Machbarkeitsstudie zu Wasserstoff-Netz
Deutschland und Europa setzen künftig maßgeblich auf Wasserstoff als Energieträger. Noch mangelt es aber an der nötigen Infrastruktur. Eine Studie hat erforscht, inwiefern Brandenburg dafür gewappnet ist. Sie zeigt: Das Land hat noch sehr viel zu tun. Von Hanno Christ
Wenn der Brandenburger Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) über das Wasserstoffnetz für Brandenburg spricht, dann zeichnet er gerne das Bild eines menschlichen Organismus. Da ist dann von einer Aorta die Rede, von Adern und sonstigen Verästelungen, über die das Blut bzw. der Wasserstoff (H2) dorthin gelangt, wo es gebraucht wird.
Bleibt man in diesem Bild, so steht Brandenburg vor einer Blutwäsche von fossilen Energieträgern hin zu grünem Wasserstoff. Wie genau die aussehen soll, ohne dass der Patient einen Kollaps erleidet, hat Steinbachs Haus in einer aufwendigen Studie erstmals durch ein Konsortium unter Koordination des Fraunhofers-Instituts ermitteln lassen.
Wasserstoff wird per Elektrolyse gewonnen. Wird die Energie für die Elektrolyse aus regenerativer Energie wie Wind oder Sonne erzeugt, spricht man von grünem Wasserstoff. Die großen Vorteile: Energie lässt sich dadurch speichern und transportieren. Um Wasserstoff in Mengen über große Distanzen zu transportieren, gelten Pipelines als der technologisch und wirtschaftlich günstigste Weg. Wasserstoff wird darin gasförmig unter Druck verteilt.
Das Netz dafür steckt aber noch in den Kinderschuhen. Bereits vorhandene Erd-Gasleitungen müssen erst ertüchtigt werden, beispielsweise weil H2 anders auf Metalle wirkt als Erdgas. Bislang gibt es nur wenige regionale Netze und Versuchsanlagen - etwa bei Gelsenkirchen in Nordrhein-Westfalen oder in Bitterfeld in Sachsen-Anhalt – die derlei Voraussetzungen erfüllen.
Die Experten von Fraunhofer-Institut, Reiner Lemoine-Institut und dem Infracon-Infrastruktur-Service errechneten für Brandenburg eine Landkreis-genaue Potenzialanalyse, aufgeschlüsselt nach regionalem Bedarf und Produktionsstätten von Wasserstoff. Sie berücksichtigen dabei großindustrielle Unternehmensstandorte wie Raffinerien und Stahlwerke, Glas- und Papierhersteller oder auch Baustoff-Produzenten.
Die künftigen Kraftzentren für die Erzeugung von grünem – also regenerativ erzeugtem - Wasserstoff sehen sie in der Uckermark und künftig in der Lausitz. Im Nordosten ist der Anteil von Windkraftanlagen schon heute besonders hoch. Im Süden plant der Energiekonzern Leag große Solar- und Windkraft-Investitionen auf ehemaligen Tagebauflächen.
Außerdem schätzten die Analysten ab, wie sich bis 2045 Verkehrsströme und Wärmebedarf entwickeln würden. Nach der Prognose wäre Berlin mit einem Bedarf von geschätzten fünf Terrawattstunden gegenüber Brandenburg mit 35 Terrawattstunden ein regelrechter Verbrauchszwerg. Bis 2045 müsste das Netz einen H2-Transport in einer Menge von etwa 66 Terrawattstunden ermöglichen – und das möglichst krisensicher.
2030 gehen die Studienmacher von einem H2-Startnetz in einer Länge von 687 Kilometern aus. Etwa 60 Prozent dieses Netzes könnten aus bereits vorhandenen Leitungen bestehen. Der Rest von 260 Kilometern müsste neu zugebaut werden. In den meisten Fällen könnten dafür bereits bestehende Trassen genutzt werden. Um den Bedarf bis 2035 zu decken, halten die Forscher Neubauten in einer Länge von fast 200 Kilometer für notwendig - etwa auf der Strecke von Cottbus nach Eisenhüttenstadt. Bis 2045 müsste das Netz eine Leitungs-Gesamtlänge von 1.100 Kilometern haben.
Neubauten sollten im besten Falle gar nicht erst durch Naturschutzgebiete laufen – im grünen Brandenburg ein schwieriges Unterfangen. Nicht untersucht wurde in der Analyse, wieviel Wasser dieser Umbau und die Erzeugung von solch großen Mengen Wasserstoff erfordert. In einer wasserarmen Region wie Berlin und Brandenburg dürfte das aber eine Kernfrage werden. Steinbach setzt dabei auf Kreislauflösungen, bei denen Wasser nicht nur verbraucht, sondern auch wieder nutzen.
Für das Wirtschaftsministerium drängt die Zeit. "Wenn wir die Klimaziele in irgendeiner Form erreichen wollen, dann haben wir keine andere Chance. Die Transportwege müssen da sein, sie müssen auch so schnell da sein, dass Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben", so Steinbach. Fünf Jahre von der ersten Planung über die Genehmigung bis zur Errichtung seien noch zu lange. Auch Studien-Koordinator Thorsten Spillmann hält Wasserstoff gerade für große Unternehmen und Verbraucher als !alternativlos".
Um möglichst rasch klimaneutral zu werden, plädiert Steinbach auch dafür, die Speicherung von Kohlendioxid (CCS) in Brandenburg wieder in den Blick zu nehmen. "Ich glaube, dass wir uns dieser Frage wieder neu stellen müssen", so der Wirtschaftsminister. Allerdings sieht er das erst nach der Wahl Ende 2024. Im derzeitigen Koalitionsvertrag der Kenia-Regierung sei CCS kein Thema. Überlegungen der CDU-Spitze für ein eigenes C02-Pipeline-System sieht Steinbach dagegen eher skeptisch.
Schon die Wasserstoff-Infrastruktur der Zukunft hätte auf den ersten Blick auch einen stattlichen Preis von mehr als zwei Milliarden Euro. Zieht man bereits vorhandene Gas-Leitungen davon ab, blieben rund 1,2 Milliarden Euro übrig.
Je mehr der alten Leitungen umfunktioniert werden können, desto günstiger wird das Projekt. Eine Investition, die Wirtschaftsminister Steinbach nicht beim Staat, sondern bei den künftigen Betreibern der Netze sieht. "Vater Staat wird es nicht als eine eigene Infrastruktur bereitstellen können", so Steinbach.
Knackpunkt: Noch ist nicht klar, ob und - wenn ja - zu welchen Konditionen Netze betrieben werden können. Die Entscheidung werde auf EU-Ebene gefällt. Gelänge es nicht, Gasnetzbetreiber zum Mitmachen zu bewegen, wäre das für Steinbach "ein K.O.-Schlag" für das Wasserstoff-Netz.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 16.02.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Hanno Christ
Artikel im mobilen Angebot lesen