Landesparteitag in Potsdam
Der Rücktritt von Landeschefin Julia Schmidt verursachte Unruhe bei Bündnis 90/Die Grünen. Mit Spannung wurde deshalb der Landesparteitag erwartet. Dort sorgt dann aber eine andere Personalie für Aufsehen. Eine Analyse von Markus Woller
Viel will Brandenburgs Grünen-Co-Vorsitzende Alexandra Pichl zur Causa Julia Schmidt nicht mehr sagen. Nur das: Die Partei habe eine schwere Zeit hinter sich. Pichl entschuldige sich für die missratene Krisenkommunikation, bei der Missverständnisse entstanden seien.
Drei Monate nach dem erzwungenen Rücktritt der Co-Vorsitzenden aus bis heute unklaren Grünen ist das für die Öffentlichkeit weiterhin zu wenig. Die Parteimitglieder aber scheinen das Thema mittlerweile abgehakt zu haben. Kein einziger Antrag beschäftigt sich an diesem Samstag mit der Personalie, die in den letzten Monaten im politischen Potsdam für so viel Unruhe gesorgt hat.
Die Zukunft heißt Hanna Große Holtrup, 25 Jahre alt, geboren in Erfurt, Juristin, bislang Mitarbeiterin der Grünen-Landtagsfraktion. Sie war als einzige Kandidatin für den Co-Parteivorsitz angetreten. 121 von 132 Delegierten stimmten für ihre Wahl, acht dagegen.
Große Holtrup ist politisch ein völlig unbeschriebenes Blatt, war bislang vor allem mit Gremienarbeit der Partei befasst. Eine politische Newcomerin, die nun die Leitung einer Regierungspartei übernimmt. Ihre Agenda bleibt auch nach ihrer Bewerbungsrede vage: Sie stehe für eine nachhaltige, soziale Klimawende, eine menschliche Asylpolitik, wolle sich nicht nur um den gut aufgestellten Berliner Speckgürtel bemühen, sondern auch ums ländliche Brandenburg. "Wir werden nicht aufhören, unsere Koalitionspartner zu nerven", versprach die neu Co-Vorsitzende unter großem Beifall.
Dass sich keine erfahrenere Politikerin oder ein Politiker fand, um den hauptamtlichen Job zu übernehmen, hängt sicher auch an einer grünen Eigenart: der Trennung von Amt und Mandat. Wer in der Partei die Hinterzimmer-Kämpfe in Potsdam aus dem Effeff beherrscht, der sitzt in der Fraktion im Landtag oder in einem Ministerium und darf kein Parteiamt innehaben.
Wohl aber eine andere Funktion an der Spitze, wie Fraktionschef Benjamin Raschke an diesem Tag zeigt. Aus seiner Rede zur aktuellen Lage der Fraktion wird eine Bewerbungsrede zur Spitzenkandidatur im kommenden Jahr. Die Grünen hätten sich gemausert: Früher von anderen Parteien milde belächelten, heute für ihre Kilmaschutz-Kompetenz gefürchtet, so das Bild, das Raschke zeichnet. "Für Hundert Prozent Klimaschutz reichen zehn Prozent nicht aus", sagt der Fraktionschef und stellte ein Ergebnis deutlich im zweistelligen Bereich in Aussicht. Raschke warb für einen stark geführten Wahlkampf 2024. "Wenn ihr wollt, mit mir an der Spitze", so der 40-Jährige, der wenig später stehende Ovationen bekam.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nutzte ihre Redezeit ebenfalls dafür, für ihren früheren Mitstreiter an der Brandenburger Parteispitze zu werben. "Es gibt keinen Besseren, der uns 2024 in den Wahlkampf führen kann", so Baerbock, die in Potsdam ihren Wahlkreis hat.
Raschke hat sich damit überraschend früh mit seinen Ambitionen an die Öffentlichkeit gewagt. Offiziell wollen die Grünen erst im März nächsten Jahres ihr Spitzenpersonal für den Wahlkampf benennen. Traditionell wird dabei eine Doppelspitze mit mindestens einer Frau gewählt.
Damit leitet Raschke nun den Generationenwechsel ein. Dass sich die aktuell bekanntesten brandenburgischen Grünen-Politiker Ursula Nonnemacher und Axel Vogel aus der ersten Reihe verabschieden wollen, ist ein offenes Geheimnis im politischen Potsdam. Nun beginnt auch offiziell die Neuaufstellung, die intern durch die Querelen rund um Julia Schmidt noch einmal mächtig durcheinandergeraten sein dürfte.
Inhaltlich wirft auf dem Parteitag der Wahlkampf seine Schatten voraus. Der Schlagabtausch mit den Koalitionspartnern ist schon seit Monaten nicht mehr wegzudiskutieren. Auf dem Parteitag arbeiten sich die Grünen vor allem an der CDU und deren verschärften Tönen in der Flüchtlingspolitik ab. Vor allem das Agieren und die Rhetorik von Innenminister Michael Stübgen (CDU) ist ihnen unerträglich: "Der ehemalige Pfarrer, Innenminister Stübgen, agiert fernab von christlicher Nächstenliebe, wenn er wieder und wieder gegen Geflüchtete hetzt und von vollen Booten fabuliert", bringt Alexandra Pichl ihre Kritik auf den Punkt. Sie wirbt für ein Einwanderungsrecht, das Migranten weiter Chancen eröffnet. Im globalen Wettbewerb sei dies auch wirtschaftlich unerlässlich, heißt es auf dem Parteitag.
Es passt in die Erzählung einer gegenseitigen Absetzbewegung, dass CDU-Chef Jan Redmann sich nur wenig später per Pressemitteilung gegen die Wortwahl Pichls verwahrt und auf die Überforderung der Kommunen verweist. "Die Grünen müssen endlich zur Vernunft kommen", lässt sich der CDU-Chef zitieren.
Eine vorwahlkampfliche Breitseite für die SPD haben die Redner vor allem in der Bildungspolitik parat. Der Rücktritt von Britta Ernst sei ein bildungspolitischer Offenbarungseid, so Petra Budke. In einem Eilantrag forderten die Delegierten den neuen Bildungsminister auf, von der Umwandlung von Lehrer- in Assistentenstellen Abstand zu nehmen. Stattdessen sollen zusätzlich 215 Assistentenstellen geschaffen werden.
Für das Superwahljahr 2024 mit Landtags-, Europa- und Kommunalwahlen sehen sich die Grünen auch nach jüngsten Meinungsumfragen gut gerüstet. Der BrandenburgTrend von Infratest dimap im Auftrag von rbb24 Brandenburg aktuell und Antenne Brandenburg sieht die Partei aktuell bei 9 Prozent. Bei der Landtagswahl 2019 erreichte die Partei noch 10,8 Prozent. Allerdings haben die Grünen seit der letzten Wahl deutlich an Mitgliedern gewinnen können, 2.624 Mitglieder bedeuten gar eine Verdopplung. Diese Entwicklung könnte sich im kommenden Jahr auszahlen, den Stimmenanteil deutlich steigern helfen, so die Hoffnung auf dem Parteitag. Benjamin Raschke gab dazu schon einmal die Parole aus: "CDU und SPD wollen sich im Wahlkampf streiten, wer auf dem Fahrersitz sitzt. Sollen sie - solange wir das Navi sind."
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 29.04.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Markus Woller
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