Brandenburger Regierung
Das Zeitfenster für die Kenia-Koalition wird kleiner. Im Spätsommer dürfte der Brandenburger Wahlkampf bereits seine Schatten vorauswerfen. Mit dem Rausschmiss der Grünen-Vorsitzenden fehlt nun eine zentrale Figur gemeinsamer Regierungsarbeit. Von Hanno Christ
Wenn Politiker, Parteien und Regierungen in Koalitionen etwas vermeiden wollen, dann ist es das Bild von Streit und Zwist. Mit Disharmonie lässt sich bei den Wählern nicht punkten. Die erwarten, dass der Regierungsmotor schnurrt, nicht stottert. Bei drei so ungleichen Partnern wie SPD, CDU und Bündnis'90/Grüne gibt es reichlich Abstimmungsbedarf oder - um im Bild zu bleiben - Bedarf nach Schmierstoff. Und der wird zumindest auf Seiten der Bündnisgrünen nach dem Abgang ihrer Co-Landesvorsitzenden Julia Schmidt dringend gebraucht. Schmidt gehörte bis zuletzt für die Koalitionspartner von SPD und CDU zu den wichtigsten Ansprechpartnerinnen. Nun wurde sie vor die Tür gesetzt.
Der erzwungene Rückzug der 29-Jährigen kam für Beobachter wie Mitregierende plötzlich und unerwartet. Am Freitag vergangener Woche hatte ihr der Landesvorstand den Rücktritt nahegelegt. Von "untragbarem Fehlverhalten" Schmidts war da die Rede. Es war eine Formulierung, die das Tor für Gerüchte und Spekulationen weit aufriss. Seitdem rätseln sie in Partei und Medien, welches Fehlverhalten so untragbar sein kann, dass eine - als künftige Spitzenkandidatin gehandelte - Frontfrau so jäh in den politischen Abgrund gestoßen werden musste.
Die Studentin war zwar berufsunerfahren, aber bislang eines der präsentesten Mitglieder des Landesverbandes – auf steter Gratwanderung zwischen Profilierung der Grünen und Kompromissfindung mit den Koalitionspartnern andererseits. In Reden und Interviews griff sie die Koalitionspartner von SPD und CDU immer wieder öffentlich an, hinter den Kulissen aber arbeitete sie an Kompromissen mit den Mitregierenden. Die beschreiben sie noch heute als verlässliche Ansprechpartnerin im Maschinenraum der Koalition.
Mit dem Abgang von Julia Schmidt stellt sich die Frage, wer ihre Funktion künftig einnehmen wird und wer bei den Grünen das Scharnier sein wird in den Abstimmungsrunden mit den politischen Partnern. Die Fraktionsspitze im Landtag wird mit Petra Budke und Benjamin Raschke wichtiger werden. Fraglich dagegen ist wie die noch verbliebene Landesvorsitzende Alexandra Pichl ihre Rolle ausfüllen wird.
Die Bündnisgrünen sind stärker als SPD und CDU darauf bedacht, basisdemokratisch zu agieren. Keine Zustimmung ohne die Gremien der Partei, keine Alleingänge. Womöglich sind Letztere Julia Schmidt zum Verhängnis geworden. Hat sie ihre Bedeutung überschätzt? Nachdem sie der Landesvorstand am Freitag zum Rücktritt gedrängt hatte, twitterte Schmidt noch auf eigene Faust, sie stünde für eine Kandidatur als Spitzenkandidatin nicht mehr zur Verfügung. In der Partei stieß dies manchem übel auf. Über eine Spitzenkandidatin werde erst nächstes Jahr entschieden. Ob die dann Julia Schmidt heißt, sei noch nicht ausgemacht.
Auf den letzten Metern der Legislatur könnte dieses Vakuum an der Spitze der Bündnisgrünen zum Problem werden. Im Herbst 2024 steht die Landtagswahl an, im Herbst und Frühjahr schmieden die Parteien ihre Wahlkampf-Strategien und küren ihre Spitzenkandidaten. Schlechte Zeiten, um als Koalition noch große gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen. Das Fenster dafür dürfte sich bis zum Sommer schließen.
Das heißt: Bis dahin müssen die Parteien die ihnen wichtigsten Themen wohl unter Dach und Fach gebracht haben. Und davon gibt es noch einige, vor allem für CDU und Grüne: Die Grünen pochen auf einen Klimaplan, eine möglichst verbindliche Strategie, wie Brandenburg klimaneutral werden kann. Außerdem auf der Agenda: ein Moorschutzprogramm, mehr Tempo bei der Verkehrswende hin zu mehr Bahn, Bus und Rad. Vor allem das Ressort des bündnisgrünen Umweltministers Axel Vogel hat sich noch viel vorgenommen. Ob ein Jagdgesetz kommt ist zweifelhaft. Auch ein Waldgesetz und ein Agrarstrukturgesetz sollen neu aufgelegt werden. Allesamt Vorhaben, die mit Jägern, Waldbesitzern und Landwirten eine wichtige Klientel von SPD und CDU beschäftigen und – im Zweifel – verärgern könnten.
Die CDU wiederum ist an Nachschärfungen des Polizeigesetzes interessiert, bei denen sich die Grünen aber noch querlegen. Dabei geht es etwa um Möglichkeiten und Grenzen von Bodycams und um Befugnisse der Polizei beim Einsatz in Wohnungen. Gegen die haben wiederum die Bündnisgrünen erhebliche Vorbehalte.
Ein sogenannter Verfassungstreue-Check, die Prüfung von Landesbediensteten auf möglichen Extremismus, ist noch eine Hausaufgabe der CDU. Die Gespräche dazu im Parlament laufen. Auch hier dürfte Fingerspitzengefühl in Koalitionsrunden gefragt sein, vom ausgedehnten Einsatz des Kennzeichen-Erfassungssystems KESY und dem Zoff um das sogenannte Behördenzentrum am BER ganz zu schweigen.
Die CDU will mehr Abschiebungen, die Bündnisgrünen tragen es zähneknirschend noch mit. Die SPD hat zwar mit der Kita-Beitragsfreiheit die Einlösung eines ihrer größten Wahlversprechen vor Augen, hat aber Probleme wie massiven Lehrkräftemangel vor der Brust. Sie muss aufpassen, dass ihr die Bildungs- und Schulpolitik im nächsten Jahr nicht auf die Füße fallen wird.
Die Pandemie-Bekämpfung und die Krisen, die durch den russischen Angriffskrieg ausgelöst worden sind, haben die Kenia-Koalition zur Zusammenarbeit genötigt - und manche ihrer teils erheblichen Unterschiede überdeckt. Nun wird sich zeigen, wie viel Zusammenhalt übrig ist - oder überhaupt noch gewünscht ist. Die Koalition ist jedenfalls noch reich an konfliktträchtigen Themen bis Ende 2024.
Mit dem Rauswurf von Julia Schmidt haben sich die Bündnisgrünen ein Problem geschaffen, das der Spitze - und dann auch der Koalition - nochmal auf die Füße fallen könnte. Es brodelt, die Basis hat Fragen. Die guten Gründe für den Rausschmiss ist ihr der Landesvorstand noch schuldig.
Sendung: rbb24 Inforadio, 20.02.2023, 15 Uhr, Der Nachmittag
Beitrag von Hanno Christ
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