Rücktritt von Britta Ernst
Mit ihrem Rücktritt hat Brandenburgs Bildungsministerin politische Freunde und Gegner überrascht. Sie scheiterte an ihren eigenen Genossinnen und Genossen. Streitpunkt war der Kampf gegen den Lehrermangel. Von Thomas Bittner
An diesem Montagvormittag wird viel telefoniert in Brandenburgs Politikerbüros. Es ist der erste Schultag nach den Osterferien. In einer Woche beginnen die schriftlichen Abiturprüfungen. Am Dienstag sollte die Bildungsministerin das neue Kita-Pflegegesetz im Kabinett vorstellen.
Daraus wird nichts. Denn das Gesprächsthema dieser Stunden ist ein anderes: Brandenburgs Bildungsministerin macht Ernst. Sie will nicht mehr in Brandenburgs Landesregierung arbeiten. Rücktrittsandrohungen von Britta Ernst (SPD) standen schon seit Wochen im Raum, Rücktrittsforderungen der Opposition gab es auch.
Am frühen Nachmittag steht ein betretener Ministerpräsident Dietmar Woidke (ebenfalls SPD) vor der Presse und verkündet die Personalie, dankt Ernst für Weitsicht, Mut und Durchsetzungswillen. Unbeholfen reicht er eine Entlassungsurkunde und einen Blumenstrauß über das Rednerpult an die Ex-Ministerin, noch bevor sie einen einzigen Satz sagen kann. Sie spricht von Geschlossenheit, die es jetzt braucht. Den eigentlichen Grund für den Rücktritt nennt sie nicht. Er wird schriftlich nachgereicht: Ihre jüngsten Pläne zur Verteilung von Lehrkräften hätten nicht die Unterstützung der SPD-Landtagsfraktion gefunden. Sie schreibt ausdrücklich "SPD-Landtagsfraktion".
Darin liegt das Fatale für Dietmar Woidke an diesem Rücktritt. Nicht die Attacken der Opposition, nicht ein Streit mit den beiden Koalitionspartnern, nicht der Druck von Presse und Öffentlichkeit haben die SPD-Ministerin zu diesem Schritt geführt. Es waren Politikerinnen und Politiker der eigenen Fraktion, die es für sie an Geschlossenheit haben fehlen lassen. Und Dietmar Woidke konnte als Landesvorsitzender und Regierungschef den Konflikt zwischen Ministerin und Fraktion nicht entschärfen. In Bildungsausschusssitzungen hatte man jüngst mitunter den Eindruck, Britta Ernst werde mehr von CDU und Grünen unterstützt, weniger von der SPD.
Konkret geht es um den Umgang mit dem Lehrermangel. 1.800 Lehrkräfte werden in Brandenburg für das neue Schuljahr gesucht. Kaum jemand glaubte daran, dass diese Stellen wirklich besetzt werden können. Zu wenige Absolventen kommen vom Lehramtsstudium, selbst Seiteneinsteiger sind schwer zu rekrutieren. Auch aus Berlin werden wenige Interessenten nach Brandenburg wechseln wollen, weil inzwischen auch die Hauptstadt eine lukrative Verbeamtung für Lehrkräfte anbietet.
Wie kann man unter diesen Umständen den Unterricht in allen Regionen Brandenburgs sichern? "Dafür habe ich Vorschläge unterbreitet, wie wir im kommenden Schuljahr den Einsatz vorhandener Lehrkräfte gerechter verteilen und gleichzeitig durch Umwandlung von nicht besetzten Stellen die Schule entlasten können", schreibt Ernst in ihrer Erklärung. 200 Stellen sollten umgewidmet werden. Wenn sie schon nicht mit Lehrerinnen und Lehrern besetzt werden können, dann wenigstens mit Assistenten und Schulsozialarbeitern. Dagegen liefen SPD-Bildungspolitikerinnen und Fraktionschef Daniel Keller Sturm. Denn durch die Stellenkürzungen wurden auch Kapazitäten für Teilungsunterricht oder spezielle Förderung knapper. Von Neueinstellungen sollten vor allem Schulen auf dem Lande profitieren. In größeren Städten wie Potsdam sorgte das für Nachfragen.
In der SPD-Fraktion hoffte man wohl, Britta Ernst von ihren Plänen abzubringen. Doch die Ressortchefin hielt daran fest. Eine öffentliche Demütigung wollte sie sich ersparen. Heute schreibt sie: "Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir die anstehenden Herausforderungen nur mit maximaler Geschlossenheit bewältigen werden. Diese Geschlossenheit ist nicht mehr gegeben."
Ernst geht. Nun sind auch die Genossinnen und Genossen überrascht. Man hatte mit einem Einlenken gerechnet, für Mai waren wohl schon Gespräche geplant. Der Rücktritt kommt zur Unzeit. Denn die Herausforderungen im Bildungsbereich bleiben gewaltig. Und die Landtagswahl naht. Schon steht im Raum, dass der Unterricht im Klassenraum nicht mehr Montag bis Freitag allen Schülern geboten werden kann. Man prüfe eine "Ausweitung von Selbstlernzeiten und Hybridunterricht insbesondere für ältere Schülerinnen und Schüler" hieß es jüngst aus dem Ernst-Ministerium. Kitas, denen es an Personal mangelt, reagieren mit verkürzten Öffnungszeiten und wochenlangen Sommerpausen auf den Personalmangel.
Dagegen muss etwas getan werden. Und die Ministerin präsentierte durchaus unkonventionelle Ideen. Seiteneinsteiger sollen zukünftig schon mit einem Bachelor-Abschluss verbeamtet werden können. Ein Weg, den die anderen Bundesländer nicht mitgehen. Lehrkräfte sollen auch nach der Pensionierung weiterarbeiten können, der Einstieg in den Ruhestand soll verzögert werden. Dafür müssen die Lehrergewerkschaften ins Boot geholt werden.
Dass Britta Ernst so plötzlich die Reißleine zieht, verwundert dann doch. Eigentlich gilt die mitunter schroff und unnahbar wirkende Politikerin als durchsetzungsfähig, Konflikten weicht sie nicht aus. Über fünf Jahre, seit September 2017, war sie Ressortchefin für Bildung, Jugend und Sport in Potsdam. Sie leitete mitten in der Pandemie die Kultusministerkonferenz und managte auch in Brandenburg die Corona-Krise. Sie räumte auch mit untauglichen Rezepten auf. Das "Schreiben nach Gehör" schaffte sie ab, bei Leistungsbewertungen zog sie neue Maßstäbe ein. Der Kita-Personalschlüssel wurde in ihrer Amtszeit verbessert, der Einstieg in die Beitragsfreiheit ist beschlossene Sache. Es gibt mehr Studienplätze fürs Lehramt, in Senftenberg startet ein neuer Studiengang für Primarschul-Lehrkräfte.
Und trotzdem blieb sehr viel ungelöst. Eine Kitarechtsreform liegt auf Eis, die Rezepte gegen den Personalmangel gehen nicht auf, die Schülerleistungen bei bundesweiten Vergleichstests sanken. Von "verfehlter Bildungspolitik" spricht die Linksfraktion, die AfD-Landesvorsitzende Birgit Bessin nennt das "Vollversagen mit Folgen", Freie-Wähler-Fraktionschef Péter Vida bezeichnet den Rücktritt als "ein spätes Eingeständnis des eigenen Versagens".
Brandenburgs Linken-Landeschef Sebastian Walter fordert gleich eine Kabinettsumbildung, auch Innenminister Stübgen und Justizministerin Hoffmann (beide CDU) hätten ihre Zuständigkeitsbereiche nicht mehr im Griff. Woidke belässt es bei einem schnellen Wechsel im Bildungsministerium. Ein neuer Ressortchef kann erst in der nächsten Landtagssitzung am 10. Mai vereidigt werden, aber Dietmar Woidke nimmt sich diese Zeit nicht und entschied schnell. Steffen Freiberg, bisher Staatssekretär unter Ernst, wird Minister. Eine pragmatische Wahl. Wer hätte sich ein gutes Jahr vor der nächsten Landtagswahl von außen ins Potsdamer Ministerium holen lassen?
Freiberg ist zwar erst seit 2022 in Brandenburg. Aber der Rostocker weiß, wie man ein Ministerium führt. Fünf Jahre lang war er Bildungsstaatssekretär in Mecklenburg-Vorpommern. Nach der letzten Landtagswahl fiel in Schwerin das Bildungsministerium an die Linke, der SPD-Mann musste in den einstweiligen Ruhestand. Bis sich eine neue Lösung fand. Brandenburgs Bildungsstaatssekretärin Ines Jesse, als Fachpolitikerin eher blass, wechselte in das Schweriner Wirtschaftsministerium. Freiberg wurde aus dem Ruhestand ins Ernst-Ministerium geholt. Er machte sich unter anderem einen Namen als Experte für die Digitalisierung im Bildungsbereich.
Britta Ernst wird ab heute nur noch von außen zuschauen. Aber immerhin: Ein Abschied aus Brandenburg ist mit ihrem Rücktritt nicht verbunden. "Persönlich möchte ich sagen, dass ich in Brandenburg einen neuen Lebensmittelpunkt gefunden habe und sehr gerne hier lebe." Ein fast schon emotionaler Abschlusssatz der sonst eher kühlen Hanseatin am Ende des kurzen Presseauftritts. Britta Ernst wird mit ihrem Ehemann, Bundeskanzler Olaf Scholz, weiter in Potsdam leben. Dass man die selbstbewusste und eigenständige Politikerin jetzt mehr in der Rolle einer Kanzlergattin erleben wird, ist eher unwahrscheinlich.
Sendung: rbb24 spezial, 17.04.2023, 20:15 Uhr
Beitrag von Thomas Bittner
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