Interne AfD-Chats geleakt
In einer internen Whatsapp-Gruppe zeigen AfD-Mitglieder demokratiefeindliche Tendenzen. Der Chat ist Bestandteil eines Machtkampfes innerhalb der Partei, bei dem ein Berliner Funktionär eine zentrale Rolle spielt. Von A. Becker, P. Djalilevand, D. Laufer, und M. Schmidt
Es fallen Aussagen wie diese: "Die Scheiß-BRD war eine reine Kolonie. Und zwar von Anfang an, was ja nur logisch war" oder: "Dieser Staat war schon immer ein minderwertiger Witz." Jedem müsse klar sein, dass "der Westen der Feind" sei, heißt es an anderer Stelle. Die Rede ist auch von "fetten Frauen mit Micky-Maus-Stimme", der ehemalige Bundespräsident von Weizsäcker wird als "Ratte" bezeichnet.
Die Zitate stammen aus einer internen Whatsapp-Gruppe, verfasst hat sie der ehemalige Berliner AfD-Bezirkspolitiker Christian von Hoffmeister. Dem ARD-Hauptstadtstudio und dem ARD-Politikmagazin Kontraste liegen umfangreiche Chatprotokolle daraus vor. AfD-Mandatsträger aller Ebenen diskutieren hier – vom EU-Parlament bis zur Berliner Bezirksvertretung, sowie deren Mitarbeiter.
Christian von Hoffmeister saß für die AfD bis 2021 in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg – gewählt, um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger zu vertreten. Laut dem "Tagesspiegel" soll er sich dort 2018 mit "Gestatten, mein Name ist Fuck you, von Fuck you" vorgestellt haben. Von Hoffmeister arbeitet heute für den Berliner AfD-Abgeordneten Antonín Brousek. Brousek ist stellvertretender Vorsitzender der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und ebenfalls Mitglied der Whatsapp-Gruppe.
Auch Brousek beteiligte sich an dem Chat. Unter anderem liegt dem ARD-Hauptstadtstudio und Kontraste eine von ihm verfasste Nachricht vor, in der er Parteikollegen beschimpft. So seien unter den Bundestagsabgeordneten der AfD "zu viele eingebildete Schwachmaten". Auf Anfrage schrieb Brousek dazu, man könne "wirklich nicht alle mögen".
Brousek räumte ein, Christian von Hoffmeisters Aussagen seien gewiss polemisch und überzogen. Er wisse, dass sein Mitarbeiter gern über die Stränge schlage und provozieren wolle. Gleichwohl kontrolliere er von Hoffmeisters Aussagen nicht – er sei ja nicht dessen Vater. "Ich nehme diese Dinge aber so ernst wie alberne Aussagen in einer x-beliebigen Schülerzeitung. Eine ähnliche Funktion hat dieser Chat nämlich."
Brousek mag die Inhalte der Whatsapp-Gruppe womöglich harmlos finden, sein Mitarbeiter Christian von Hoffmeister scheint jedoch ein wesentliches Grundelement der demokratisch-freiheitlichen Welt abzulehnen. So schreibt er in einer Chatnachricht: "Gegen das Konzept der Menschenrechte muss man immer sein." Auf Anfrage wollte er sich hierzu nicht äußern, erläutert aber: Mit den "fetten Frauen mit Micky-Maus-Stimme" habe er ein ehemaliges Parteimitglied gemeint – und Richard von Weizsäcker sei eben eine kontroverse Figur.
Im geleakten Datensatz findet sich zudem der Screenshot einer Nachricht, in der Christian von Hoffmeister das Foto des Faschisten Waldemar Pabst [nzz.ch] teilt und darunterschreibt: "Reichsundrepublikretter". Pabst befehligte die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, war außerdem 1920 am rechtsextremen Kapp-Putsch gegen die Weimarer Republik beteiligt.
Hoffmeister teilte mit, er habe diese Nachrichten privat verschickt und nicht in der Chatgruppe. Pabsts Rolle könne durchaus differenziert betrachtet werden.
Christian von Hoffmeister war auch außerhalb der Berliner Lokalpolitik aktiv. EU-Datenbanken führten ihn bis Herbst 2022 als "örtlichen Assistenten" des EU-Abgeordneten Maximilian Krah. Dieser vertritt die AfD im EU-Ausschuss für Menschenrechte. Inzwischen arbeitet die Ehefrau von Christian von Hoffmeister für Krah. Fotos auf Instagram zeigen den EU-Abgeordneten und die Eheleute von Hoffmeister im Dezember 2022 in New York bei einer Veranstaltung der "Young Republicans" – einer Nachwuchsorganisation der republikanischen Partei. Von Hoffmeister betonte auf Nachfrage, er sei privat in New York gewesen und habe Krah dort getroffen.
Die Chat-Auszüge stammen überwiegend aus den Jahren 2021 und 2022. Sie konzentrieren sich auf Äußerungen Krahs und seiner ehemaligen und jetzigen Mitarbeiter. Die Quelle des Leaks scheint vor allem ihm und seinem Umfeld schaden zu wollen. Auf Anfrage sagt Krah über die Zitate aus dem Chat, dass diese von keinem seiner Mitarbeiter stammten. "Ich bin Mitglied zahlreicher Chatgruppen und kann nicht jede Bemerkung, die in drei Jahren fällt, korrigieren", so Krah.
Der Chat macht allerdings deutlich: Es gibt tiefe Feindschaften innerhalb der Partei. Eigene Abgeordnete werden als "Mandatsmaden" beschimpft. Über ein Abstimmungsverhalten des ehemaligen Parteisprechers Jörg Meuthen und weiterer AfD-Parlamentarier heißt es: "Das ist linksversiffte Kackscheiße."
Neben den geleakten Chats kursiert ein anonymes Papier, das dem ARD-Hauptstadtstudio und Kontraste vorliegt. Darin wird detektivisch nach dem Urheber des Leaks gesucht. Der Verfasser kommt zu dem Schluss, der AfD-Europaabgeordnete Gunnar Beck stecke dahinter. Beck betonte auf Anfrage, ihm seien die Chats und Dokumente unbekannt. Im Übrigen äußere er sich nie zu parteiinternen Vorgängen.
Nach Recherchen des ARD-Hauptstadtstudios und Kontraste hat der Ersteller des anonymen Papiers Datenspuren hinterlassen, die einen Hinweis auf einen möglichen Urheber enthalten. So nutzte der Autor des Dokuments ein Pseudonym, das Krahs Assistent Jörg Sobolewsi vor einigen Jahren bei einer Aktion der rechtsextremen "Identitären Bewegung" verwendete. Sobolewski wollte auf Nachfrage nicht beantworten, ob er der Verfasser dieses Papiers sei.
In der rechten Szene Berlins ist Sobolewski kein Unbekannter. Er ist Autor bei der neurechten Zeitung "Junge Freiheit", war stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungen Alternative und kandidierte für die AfD bei mindestens zwei Wahlen. Als Student war Sobolewski aktives Mitglied der deutsch-national völkischen Berliner Burschenschaft Gothia.
Am Telefon bezeichnet Sobolewski die Veröffentlichung der Chats gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio und Kontraste als "interne Intrige". Die Turbulenzen spiegeln die heftigen innerparteilichen Machtkämpfe in der AfD wider, in die Krah verwickelt ist [tagesschau.de]. Im Sommer will die AfD in Magdeburg ihre Kandidaten für die Wahl zum Europäischen Parlament im kommenden Jahr aufstellen. Für Diskussionsstoff dürfte gesorgt sein.
Beitrag von A. Becker, P. Djalilevand, D. Laufer, und M. Schmidt
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