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Video: rbb24 Abendschau | 31.03.2023 | Ulrich Crüwell | Quelle: dpa/F. Rumpenhorst

Berliner Einrichtungen in finanzieller Not

"Wie wichtig sind Jugendliche noch in unserer Stadt?"

Jugendarbeit - das war das große Stichwort nach den Krawallen in der Silvesternacht. Die Regierende Bürgermeisterin Giffey hat zwar Zuschüsse versprochen - Jugendclubs und Wohlfahrtsverbände klagen trotzdem über zu wenig Geld. Von Laura Kingston

Januar 2023: Nach der Silvesternacht sind die Gemüter in Berlin (und teils auch in Bayern) erhitzt. Jugendliche hatten im Bezirk Neukölln mit Böllern auf Rettungskräfte gezielt, Personen wurden verletzt, 145 Menschen festgenommen. Die Union forderte Vornamen, die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) lud stattdessen zum Gipfel gegen Jugendgewalt ein. Viele Diskussionen und ein Konsens: Berlin muss sich um seine Jugendlichen kümmern.

Drei Jugendclubs müssen offenbar schließen

Im Februar hinterlegte Giffey ihre Versprechen, mehr gegen Jugendgewalt zu tun mit 90 Millionen Euro für Projekte im Bereich der Jugendarbeit. Jetzt, Ende März, dann die Nachricht: Drei Jugendeinrichtungen des Trägers "SozDia e.V." müssen schließen - wegen mangelnder finanzieller Unterstützung von der Politik. In einer Pressemitteilung vom Donnerstag teilte die Stiftung mit, es gehe um "Phönix" und "Linse" in Lichtenberg und "Das Horn" in Treptow-Köpenick.

Dazu sagte eine Sprecherin von SozDia gegenüber dem rbb, die finanzielle bezirkliche Unterstützung reiche nicht einmal aus, um die Personalkosten zu decken. "Das heißt, wir müssen Eigenmittel in erheblichem Maße aufbringen, um die Orte für junge Menschen noch aufrechtzuerhalten. Und das haben wir auch immer sehr gerne getan, [...] aber es ist jetzt an einem Punkt, wo wir es schlichtweg nicht mehr tragen können. Und wo aus unserer Sicht das Land Berlin sich wirklich fragen muss, wie wichtig [...] sind Jugendliche noch in unserer Stadt?"

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Bildungsverwaltung: Von einer Schließung kann nicht die Rede sein

Jugendfreizeiteinrichtungen gehören in Berlin zur Verantwortung der Senatsverwaltung für Bildung. Konfrontiert mit den Schließungen, von der die SozDia e.V spricht, antwortet die Bildungsverwaltung mit Einspruch: "Unsere Recherchen mit dem Bezirk Lichtenberg haben ergeben, dass der Träger SozDia ein eigenes Haus, in dem Jugendarbeit stattfindet, schließt, um dort Angebote für unbegleitete minderjährige Geflüchtete anzubieten."

Eine zweite Einrichtung des Trägers werde nicht geschlossen, sondern ab 2024 saniert. Die Angebote dort liefen weiter bis zum Ende des Jahres 2023. Zudem habe die Bildungsverwaltung vom Bezirk Treptow-Köpenick erfahren, "dass für eine von SozDia dort betriebene Einrichtung ab 01.07.2023 ein neuer Träger gesucht wird." Von einer Schließung könne also keine Rede sein.

Jugendstaträtin beklagt Unterfinanzierung

Der Senat stellt den Bezirken Geld für Jugendarbeit zur Verfügung - nach eigenen Angaben rund 121 Millionen Euro im Jahr - verteilt wird es von den Bezirken. Was haben als die Bezirke damit zu tun, dass die Einrichtungen von SozDia nach eigenen Angaben schließen müssen?

Im Gespräch mit dem rbb sagte Lichtenbergs Jugendstadtätin Camilla Schuler (Linke) am Freitag, die Jugendarbeit sei unterfinanziert. "Das ist aber auch kein neues Phänomen. Jetzt erleben wir natürlich einen drastischen Anstieg der Unterfinanzierung, seitdem wir auch diese immensen steigenden Kosten haben." Zwar habe man - auch durch das Jugendfördergesetz von 2020 - die Jugendarbeit inzwischen mehr auf dem Schirm, aber das sei nicht ausreichend, so Schuler. "Ich habe [...] immer so ein bisschen das Gefühl, dass die Jugendarbeit manchmal auch nicht richtig ernst genommen wird im Senat."

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Senat: Jugendarbeit in Berlin seit Jahren stabil

Die Senatsverwaltung für Bildung sieht in der Finanzierung von Jugendarbeit keine Defizite: Durch das Jugendförder- und Beteiligungsgesetz von 2020 bis 2023 sei die Arbeit finanziell mit insgesamt 20 Millionen Euro zuzüglich 5 Millionen Euro für Projekte und Maßnahmen mit gesamtstädtischer Wirkung verstärkt worden. Zudem verweist die Bildungsverwaltung darauf, dass die Anzahl der Jugendfreizeiteinrichtungen in den Bezirken "seit Jahren – trotz der Corona-Pandemie - mit 401 Einrichtungen sehr stabil" sei. Der Senat habe in den Zeiten der Corona-Pandemie die Bezirke sehr aktiv unterstützt, um Schließungen – wie in vielen anderen Leistungsbereichen - zu vermeiden. Dies sei gelungen.

Wohlfahrtsverbände: Jugendarbeit "in gefährlicher Schieflage"

Der Senatsverwaltung für Bildung widerspricht nicht nur der Bezirk Lichtenberg. Neben "SozDia" beschweren sich auch die wichtigsten Wohlfahrtsorganisationen des Landes (Liga Berlin) über zu wenig Geld. In einem Brief, der dem rbb exklusiv vorliegt, wendet sich die Liga an den Berliner Senat. Sie sehen die Jugendarbeit in Berlin "in einer gefährlichen Schieflage".

Neben den geschlossenen Jugendclubs sieht Anna Zagidullin, Referentin für Jugendarbeit des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin, auch Gefahren für andere Bereiche. Dem rbb sagte sie am Freitag, auch Angebote zur Demokratiebildung befänden "sich aufgrund der dauerhaften Unterfinanzierung in einer kritischen Überprüfung durch die sie betreibenden freien Träger – weitere Schließungen und Angebotseinschränkungen sind sehr wahrscheinlich." Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin betreibt 80 der insgesamt etwa 400 Freizeiteinrichtungen für Jugendliche in ganz Berlin.

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Und was ist mit Giffeys 90 Millionen Euro?

Angesprochen auf die 90 Millionen Euro Extra-Förderung, die Franziska Giffey im Februar 2023 auf den Weg gebracht hat - als Reaktion auf die Silvestervorkommnisse - reagierten die Wohlfahrtsverbände ähnlich: Sie begrüßen die Maßnahme, jedoch würde das Grundproblem einer Unterfinanzierung nicht gelöst. "Wo sollen die Sonderprogramme denn umgesetzt werden, wenn die Jugendclubs, in denen sie realisiert werden könnten, in ihrer Existenz bedroht sind?", sagte Michael Heinisch-Kirch von der SozDia-Stiftung. Anna Zagidullin vom Paritätischen Wohlfahrtsverband sagte am Freitag, viele Träger machten sich Sorgen, dass die Extra-Finanzierung mehr Arbeit für die bestehenden Jugendclubs bedeuten könnte.

Aussage gegen Aussage

Tut Berlin also genügend für seine Jugend? Nach Angaben der Jugendreferentin vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin sind nur 55 Prozent des durch den Landesjugendförderplan ermittelten Bedarfs gedeckt. Demnach bietet Berlin nur rund die Hälfte von dem an, was es selbst für seine Jugendlichen errechnet hat. Anna Zagidullin fordert, dass sich das Land nicht nur um die Errechnung der Bedarfe kümmern solle, sondern auch errechnen müsse, wie viel die Ausstattung - also die Qualität - dieser Bedarfe koste.

Die Bildungsverwaltung erwidert: "Die Annahme der Wohlfahrtsverbände, dass der Fachstandard Qualität die Grundlage für die Finanzierung der Jugendfreizeiteinrichtungen ist", sei falsch.

Sendung: rbb24 Inforadio, 31.3.2023, 15:30 Uhr

Beitrag von Laura Kingston

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