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Audio: Inforadio | 11.02.2023 | Ulrike Bieritz | Quelle: Picture Alliance

Nachruf DDR-Ministerpräsident Hans Modrow

Er wollte einen anderen Sozialismus - und beerdigte die DDR

Hans Modrow war glühender Sozialist und über lange Jahre Parteifunktionär in der DDR. Doch er galt auch als kritisch. Im Umbruch 1989 geriet er so ganz nach oben. Selbst nach dem Ende der DDR blieb Modrow meinungsstark. Von Ulrike Bieritz

Hans Modrow galt einmal als ein Hoffnungsträger, als Reformer, nicht als Betonkopf. Er wollte einen anderen Sozialismus und hat doch am Ende - als ihr letzter nicht frei gewählter Ministerpräsident - die DDR beerdigt. "Deutschland soll wieder einig Vaterland aller Bürger deutscher Nation werden", sagte er am 1. Februar 1990 vor der Presse in Ostberlin. Damit war das Ende der DDR besiegelt und Modrows Schicksal auch.

Mit 95 Jahren

Früherer DDR-Regierungschef Hans Modrow gestorben

Der Politiker Hans Modrow ist im Alter von 95 Jahren gestorben. Er war in den Jahren 1989/1990 Ministerpräsident der DDR und verhandelte nach dem Fall der Mauer die ersten Schritte hin zur Wiedervereinigung mit der Bundesregierung.

Sowjetische Gefangenschaft prägte sein Leben

Geboren wurde Hans Modrow am 27. Januar 1928 in Westpommern. Seine Familie floh im letzten Kriegsjahr in den Westen, allerdings ohne ihn: Er war zum Ende des Kriegs eingezogen worden und befand sich zu diesem Zeitpunkt schon in sowjetischer Kriegsgefangenschaft.

"Die sowjetische Gefangenschaft hat mir zwei Elemente meines Lebens gegeben, die mich auch immer wieder geprägt haben", sagte Modrow später. "Erstens: Ich habe begriffen, dass die Deutschen den Völkern der Sowjetunion gegenüber eine Wiedergutmachung zu leisten hatten und haben. Ich habe zweitens begriffen - das war meine Überzeugung - dass es ein friedliches Deutschland geben solle, auch ein vereinigtes Deutschland, an das wir unser Engagement als junge Leute in den 1950er Jahren geben."

Quelle: dpa-Bildfunk

Eltern im Westen sah er nie wieder

Nach dem Krieg machte Modrow Parteikarriere im Osten Deutschlands. Als höherem Funktionär waren ihm Westkontakte verboten. Seine Eltern sah Modrow daher nie mehr wieder. Weder an der Beerdigung des Vaters noch der Mutter nahm er teil. 2009 sagte er, der Verzicht auf Familienkontakte sei ihm zum einen schwergefallen - und zugleich auch nicht. So habe er seine Schwester Ellen noch einmal getroffen und "habe nur Vorwurf erlebt". Modrow erläuterte: "Ich habe nur erlebt, dass sie Adenauer verteidigt und Ulbricht der verfluchte Spitzbart und der Strolch ist. Und willst du mit deiner Schwester, wenn du sie siehst, ununterbrochen über Adenauer und über den Spitzbart Ulbricht streiten? Das lohnt doch nicht. Einer überzeugt den anderen nicht. Was soll dann daraus werden?"

Modrow galt in der SED als Reformer

Über Jahrzehnte gehörte Modrow der DDR-Volkskammer an und war Mitglied des Zentralkomitees, des höchsten Parteigremiums der Partei. Doch erst zum Ende der DDR drang er bis in die Spitze vor.

1989, als es mit der DDR zu Ende ging, war Modrow Erster Sekretär der Bezirksleitung der SED in Dresden. Als es zu Gewalttätigkeiten kam, weil Ausreisewillige versuchten, auf die aus Prag kommenden Flüchtlingszüge aufzuspringen, bemühte er sich mit Dresdens Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer um einen Dialog mit der "Gruppe der 20", die von Demonstranten abgesandt waren. Es waren die ersten Gespräche, die es zwischen Behörden, Partei und Opposition gab.

Ende des Jahres 1989 wurde Modrow Ministerpräsident der DDR und damit Nachfolger von Willy Stoph. In der Partei galt Modrow als Reformer. "Jeder muss, wenn es um die Erneuerung geht, bei sich selbst beginnen", sagte er einmal. "Und keiner darf dem anderen mit altem Denken gegenüberstehen. Das glaube ich, ist die Kernfrage, um die es überall und jederorts geht."

Quelle: dpa/Rolf Haid

Einen Tag vor den ersten freien Volkskammer-Wahlen, die am 18. März 1990 stattfanden, wurden noch nach Modrow benannte Gesetze verabschiedet. Nach diesen konnten DDR-Bürger die Grundstücke, auf denen ihre Häuser standen, preiswert kaufen. Doch schon im April 1990 war die kurze Amtszeit Hans Modrows als Ministerpräsident zu Ende.

Am 3. Oktober des Jahres zog er für die in PDS umbenannten SED in den Bundestag ein. 1999 wurde er ins Europaparlament gewählt, in dem er bis 2004 saß.

Wahl im Abgeordnetenhaus

Früherer DDR-Oppositioneller Ebert ist neuer SED-Beauftragter in Berlin

Bewährungsstrafe 1995 wegen Anstiftung zur Wahlfälschung

1993 wurde Modrow vom Landgericht Dresden wegen Anstiftung zur Wahlfälschung verwarnt, 1995 zu einer Bewährungsstrafe von neun Monaten verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er bei den sozialistischen Kommunalwahlen 1989 in der ehemaligen DDR mitverantwortlich für die von der Einheitspartei SED begangenen Wahlfälschungen war. Modrow habe sich nach Aussage der Richter damals "blind linientreu" verhalten, hieß es. Strafmildernd sei aber sein Reformwille gewesen, zudem seien seine Motive nicht eigennützig gewesen.

DDR-Bürger hatten wegen der Fälschung Anzeige erhoben, ein DDR-Staatsanwalt hatte bereits 1989 gegen Modrow ermittelt.

"Ich bin von diesem Urteilsspruch beeindruckt und überrascht, dass er so ausgefallen ist", sagte Modrow dazu. "Denn man muss ja von dem Antrag der Staatsanwaltschaft ausgehen und das Urteil, was das Gericht jetzt gefällt hat, beeindruckt mich."

Quelle: dpa/Jörg Carstensen

Bartsch und Gysi: Ohne Modrow wäre SED-Reform "viel schwerer geworden"

In den letzten Jahren war es stiller um den bekennenden Sozialisten geworden. Doch ab und an schreckte er seine Genossen bei den Linken auf: etwa mit Warnungen vor zu viel Annäherung an die SPD. Und erst Anfang 2013 kritisierte er seine Partei für ihren Umgang mit den älteren Mitgliedern. Das sei bei den Sozialdemokraten viel besser, monierte er.

Die Linken-Politiker Bartsch und Gysi schrieben in ihrem Nachruf, ohne Modrow wäre die Reform der SED zur PDS "sehr viel schwerer geworden". Modrow habe sich außerdem "große Verdienste bei der politischen und ökonomischen Sicherung für die Bevölkerung" erworben.

Er habe sich auch immer wieder kritisch über die Politik und Strukturen der eigenen Partei geäußert. "Es hat nicht geschadet, im Gegenteil", fügten Bartsch und Gysi hinzu. Ein besonderes Verdienst und sein politisches Vermächtnis bleibe "der gesamte friedliche Verlauf der Herstellung der deutschen Einheit".

Sendung: Inforadio, 11.02.2023, 14:11 Uhr

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