Bilanz der ersten 100 Tage
Die Brandenburger Tierschutzbeauftragte Anne Zinke ist seit 100 Tagen im Amt. Die Fachtierärztin ist qualifiziert - aber hat keine Entscheidungskompetenz. Für ihre bisherige Arbeit bekommt sie trotzdem von vielen Seiten Lob.
Röchelnde Hunde, kranke Kühe mit riesig angeschwollenen Eutern, Mastputen deren Gewicht zu schwer für ihr Skelett ist: Anne Zinke hat als Brandenburger Tierschutzbeauftragte viele Themen auf ihrer Liste, aber ganz oben steht für sie der Kampf gegen sogenannte Qualzucht, wie sie sagt. Seit 100 Tagen ist die hauptamtliche Tierschutzbeauftragte des Landes im Dienst.
Von Qualzucht spricht man, wenn Tiere so gezüchtet werden, dass sie deswegen gesundheitliche Schäden und Schmerzen erleiden. Wie etwa bei den Milchkühen, die auf Leistung gezüchtet werden würden, um eine hohe Milchleistung zu haben. Aber das führe zu anderen gesundheitlichen Problemen, sagt Zinke. Eine Kuh kann unter normalen Bedingungen 20 Jahre und älter werden. In der Milchproduktion wird sie bereits mit durchschnittlich 5,5 Jahren getötet, weil sie nicht länger die erwartete Leistung schafft. Viele derart hochgezüchtete Kühe leiden ihr Leben lang unter Krankheiten.
Hunde, die so gezüchtet würden, dass sie darunter leiden, bekommen kaum Luft zum Atmen. Rassen wie der Mops und die englische und französische Bulldogge leiden durch Qualzucht außerdem an Bandscheibenvorfällen, Augen-, Hüftgelenks- und Kniegelenksproblemen.
Das Tierschutzgesetz in Deutschland verbietet eigentlich Qualzucht. Durchgesetzt wird das Verbot allerdings kaum. Daher will Anne Zinke als eine ihrer ersten Maßnahmen nun Veränderungen bei dem Gesetz. Was diesem fehle, sei eine konkrete Definition solcher Qualzuchtmerkmale, argumentiert die gelernte Tierärztin.
In einer fachlichen Stellungnahme an das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft forderte Zinke vor einigen Wochen unter anderem, den Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere zu stärken, die Zucht von Tieren mit Qualzuchtmerkmalen einzudämmen und zu kontrollieren sowie den illegalen Welpenhandel einzuschränken. Man könne beispielsweise auch das Ausstellen von Tieren auf Tierschauen verbieten, die aus Qualzucht stammten - etwa Hunde.
Wie die Tierschutzbeauftragte ihr Amt ausführt, wird in Brandenburg mit großem Interesse verfolgt. Konkrete Befugnisse und Entscheidungskompetenzen aber hat auch die Neue nicht, wie bereits ihr Vorgänger. Erst seit 2017 gibt es die Stelle, eingeführt nach einem erfolgreichen Volksbegehren gegen Massentierhaltung in Brandenburg.
Es war ein mühsam ausgehandelter Kompromiss zwischen der damaligen rot-roten Landesregierung und dem Aktionsbündnis, dass das Volksbegehren angestoßen hatte. Kritiker sagen, dass der oder die Tierschutzbeauftragte kaum etwas bewirken könne. Vor allem, weil er oder sie nur eine beratende Funktion habe. Unangekündigte Kontrollen in märkischen Ställen beispielsweise darf man nicht durchführen. Das schleunigst zu ändern, fordert beispielsweise Axel Kruschat vom Verband BUND, einer der Initiatoren des erfolgreichen damaligen Volksbegehrens.
Die 35 Jahre alte promovierte Fachtierärztin für Tierschutz versteht ihren Job anders, wie sie sagt. Sie sehe sich erst einmal als Ansprechpartnerin für alle möglichen Seiten: Bürger und Bürgerinnen, aber auch Veterinärämter, Tierschutzvereine und die Politik. Kontrollen in Betrieben wolle sie den Veterinärämtern überlassen, weil es keine andere Rechtsgrundlage dafür gebe: "Meine Aufgabe ist, den Tierschutz übergeordnet, also quasi losgelöst von den Verwaltungsstrukturen zu verbessern", sagt Zinke.
Gegen Missstände wolle sie durchaus vorgehen, allerdings nur in Zusammenarbeit mit besagten Veterinärämtern, sagt sie. Einen Stopp der Massentierhaltung, ebenfalls eine Forderung der Initiatoren des damaligen Volksbegehrens, lehne sie ab. "Ich glaube, die Frage ist, wie man Massentierhaltung definiert. Das Wort ist für mich so ein bisschen ein abstraktes Wort, weil jeder versteht irgendetwas anderes darunter. Manche verbinden damit Haltungsbedingungen, manche verbinden damit Tierzahlen", sagt Zinke, ohne näher zu erklären, was genau sie selbst unter Massentierhaltung versteht.
Am Ende gehe es darum, die Haltungsbedingungen für die Tiere grundsätzlich zu verbessern. Dazu gehöre es auch den Raumbedarf für die Tiere zu erhöhen. Das müsse schnell geschehen, so Zinke. Daran würden aber bereits viele Seiten arbeiten, die aus Tierschutzsicht interessiert seien. Welche konkreten Fortschritte von welcher Seite es hierbei gerade gibt, führte sie nicht genauer aus.
Die CDU-Landtagsabgeordnete Roswitha Schier sieht die Arbeit der Tierschutzbeauftragten kritisch, wie sie sagt. Dass Zinke Tierhalter besucht, um zu gucken, ob dort alles in Ordnung ist, bewerte sie als einen "Angriff" auf die Tierhalter. "Ich finde es natürlich sehr bedenklich, wenn alle Nutztierhalter per se in eine Schublade gesteckt werden", sagt Schier. Sie fordert von der Tierschutzbeauftragten, "auch mal einen positiven Bericht darüber abzugeben", wenn diese Nutztierhalter besucht habe, um diese Nutztierhalter nicht zu "kriminalisieren". Positive Berichte stehen allerdings nicht explizit im Jobprofil der Tierschutzbeauftragten - die Stelle wurde geschaffen, um Zustände zu verbessern.
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Brandenburger Landtag, Benjamin Raschke, sprach von einem sehr guten ersten Eindruck, den er von Anne Zinke gewonnen habe. "100 Tage sind noch nicht so viel, aber, wir haben festgestellt, dass sie ziemlich viel unterwegs ist im Land, um sich einen Eindruck zu verschaffen", sagte Raschke. Das sei eine sehr gute Voraussetzung für eine gute Arbeit.
Andreas Büttner von der Linksfraktion sagt, er halte sie ebenfalls für eine gute Besetzung. Was die Ausstattung mit Kompetenzen betrifft, sagt er: "Da gibt es im Bereich von Frau Doktor Zinke sicherlich Nachbesserungsbedarf."
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