Brandenburg streitet über Flächennutzung
Zwei Prozent der Brandenburger Landesfläche sollen künftig als sogenannte Wildnisgebiete ausgewiesen sein. Bei einer Debatte im Landtag traten am Donnerstag überraschend viele Zweifel an diesem Koalitionsziel zutage. Von Hanno Christ
Für Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) hatte die Debatte am Donnerstag im Parlament etwas von einer Zeitreise: Die Diskussion um die Ausweisung von Wildnisgebieten erinnere ihn an die Debatten der 1990er Jahre, sagte er. Damals diskutierten Abgeordnete, Verbände und Bürger in Schwedt teils hitzig über die Etablierung des Nationalparks an der Oder. Die Bedenken waren groß, welche Einschränkungen das wohl für die Bürger mit sich bringen würde. "Ich hätte es aber nie für möglich gehalten, dass 20 Jahre später auf dem Stadtschild Nationalparkstadt Schwedt steht", sagte Vogel. Dies zeige eine große Verbundenheit der Region mit ihrem Nationalpark. Derlei Zeitreisen bemühte der Umweltminister am Donnerstag, um Widerstände und Vorbehalte zu überwinden.
Die Ausweisung neuer Wildnisgebiete ist heute abermals umstritten: Die einen wollen der Natur mehr Raum geben, die anderen fürchten zu viele Einschränkungen für den Menschen. Die Geschichte wiederholt sich.
Vogels Auftrag: die sogenannten Wildnisgebiete von einer Fläche von derzeit etwa 30.000 Hektar auf 60.000 ausweiten. Damit wären dann zwei Prozent der Landesfläche offiziell wild. So hatte es der Bund in seiner Biodiversitätsstrategie bereits 2007 vorgegeben. So steht es auch seit 2019 im Hausaufgabenheft der Kenia-Parteien, dem Koalitionsvertrag.
Was Wildnis genau ist, dazu gibt es unterschiedliche Definitionen: Im weitesten Sinne aber definiert das Bundesamt für Naturschutz Wildnisgebiete als "unzerschnittene, ausreichend große Gebiete, die dazu dienen, einen vom Menschen unbeeinflussten Ablauf natürlicher Prozesse zu gewährleisten". Wildnisgebiete sind besonders artenreich und gelten als Kohlenstoffsenken, also als Gebiete, die klimaschädliches Kohlendioxid speichern.
In der von Abgeordneten teils als "absurd" bezeichneten Debatte im Landtag wirkte es allerdings, als sei weder die Definition klar noch die Festlegung auf zwei Prozent Landesfläche. Fraktionsübergreifend herrschte überraschende Uneinigkeit - auch in der Koalition. Anlass der Diskussion: Ein Antrag der Linken, der sich zwar nicht gegen die Ausweisung neuer Wildnisgebiete richtete, in dem aber für eine bessere Kommunikation des Ministeriums mit betroffenen Bürgern geworben wurde.
Das Ministerium hat gerade ein Wildnis-Konzept für die Umsetzung der Vorgaben erarbeitet, in den betroffenen Regionen aber regt sich bereits Widerstand. Die Sorgen vor Einschränkungen - etwa bei der touristischen, baulichen oder verkehrstechnischen Nutzung des Spreewaldes oder der Lieberoser Heide - wachsen. Vor allem Landwirte fürchten den Verlust von Wirtschafts-Flächen.
Die AfD lehnt neue Wildnisgebiete komplett ab, andere äußern Zweifel. Der umweltpolitische Sprecher der SPD, Wolfgang Roick, warb dafür, "Überlegungen zu überdenken, nicht zu forcieren". Womöglich seien vom Menschen bewirtschaftete Flächen sogar nachhaltiger und klimaschonender als Wildnisgebiete. Erst brauche es eine Bestandsaufnahme von Flächen, die es schon gibt. Anders formuliert: Das Zwei-Prozent-Ziel sei schneller erreicht, wenn man genauer hingucke - also anders etikettiert.
Christine Wernicke (BVB/Freie Wähler) mahnte hohe Kosten für den Steuerzahler an. Anke Schwarzenberg (Linke) kritisierte die fehlende Kommunikation des Umweltministeriums mit Menschen vor Ort. "So gewinnen wir die Menschen nicht", so Schwarzenberg.
Ingo Senftleben (CDU) hingegen unterstützte die Pläne des Umweltministeriums. Es sei richtig, die Menschen mitzunehmen und Aufgabe der Abgeordneten vor Ort aufzuklären. "Wir wollen etwas zurückgeben, was Natur schenken kann", so Senftleben. Seit 2007 gäbe es das Zwei-Prozent-Ziel. "Wir haben es geschafft, es nicht zu schaffen."
Dabei lasse sich echte Wildnis nicht von heute auf morgen schaffen, so Umweltminister Vogel. Es sei eine Aufgabe von Jahrzehnten, die umfangreiche Vorbereitungen erfordere. Der Mensch muss Hand anlegen. "Ich kann nicht einen Kiefernwald einfach zu einem Wildnisgebiet erklären und dann sagen: Es wird schon." Der Tourismus im Spreewald werde nicht eingeschränkt, umgestürzte Bäume aus den Fließen würden wegen der Kahnfahrten nicht liegengelassen. Kritik an mangelhafter Kommunikation wies er zurück. Im Spreewald seien bereits Info-Veranstaltungen geplant.
"Es ist ein Geschenk an die Zukunft, das wir machen und wir wollen es mit den Menschen vor Ort abstimmen." Eine gute Nachricht brachte der Umweltminister gleich mit in den Landtag: Die Sielmann-Stiftung habe gerade angekündigt, ihre Flächen in der Lausitzer Bergbau-Folgelandschaft als Wildnisgebiet einzubringen. Dem Zwei-Prozent-Ziel sind sie damit schon ein Stückchen näher gerückt - ganz ohne Streit.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 23.02.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Hanno Christ
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