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Audio: rbb24 Inforadio | 13.04.2023 | Yasser Speck | Quelle: dpa/B. Greenblatt

Analyse | Legalisierung von Cannabis

Rausch light

Zum Kiffen ins Vereinsheim? Die Bundesregierung hat ihre Pläne zur Legalisierung von Cannabis vorgestellt. Vorerst vom Tisch ist ein Verkauf über Lizenzen, stattdessen sollen Clubs anbauen dürfen. Ein Weg mit Vor- wie Nachteilen. Von Oliver Noffke

Treffen sich sieben Deutsche - umgehend wird über die Vereins-Weihnachtsfeier gestritten. Die hiesige Liebe zur Vereinsmeierei hat viele schlechte Witze inspiriert. Doch es ist etwas dran: Angeln, Stricken, Quidditch, Rettungswacht oder Feuerwehren – so gut wie jede Freizeitaktivität, aber auch Dutzende Aufgaben, die für das Funktionieren eines Staates unabdingbar sind, werden hierzulande von Vereinen übernommen.

Demnächst soll es einen weiteren Grund für die zweckgebundene Organisation geben: den Anbau von berauschendem Cannabis. Die Bundesminister für Landwirtschaft, Cem Özdemir (Grüne), und Gesundheit, Karl Lauterbach (SPD), haben entsprechende Pläne am Mittwoch in Berlin vorgestellt. Die Legalisierung von Cannabis war eines der Vorhaben, auf das sich die Ampelkoalition schnell einigen konnte. Nun soll es umgesetzt werden - langsamer als angekündigt und komplett anders als ursprünglich geplant.

Die nun präsentierten Eckpunkte [bundesgesundheitsministerium.de] unterscheiden sich deutlich von den Absichtserklärungen im Koalitionsvertrag [bundesregierung.de].

Neue Pläne der Bundesregierung

Cannabis soll noch in diesem Jahr legal werden - aber vorerst kein freier Verkauf

Im Oktober legte Bundesgesundheitsminister Lauterbach erste Pläne für die Cannabis-Legalisierung in Deutschland vor. Nach Rücksprache mit der EU hat er diese nun zusammen mit Landwirtschaftsminister Özdemir konkretisiert.

Wieso soll überhaupt legalisiert werden?

Cannabis fällt bislang unter das Betäubungsmittelgesetz [gesetze-im-internet.de]. Jeglicher Besitz ist illegal und somit strafbar. Die rechtliche Bewertung ist damit im Grunde die gleiche wie bei Kokain, Heroin oder Chrystal Meth. Drogen, die zu den gefährlichsten Suchtmitteln überhaupt gezählt werden. Diese gleichrangige Bewertung halten viele für lange überholt.

Oft verweisen die Befürworter einer Cannabis-Legalisierung auf Alkohol, der trotz seiner schädigenden Wirkung frei verkauft werden darf [ndr.de]. Würde Alkohol heute neu auf den Markt kommen, spräche vieles dafür, er würde umgehend verboten werden.

Dass hingegen Cannabis illegal ist, dessen Wirkstoffe zunehmend in der Medizin eingesetzt werden, empfinden viele Unterstützer als staatliche Bevormundung. Was Genussmittel und was Rauschgift ist, kann schließlich eine sehr individuelle Erfahrung sein. Nicht umsonst sprechen Expert:innen in der Suchtprävention bevorzugt von "illegalen und legalen Drogen", statt von vornherein die vermeintliche Ungefährlichkeit einer Substanz zu bewerten [bzga.de].

Zudem soll mit der Legalisierung Drogenkriminellen das Geschäft ruiniert werden. Anbau, Vertrieb, Verkauf - momentan befindet sich die gesamte Verwertungskette von THC-haltigem Cannabis in den Händen organisierter Banden. Gewalt und Geldwäsche sind Folgen, gestreckte Substanzen ebenso. "Niemand soll mehr bei Dealern kaufen müssen, ohne zu wissen, was man sich da einhandelt", so Landwirtschaftsminister Özdemir.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) teilte mit: "Der bisherige restriktive Umgang in Deutschland mit Cannabis ist gescheitert. Das Verbot von Cannabis kriminalisiert unzählige Menschen, drängt sie in kriminelle Strukturen und bindet immense Ressourcen bei den Strafverfolgungsbehörden."

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Was plant die Bundesregierung?

Cannabis soll legalisiert werden. In einem ersten Schritt soll der Anbau von THC-haltigem - also berauschendem - Cannabis ermöglicht werden. Privatpersonen dürfen bis zu drei weibliche Pflanzen besitzen, größere Mengen dürfen von sogenannten "Cannabis Social Clubs" angebaut werden. Damit sind Vereine gemeint, die nicht-gewinnorientiert sind. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll Ende April oder Anfang Mai präsentiert werden, so die beiden Minister.

In einem zweiten Schritt soll der Verkauf über lizensierte Fachgeschäfte getestet werden - in einzelnen Modellregionen, begleitet von unabhängigen Wissenschaftler:innen. Eine flächendeckende Lizenzvergabe wird es vorerst nicht geben. Dies verstieße gegen EU-Recht [tagesschau.de], insbesondere gegen das "Schengener Durchführungsübereinkommen". Darin haben sich die Schengen-Staaten verpflichtet, die unerlaubte Ausfuhr von Betäubungsmitteln aller Art zu unterbinden.

Aus diesem Grund soll nun erst der legale Anbau für private Zwecke ermöglicht werden. Der Modellversuch mit den Lizenzgeschäften werde jedoch ergebnisoffen begleitet. Man erhoffe sich dadurch Erkenntnisse, die als Basis für eine mögliche Änderung des EU-Rechts herangezogen werden könnte, so Lauterbach.

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Die Bundesregierung will Cannabis in Deutschland legalisieren. Ein Hanfanbauer aus Brandenburg, der bereits legale Produkte mit niedrigem THC-Gehalt produziert, wünscht sich lockere Anbaurichtlinien für die Lebensmittelproduktion mit Hanf.

Warum wird Wert auf einen legalen Anbau gelegt?

Ob sich die Bundesregierung ihr Heimatland zum Vorbild genommen habe, wollte eine niederländische Journalistin am Mittwoch wissen. "Wir haben uns am holländischen Modell eher daran orientiert, wie man es nicht machen sollte", erwiderte Lauterbach.

In den Niederlanden ist zwar der Verkauf in den sogenannten "Coffee-Shops" erlaubt, der kommerzielle Anbau von Cannabis sowie der Einkauf sind jedoch nicht gesetzlich geregelt. Diese Situation hat dazu geführt, dass legale Coffee-Shops kaum Möglichkeiten haben, legal beliefert zu werden. Stattdessen kontrollieren kriminelle Banden den Markt und nutzen ihre Erlöse um weitere illegale Geschäfte zu finanzieren.

Der Umweg der Bundesregierung beim Verkauf könnte sich deshalb langfristig lohnen. Sollte sich herausstellen, dass durch das deutsche Modell die Lieferketten Organisierter Banden zusammenbrechen, hätte Deutschland anderen EU-Staaten eine echte Alternative zum niederländischen Weg des Wegschauens aufgezeigt.

Vorausgesetzt natürlich, die Forschenden kommen nicht zu einem entgegengesetzten Urteil. Schließlich sollen sie "ergebnisoffen" arbeiten, wie Lauterbach und Özedemir betonten.

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Was bedeutet das für die erhofften Steuereinnahmen?

Der Verkauf von Cannabis durch lizensierte Geschäfte werde für die Staatskasse erträgliche Einkommen bringen und Zehntausende neue Jobs schaffen. Insbesondere die FDP betonte dies bis vor Kurzem gebetsmühlenartig. So hatten es auch diverse wissenschaftliche Studien vorhergesagt. Diese Einnahmen und Jobs wird es zumindest vorerst nicht geben.

Ein Problem ist dies, weil die Bundesregierung versprochen hatte, dass die Legalisierung von intensiven Programmen in der Suchtprävention begleitet werden soll. In welchem Umfang nun Geld für diese Zwecke zur Verfügung gestellt wird, blieb am Mittwoch offen. Fest steht jedoch: Vorerst wird der Staat nicht am Verkauf eines weiteren Rauschmittels verdienen.

Wer soll die Einhaltung des Gesetzes überprüfen?

Nach dem Willen der Bundesregierung sollen sich die Länder um die Zulassung und Überwachung der Cannabis-Vereine kümmern. Wie das genau bewerkstelligt werden soll, ist bislang unklar. Ob die Bundesländer dabei mitmachen werden ebenso.

Denn die Ampelkoalition will die Gesetze zur Legalisierung so formulieren, dass ledigliche der Bundestag zustimmen muss, nicht aber die Vertreter der Länder im Bundesrat. Dass sich diese einfach komplett neue Aufgaben aufdrücken lassen, ohne ein Mitspracherecht bei der Gesetzgebung zu haben, ist nur schwer vorstellbar. Einige Bundesländer haben bereits angekündigt, auf keinen Fall den lizenziertes Verkauf testen zu lassen.

Welche Fragen sind weiterhin offen?

Wer haftet innerhalb der Vereine, für einen gesetzeskonformen Umgang mit dem Rauschmittel? Wie sollen Vereine an Anbauflächen kommen? Und wie sollen diese gesichert werden? Wo wird das Lizenzmodell getestet? Zwischen den vorgestellten Eckpunkten klaffen breite Lücken.

Auffällig war am Mittwoch das Fehlen der FDP. Weder Bundesfinanzminister Christian Lindner war anwesend, noch Marco Buschmann, der das Justizressort verantwortet. Fragen zur Finanzierung der Präventionsprogramme oder zu rechtlichen Details blieben weitgehend unbeantwortet.

Stattdessen wurde das Vorhaben von einem Landwirtschaftsminister verteidigt, der zwar von jeher für die Legalisierung war, dessen Ressort aber nur wenig mit dem Anbau zu privaten Zwecken zu tun haben dürfte. Und von einem Gesundheitsminister, der sich persönlich bis vor Kurzem noch gegen die Legalisierung ausgesprochen hatte.

Wie blicken die übrigen Parteien auf das Thema?

Im Bundestag sind nicht nur die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP für die Legalisierung, sondern auch Die Linke. Die AfD ist gegen eine Legalisierung. Mit der aktuellen Rechtslage scheinen einige in der Partei aber durchaus unzufrieden zu sein. Karsten Woldeit, innenpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, teilte am Mittwoch mit, Cannabis sei "unbestritten eine Einstiegsdroge".

Weiter hieß es aber: "Sinnvoller wäre es gewesen, die sogenannten weichen Drogen aus dem Betäubungsmittelgesetz herauszulösen und ihren Besitz und Gebrauch als Ordnungswidrigkeit einzustufen." So sei der Jugendschutz besser zu regeln, so Woldeit. Explizit gegen eine Freigabe ist die Union. CDU und CSU haben bereits angekündigt, Klagen einzureichen, um das Gesetz zu stoppen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 12.04.2023, 19.30 Uhr

Beitrag von Oliver Noffke

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