Überlegung von Bundesjustizministerium
Mit großem Reformeifer durchkämmt Justizminister Marco Buschmann derzeit das Strafgesetzbuch. Der FDP-Politiker erwägt, Unfallflucht - sofern niemand verletzt wurde - zu entkriminalisieren. Entschieden ist aber noch nichts.
Wer sich frühzeitig von einer Unfallstelle entfernt, begeht nach geltendem Recht eine Straftat - auch wenn nur ein Bagatellschaden entstanden ist. Gemäß Paragraf 142 des Strafgesetzbuchs muss eine "angemessene Zeit" gewartet werden. Da hilft auch ein Zettel mit der eigenen Handynummer unter dem Scheibenwischer des Unfallgegners nichts.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) überlegt, dies in eine Ordnungswidrigkeit umzuwandeln - allerdings nur, wenn keine Menschen zu Schaden gekommen sind.
In einem Brief, den eine Mitarbeiterin seines Ministeriums nach Ostern an Verbände und die Justizministerien der Länder verschickt hat, wird im Zusammenhang mit dem Straftatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort die Frage aufgeworfen, "ob der Gesetzgeber es immer noch für angemessen hält, dass ein Kriminalstrafverfahren bei Vorgängen mit reinen und unbeabsichtigten Sachschäden einzuleiten ist". Oder ob Fälle, bei denen kein Mensch zu Schaden gekommen ist, womöglich in Zukunft herabgestuft und damit entkriminalisiert werden sollten.
Die Konsequenzen für Autofahrerinnen und Autofahrer würden dadurch deutlich milder ausfallen: Gemäß Paragraf 142 des Strafgesetzbuchs [gesetze-im-internet.de] kann das unerlaubte Entfernen vom Unfallort mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. Dieses Extrem tritt aber nur selten ein. Realistischer sind Geldstrafen. Die Staatsanwaltschaft kann auch die Entziehung des Führerscheins beantragen. Ordnungswidrigkeiten enden dagegen glimpflicher - meist mit einer deutlich geringeren Geldstrafe, gelegentlich auch mit einem Fahrverbot, aber selten länger als drei Monate.
Anstatt am Unfallort eine "angemessene Zeit" zu warten, bringt das Bundesjustizministerium als Alternative die Einrichtung einer Meldepflicht und Meldestelle ins Spiel. "Denkbar wäre etwa eine Meldung über eine standardisierte Online-Maske, gegebenenfalls auch mit hochzuladenden Bildern vom Unfallort und Schaden", heißt es in dem Schreiben des Ministeriums.
Eine Entscheidung, ob und wie eine mögliche Anpassung des Unfallflucht-Paragraf erfolge, sei noch nicht getroffen worden, erklärte die Sprecherin des Ministeriums weiter. Ziel des Schreibens aus dem Bundesjustizministerium ist es offensichtlich, mit Experten und Verantwortlichen zu möglichen Reformvorschlägen frühzeitig ins Gespräch zu kommen. Die Angeschriebenen wurden bis zum 23. Mai um Stellungnahme gebeten. Die Überlegungen seien aber noch in einem frühen Stadium, sagte eine Sprecherin des Ministeriums. Es sei wichtig, auch Argumente relevanter Verbände in die Erwägungen mit einzubeziehen, hieß es weiter.
Der ADAC hat die Pläne begrüßt: "Jemand, der beim Einparken ein anderes Auto beschädigt, keine angemessene Zeit wartet, sondern nur seine Daten hinterlässt und dann den Unfallort verlässt, wird als Straftäter eingestuft - das geht für uns an der Realität vorbei", sagte Claudia Löffler vom ADAC Berlin-Brandenburg dem rbb auf Nachfrage. Sie kritisierte auch, dass die Formulierung im Gesetz aktuell "schwammig" sei. Es gebe keine Einstufung, was eine "angemessene Wartezeit" sei.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat sich derweil kritisch geäußert. "Ich sehe die Gefahr, dass nun der Eindruck erweckt wird, die Unfallflucht sei bloß ein Kavaliersdelikt", sagte der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Michael Mertens dem Redaktionsnetzwerk Deutschland [rnd.de]. Die Auswirkungen für Geschädigte könnten gravierend sein - "gerade für Autobesitzer ohne Vollkaskoversicherung".
Die Überlegungen von Buschmann stoßen auch bei Vertretern der Justiz auf Skepsis: "Aus Sicht der Justizpraxis besteht kein Anlass, das unerlaubte Entfernen vom Unfallort in Fällen ohne Personenschaden zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen", urteilt der Deutsche Richterbund (DRB). Die Strafvorschrift habe sich bewährt und biete den Gerichten ausreichend Spielräume, um Rechtsverstöße jeweils tat- und schuldangemessen zu bestrafen, meint DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn.
Den Versicherern ist es vor allem wichtig, die Möglichkeiten der Beweissicherung nicht einzuschränken. Der Gesamtverband der Versicherer (GDV) warnte davor, durch eine Neuregelung Möglichkeiten der Beweissicherung einzuschränken. Das gelte beispielsweise für die Frage, ob Alkohol oder Drogen mit im Spiel waren, erklärte GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Fahrerflucht dürfe "nicht dazu führen, dass Unfallopfer auf ihren Sachschäden sitzen bleiben".
Die Zahlen unterstreichen, dass es in der Region vorrangig Verkehrsunfälle mit Sachschaden gibt: In Brandenburg gab es im Jahr 2022 insgesamt 71.396 Unfälle - der Verursacher bzw. die Verursacherin flüchtete in 16.054 Fällen. Das teilte die Polizei dem rbb auf Nachfrage mit. Demnach kam es in 15.162 dieser Fälle lediglich zu Sachschäden. 892 Mal seien auch Personen verletzt oder gar getötet worden.
Laut Unfallstatistik der Berliner Polizei [berlin.de] gab es auf den Straßen der Hauptstadt im Vorjahr 130.160 Unfälle - 116.263 davon mit Sach- und 13.897 mit Personenschaden. In insgesamt 32.061 Fällen flüchtete der Verursacher bzw. die Verursacherin. Genauer wurden die Fluchtzahlen in der Berliner Statistik nicht untergliedert.
Sendung: rbb24 Inforadio, 25.04.2023, 16:30 Uhr
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