Kommentar | Razzia gegen die "Letzte Generation"
Am Mittwoch fand die Razzia der Generalstaatsanwaltschaft München und des Bayerischen Landeskriminalamts gegen die "Letzte Generation" statt. Seitdem wird diskutiert, ob der Einsatz verhältnismäßig war. Ein Kommentar von Michael Schon
Der Zweck heiligt die Mittel. Ist doch klar: Wenn es darum geht, die Welt vor dem Untergang zu retten, dann sind Straßenblockaden in der Hauptstadt und Kartoffelbrei im Museum der richtige Weg. Wie sonst soll die Regierung zum Handeln gebracht werden?
Der Zweck heiligt die Mittel. Ist doch klar: Wenn es darum geht, den Rechtsstaat vor Klima-Erpressern zu schützen, dann braucht es Hausdurchsuchungen im Morgengrauen. Wie sonst soll der Staat feststellen können, dass die "Letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung ist?
Willkommen im Land der eindeutigen Gewissheiten, in dem sich "der Rechtsstaat nicht auf der Nase herumtanzen lässt" (Bundesinnenministerin Nancy Faeser) und die "Letzte Generation" die Deutungshoheit beansprucht, wie der Klimawandel aufzuhalten sei. Jetzt sind es also zwei Seiten, die ziemlich hochtouren: Law-and-Order gegen Weltuntergang. Das kann noch heiter werden.
Die Frage lautet: Wer überzieht hier eigentlich?
Die Antwort fällt vielen gar nicht so schwer. Sie ist umso eindeutiger, je klarer sie aus einem politischen Lager kommt: Klimaaktivisten sind so schlimm wie mit Mafia und Rockerbanden? "Niemals“ – heißt es von links. Straftaten sind ziviler Ungehorsam? "Keinesfalls" – ist das konservative Lager überzeugt.
In Wirklichkeit ist die Antwort natürlich noch einfacher: Beide überziehen. Die Untergangs-Apologeten, die sich für 9-Euro-Ticket und Tempolimit auf die Straße kleben und dabei behaupten, das Klima sei nur noch per Gesellschaftsrat zu retten. Und das bayerische Landeskriminalamt, das mit der Razzia und der versehentlichen öffentlichen Vorverurteilung der Aktivisten als "kriminelle Vereinigung" mehr oder weniger unfreiwillig dokumentiert: Es ist schon okay, wenn sie und ihre Unterstützer in der kriminellen Ecke stehen.
Vor allem der Rechtsstaat macht dabei keine gute Figur: Steht nicht auf der einen Seite eine Gruppe vorwiegend junger Leute, die altersgemäß ihren Drang zu Protest und Rebellion auslebt? Und auf der anderen Seite der Staat: Darf man von dem nicht erwarten, dass er die Nerven behält? Auch, wenn in Bayern eine Landtagswahl ansteht?
Die eigentliche Frage lautet daher nicht: "Wer überzieht hier eigentlich?" Sie lautet: "Wie kommen wir da wieder raus?"
Wahrscheinlich wie immer: Runtertouren, abwarten, zuhören. Drei Worte, die im Klima-Stau unsexy klingen. Einen anderen Weg aber gibt es nicht. Law-and-Order wird die "Letzte Generation" nicht stoppen. Und die Gesellschaft wird sich nicht erpressen lassen. Klimaschutz als Ziel ist längst Konsens. Der Weg dorthin ist es nicht. Er wird verhandelt, wie immer zwischen Parlament, Regierung und Interessengruppen. Daran ändert ein wenig Wut im Berliner Berufsverkehr nichts. Es ist den Versuch wert, die "Letzte Generation" in die Debatte einzubinden und so vielleicht diejenigen zu erreichen, die von der Kraft der parlamentarischen Demokratie noch zu überzeugen sind.
Für die anderen gilt: Nötigung und Sachbeschädigung werden bestraft. Der Hype um ihre Gruppe wird abflauen. Wann hat man zuletzt Großes von "Fridays for Future" und Greta Thunberg gehört? Bleiben wird ihr Thema. Dann eben für die nächste Generation.
Beitrag von Michael Schon
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