Arshak Makichyan sichtlich erschüttert. "Das sind Repressionen ähnlich wie zur Zeit der Sowjetunion. Für meinen Aktivismus wird meine Familie in Sippenhaft genommen."
Laut Makichyan und seinem Anwalt Maxim Oleinichev wurden Makichyans Verwandte aufgefordert Russland zu verlassen, sonst würden ihnen Haftstrafen drohen, weil ihr Aufenthalt im Land nun illegal sei. Sein Bruder musste wenige Stunden später Russland verlassen, solange sein Pass noch gültig war. Sein Vater erhielt zwei Tage Zeit, um für immer auszureisen.
"Die Justiz hatte eigentlich keine Macht über die Frage der Staatsbürgerschaft zu entscheiden, das ist eine Angelegenheit des Innenministeriums", sagt Anwalt Oleinichev. "Diese Ausbürgerung ist gesetzeswidrig und politisch motiviert. Zum ersten Mal wurde die Staatsbürgerschaft für einen Anti-Kriegs-Protest entzogen. Wir wissen nicht, ob weitere Fälle folgen, aber es ist ein Präzedenzfall", so der Jurist.
Makichyan und sein Anwalt sind überzeugt: Millionen Menschen in Russland, die nicht von Geburt an die russische Staatsbürgerschaft haben, riskieren nun diese zu verlieren, wenn sie sich gegen Putins Regime äußern. “Ich fürchte, das ist erst der Anfang", sagt Makichyan. "Wenn wir Putin nicht stoppen, wird die Situation immer schlimmer.”
Den Gerichtsprozess versteht er als Druckmittel, damit seine Rückkehr verhindert wird: "Die russischen Behörden wollen, dass ich mich nicht mehr als Russe verstehe", ist Makichyan überzeugt. "Sie wollen, dass ich sage: Ich bin kein Russe. Aber im Gegenteil: Ich bin Teil des multinationalen Russlands."
Als im Sommer das Verfahren eingeleitet wurde, bekam Arshak Makichyan viele Kommentare in den sozialen Medien. Er solle doch glücklich sein, dass ihm die Staatsbürgerschaft entzogen werden soll. Es sei schließlich gar nicht so leicht, diese abzugeben. Doch für den Aktivisten ist die Staatenlosigkeit ein großes Problem: Ohne Staatsbürgerschaft bleibt ihm nur, Asyl in Deutschland zu beantragen.
"Die Situation ist schrecklich, ich wünsche keinem Menschen staatenlos zu werden", sagt der Aktivist. "Ich kann kein Visum bekommen, kann mich nicht legal hier aufhalten und nicht in andere Länder reisen."
In den letzten Jahren hatte Makichyan die Klimagipfel in Madrid und Glasgow besucht: Er stellte kritische Fragen an die russische Delegation, organisierte politische Aktionen und vernetzte sich mit Aktivisten aus der ganzen Welt. Wegen des eingeleiteten Verfahrens gegen ihn, wusste er nicht, ob sein Pass noch gültig war und konnte deswegen nicht zum Klimagipfel fahren. "Ohne gültigen Pass, asylsuchend, ist es schwer, Aktivist zu sein und ich habe kein Recht zu arbeiten."
Der 28-Jährige war lange das Gesicht der russischen Fridays-for-Future-Bewegung. Jahrelang protestierte er gegen die Klimakrise in Russland. Von Beruf Profigeiger musste Makichyan für seinen Aktivismus sogar seine Musikkarriere opfern. Immer wieder wurde er vorübergehend festgenommen. Nach seiner ersten Klimakonferenz in Madrid saß er in Russland sechs Tage im Gefängnis.
Die Flucht nach Berlin hat Arshak Makichyan vor neue Herausforderungen gestellt. Er muss sich nicht nur in einem neuen Land zurechtfinden, sondern auch seine Rolle als Politik- und Umweltaktivist überdenken. “Ich fühle mich verloren. Ich war schon innerlich gebrochen, als ich mit der Musik aufhörte, jetzt versucht mir der russische Staat meine Identität zu nehmen”, sagt Makichyan.
Früher glaubte er, seine Verhaftung könnte ein Zeichen sein und etwas bewirken. Doch dann wurde ihm klar, dass er in Freiheit mehr erreichen kann. "Inhaftiert zu werden inspiriert die Menschen in Russland nicht mehr, im Gegenteil, es verängstigt sie noch mehr. Jetzt muss man andere kreative Protestformen finden."
Hier in Deutschland kämpft er als Aktivist dafür, dass der Krieg und die Klimakrise nicht vergessen werden. "Ich glaube, Russland wird irgendwann frei sein und wird Politiker und Aktivisten brauchen." Arshak Makichyan hofft, dass er dann dabei sein kann.
Beitrag von Eva Sinitseva
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