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Wenn am Sonntag Landtagswahl wäre, bekäme Brandenburg das Parlament mit den meisten Fraktionen in Deutschland. Die jüngste Umfrage von infratest dimap für den rbb offenbart einige Überraschungen. Eine Analyse von Thomas Bittner
Man muss schon ein paar Jahrzehnte zurückschauen, um Umfragen zu finden, in denen die Brandenburger CDU vor der SPD lag. Im Frühjahr 2004, einige Monate vor der Landtagswahl, gab es das schon einmal. Da war Jörg Schönbohm CDU-Innenminister und regierte mit SPD-Ministerpräsident Stolpe. Fast 20 Jahre später ist es wieder so weit. Die Brandenburger CDU kann seit Herbst 2022 die meisten Pluspunkte aller Parteien sammeln und legt 5 Prozentpunkte zu. Mit 23 Prozent liegt die märkische CDU jetzt vor der SPD, die auf nur noch 22 Prozent kommt.
Ist das ein Erfolg der märkischen Union, die als Regierungspartei und mit ihrem neuen 43-jährigen Landesvorsitzenden Jan Redmann jetzt durchstartet? Die Indizien sprechen nicht unbedingt dafür. Nur 37 Prozent der Befragten in Brandenburg sind mit der Landesregierung aus SPD, CDU und Bündnisgrünen zufrieden. 55 Prozent der CDU-Anhänger sind mit der Kenia-Koalition unzufrieden, obwohl die Partei so wichtige Ressorts wie Innen, Verkehr und Justiz verantwortet. Ernüchternd ist es für die CDU auch, wenn nach den einzelnen Regierungsparteien gefragt wird. Fast zwei Drittel aller Brandenburger geben an, mit der Arbeit der mitregierenden CDU in Brandenburg nicht zufrieden zu sein.
Es ist wohl eher der Bundestrend, der nach Brandenburg durchschlägt. Der Verdienst der Brandenburger CDU ist es, nicht mit Querschlägen und Personalstreitigkeiten dem Unions-Spitzenmann Friedrich Merz in die Parade zu fahren. Das wird jetzt belohnt. Dass das Nachbarland Berlin in Zukunft von einem CDU-Bürgermeister regiert wird, könnte auch die Stimmung für potenzielle CDU-Wähler gehoben haben.
Dennoch: Der Ein-Prozent-Vorsprung vor der SPD ist alles andere als komfortabel. Zumal sich die märkische Union den Umfrage-Spitzenplatz mit der AfD teilt. Es könnte zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen AfD, SPD und CDU kommen. Die "Alternative für Deutschland" will im kommenden Jahr bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg auftrumpfen.
Sie spricht offen über Regierungsbeteiligung in ostdeutschen Bundesländern. Als Partner komme – wenn überhaupt – nur die CDU in Frage. Gegen diese Avancen will sich die brandenburgische CDU wehren. Das Thema könnte im Landtagswahlkampf 2024 sehr kräftezehrend werden. Zumal die Klientel von CDU und AfD in Sachfragen nicht selten nah beieinander liegt.
In der Altersgruppe der 35- bis 49-Jährigen kommt die AfD auf 32 Prozent. Bei Männern steht die Partei besser da als bei Frauen (28 Prozent bei Männern, 18 Prozent bei Frauen). Die Angst vor Wohlstandsverlust dürfte eine Rolle spielen. Es sind eben nicht die Jungen (unter 35 Jahren: 19 Prozent) und auch nicht die Alten (über 65 Jahre: 18 Prozent), bei denen die AfD überdurchschnittlich punktet. Der Umfrage-Erfolg der Rechts-Alternativen hat viel mit Unzufriedenheit zu tun. 89 Prozent der AfD-Anhänger hadern mit der Regierung, 51 Prozent halten Dietmar Woidke für keinen guten Ministerpräsident. Auch die Ampelpläne im Bund sorgen für Unruhe. AfD-Anhänger sind fast geschlossen gegen das Verbot von neuen Öl- und Gasheizungen ab dem nächsten Jahr (95 Prozent) und gegen das Verbrenner-Aus bei Neuwagen ab 2035 (90 Prozent). 70 Prozent von ihnen wenden sich gegen einen früheren Kohleausstieg als 2038.
Gerade die Skepsis gegenüber den Energiewendeplänen liegt nicht exklusiv bei den AfD-Anhängern. Im Eigenheim-Land Brandenburg mit der höchsten Wohneigentumsquote von ganz Ostdeutschland bewegt das Thema Heizungen sehr viele Menschen. 84 Prozent der CDU-Anhänger halten das Gas- und Öl-Heizungsverbot ab 2024 für falsch, auch fast zwei Drittel der SPD-Anhänger (62 Prozent) sind dagegen.
Auf die SPD dürften in den nächsten Monaten besonders harte Strategiedebatten zukommen. Sowohl im Bund als auch im Land tragen die Sozialdemokraten Regierungsverantwortung. Ihre Basis schmilzt von Umfrage zu Umfrage. Nach dem Hoch zur Bundestagswahl im September 2021 mit Umfragewerten von 34 Prozent hat die SPD in einer ihrer früheren Hochburgen zwölf Prozentpunkte verloren. Dass es nicht noch tiefer ging, hat die seit über 32 Jahren im Land regierende Partei offensichtlich ihrem populären Spitzenmann Dietmar Woidke zu verdanken. Nicht nur die SPD-Anhänger, sondern auch potenzielle Wählerinnen und Wähler von CDU, Linken und Grünen sehen im SPD-Landesvorsitzenden mehrheitlich einen guten Ministerpräsidenten.
Doch auch der Amtsbonus von Woidke ist heute nicht mehr so viel wert wie in früheren Jahren. Zum Start der Kenia-Koalition Ende 2019 galt er für 62 Prozent der Befragten als guter Ministerpräsident, heute sind es nur noch 56 Prozent. Die Erosion ist unübersehbar. Selbst unter SPD-Anhängern wächst die Zahl der Unzufriedenen. Vor einem halben Jahr waren noch 19 Prozent von ihnen unzufrieden mit der Landesregierung, jetzt ist es ein Viertel. Der Rücktritt von Bildungsministerin Britta Ernst, der auf ein heftiges Zerwürfnis zwischen SPD-Landtagsfraktion und der Ministerin zurückzuführen ist, hat das Bild von der geeinten Sozialdemokratie bröckeln lassen.
Die Schwäche der einstmals großen Parteien sorgt dafür, dass auch andere politische Mitbewerber jetzt nach vorn drängen können. Brandenburgs Landtag könnte eines der buntesten Parlamente Deutschland werden. Sieben Fraktionen im Abgeordnetenrund – das gibt es derzeit nirgends. Die unter dem Dach der Freien Wähler zusammengeschlossenen Bürgerbewegungen des Landes hätten genauso wie die Freien Demokraten Fraktionsstärke. Sie würden die 5-Prozent-Hürde überspringen. Bei Brandenburgs Linkspartei ist diese Hürde allerdings auch in Sichtweite. Nur noch sieben Prozent würden die Linken wählen. Es wird existenziell bei den Genossinnen und Genossen. Der Richtungsstreit mit dem Lager um Sahra Wagenknecht, die verschiedenen Haltungen zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, reiben die Partei auf und machen sie für Wahlen unattraktiv.
Bis zur Landtagswahl vergehen noch eineinhalb Jahre. In den Parteien läuft die Kandidatensuche, die Profilierung für den Wahlkampf beginnt. Und die jüngste Umfrage beweist: Die politische Landschaft in Brandenburg wandelt sich, Gewissheiten bröckeln, die Unruhe wächst.
Sendung: rbb UM6, 26.04.2023, 18 Uhr
Beitrag von Thomas Bittner
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