Energie, Arbeitsplätze, Verkehr
Berlin soll in sieben Jahren klimaneutral sein, fordert der Volksentscheid am Sonntag. Wissenschaftler erkennen in solch einem Ziel einen Jobmotor - auch für Brandenburg. So einige Politiker im benachbarten Bundesland zeigen sich skeptisch. Von Christoph Hölscher
Muss Brandenburg die Bundeshauptstadt mit Strom und Wärme versorgen, wenn diese bis 2030 klimaneutral werden will? Dürfen Pendler aus der Mark dann nicht mehr mit dem Auto nach Berlin fahren? Über den Volksentscheid "Berlin 2030 klimaneutral" dürfen nur die rund 2,5 Millionen Wahlberechtigen in Berlin abstimmen. Trotzdem kann das Ergebnis auch massive Auswirkungen für Brandenburg haben. Jan Redmann, der CDU-Fraktionschef im Brandenburger Landtag, möchte den Volksentscheid darum am liebsten in die Kategorie "Ulk" einordnen, wie er sagt.
Da Berlin sich nicht selbst mit klimafreundlich produzierter Energie versorgen könne, solle Strom und Gas künftig wohl aus dem Nachbarland kommen: "Dann wird der Tesla im Prenzlauer Berg eben mit dem Braunkohlestrom aus Jänschwalde geladen", stichelt Redmann über die Berliner Klimaambitionen. Das nütze am Ende niemandem etwas. Brandenburg werde jedenfalls "nicht mehr Windräder aufstellen, nur weil die Berliner jetzt irgendwelche Blütenträume haben", sagt Redmann, der zum neuen CDU-Landesvorsitzenden gewählt werden möchte.
Tatsächlich sitzen Berlin und Brandenburg bei der Energieversorgung zusammen. Über das europäische Verbundnetz fließt schon jetzt Strom aus Brandenburg nach Berlin. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich daran nichts ändern wird, wenn Berlin klimaneutral wird. Rechenmodelle sehen vor, dass die Stadt auch künftig höchstens 50 Prozent ihres Energiebedarfs selbst produzieren kann.
Johan Lilliestam, Professor für Energiepolitik an der Uni Potsdam, sagt, er finde es zwar wichtig die erneuerbaren Energien schnell auszubauen. Er glaube aber nicht, dass Berlin die Energiewende bis 2030 schaffen könne - erst recht nicht ohne Brandenburg: "Berlin kann allein nicht klimaneutral werden, weil für eine Eigenversorgung mit erneuerbaren Energien die Flächen fehlen." Es gebe dort einfach nicht genug Platz für Windräder oder Solaranlagen. Berlin wäre also vermutlich darauf angewiesen, dass der dann zusätzlich benötigte Ökostrom aus Brandenburg käme.
Ob das klappt, scheint aber zweifelhaft. Zwar plant auch Brandenburg, klimaneutral zu werden, aber deutlich später. Der CDU-Politiker Redmann betont, dass für Brandenburgs Energiewende ein "klarer Fahrplan" gelte: "Der geht bis 2045. Ob die Berliner da irgendwas beschließen oder nicht, interessiert Brandenburg nicht."
Auch Benjamin Raschke, Fraktionschef der Bündnisgrünen im Potsdamer Landtag, äußert sich eher zurückhaltend: Die Diskussion über Klimaschutz sei wichtig und beide Länder müssten sich da auch gegenseitig helfen. Wie die Berliner den Volksentscheid im Fall der Fälle dann aber umsetzen wollten, müsse "die Politik in Berlin entscheiden".
Doch auch im Bereich Verkehr könnten die Entscheidungen aus Berlin Brandenburgerinnen und Brandenburger direkt betreffen. Der Klimaforscher Felix Creutzig von der TU Berlin glaubt zwar auch nicht daran, dass Berlin bis 2030 klimaneutral werden kann, wie er sagt. Aber würde man das Ziel ernst nehmen, dann brauche es "radikale Maßnahmen": So müsse wohl die ganze Stadt zu einer emissionsfreien Zone erklärt werden. Das hieße, die rund 150.000 Pendler aus Brandenburg dürften dann vermutlich nur noch mit Elektroautos nach Berlin fahren - oder müssten auf Bus und Bahn umsteigen.
Creutzer sieht in diesem Fall Bedarf für ganz neue Verkehrsmittel, zum Beispiel für elektrisch angetriebene Sammeltaxis, sagt er. Auch stillgelegte Bahnverbindungen mit dem Speckgürtel wie die ehemalige Stammbahn von Potsdam über Kleinmachnow nach Berlin müssten reaktiviert werden. Für Handwerker oder Lieferanten aus Brandenburg fordert Creutzer "Umstellungshilfen" für die Anschaffung von Elektrofahrzeugen.
Gerade für Handwerker und kleine Unternehmen in Brandenburg würde der Volksentscheid aber auch Chancen bieten, sagt Bernd Hirschl, Professor für Energiemanagement an der BTU Cottbus-Senftenberg. Wenn Berlin beim Kampf gegen die Folgen des Klimawandels aufs Tempo drücke, könne das einen regelrechten Wirtschaftsboom in der Mark auslösen. In kürzester Zeit müssten dann Hunderttausende Gebäude energetisch saniert, Wärmepumpen eingebaut und Solaranlagen auf Dächer montiert werden, sagt Hirschl. Das bedeute Aufträge und Arbeit für Unternehmen und Fachkräfte aus Brandenburg.
Sendung: Radio Fritz, 24.03.2023, 19:31 Uhr
Beitrag von Christoph Hölscher
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