Vor Migrationsgipfel im Kanzleramt
Bund und Ländern wollen am Mittwoch klären, wer wieviel für die Aufnahme von Geflüchteten bezahlen soll. Zwei CDU-Innenminister fordern vorab, die Grenzen zu Polen und Tschechien wieder stationär zu kontrollieren.
Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen und sein sächsischer Amtskollege Armin Schuster (beide CDU) fordern stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien. So sollen unerlaubte Einreisen von geflüchteten Menschen begrenzt werden.
In einem gemeinsamen Schreiben an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verwiesen die beiden Innenpolitiker am Sonntag auf die bereits bestehenden Grenzkontrollen in Bayern. Diese seien wirksam und richtig, hieß es.
Stübgen und Schuster sehen die Kapazitäten vieler Kommunen zur Flüchtlingsaufnahme ihren Worten zufolge am Limit und fordern eine Begrenzung der Zuwanderung. "Die Zuzugszahlen aus irregulärer Migration steigen nahezu ungebremst. Sollte sich diese Entwicklung im laufenden Jahr so fortsetzen, werden die höchsten Zahlen seit 2015/16 erreicht", hießt es in der gemeinsamen Mitteilung.
"Vor dem Hintergrund der vergleichbaren Migrationssituation an den Grenzen Brandenburgs zu Polen sowie Sachsens zu Polen sowie der Tschechischen Republik haben wir die Bundesinnenministerin gemeinsam angeschrieben und um befristete Wiedereinführung von stationären Binnengrenzkontrollen gebeten", sagte Sachsens Innenminister Schuster der Mitteilung zufolge.
Sein Amtskollege Stübgen teilte mit: "Wenn wir die Freizügigkeit im Schengenraum erhalten wollen, müssen wir einen Kontrollverlust an der Bundesgrenze verhindern. Wir erwarten daher, dass der Bund umgehend stationäre Binnengrenzkontrollen einführt und seine Grenzschutzmaßnahmen intensiviert." Die Stimmung der Bevölkerung drohe zunehmend zu kippen.
Anlass des Schreibens ist ein geplantes Treffen von Vertretern der Bundesregierung und der Landesregierungen am Mittwoch. Im Kanzleramt soll dann über die weitere Finanzierung der Kosten für die Aufnahme und Versorgung von Geflüchteten beraten werden. Die Landesregierungen fordern mehr Geld vom Bund, auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke und der Regierende Bürgermeister Berlins, Kai Wegner (CDU), haben wenige Tage vor dem Treffen mit dem Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD) öffentlich mehr Bundeszuschüsse gefordert. Berlin trage im besonderen Maße eine finanzielle Last, sagte Wegner am Sonntag dem "Spiegel": "Hier erwarte ich, dass der Bund seiner Verantwortung gerecht wird und die Länder stärker finanziell unterstützt" [spiegel.de / Bezahlinhalt].
Die Bundesregierung weist die Forderungen zurück. Sie wirft den Ländern vor, Geld vom Bund nicht voll an die Kommunen weiterzuleiten, die für die Versorgung der Menschen zuständig sind. Wie laut ARD-Hauptstadtstudio aus einem Entwurfspapier der Bundesregierung für das Spitzentreffen hervorgeht, will sie bei der Kostenverteilung den Ländern und Kommunen nicht entgegenkommen. Der Bund unterstütze schon jetzt die Flüchtlingsversorgung in Milliardenhöhe trotz eines Haushaltsdefizits, während Länder und Kommunen Milliardenüberschüsse verzeichneten, zitierte die ARD aus dem Papier. Die Bundesregierung will sich deshalb von den Landesregierungen nachweisen lassen, dass diese die Zahlungen aus Berlin auch tatsächlich für die Versorgung von Geflüchteten genutzt haben.
Im vergangenen Jahr gab es nach einem Rückgang in den Corona-Jahren auch wieder einen Anstieg der Anträge im regulären Asylsystem. Knapp 218.000 Erstanträge wurden gestellt, 47 Prozent mehr als 2021. Hauptherkunftsländer sind nach wie vor Syrien und Afghanistan.
Auch in den ersten Monaten dieses Jahres ist die Zahl der Asylanträge weiter gestiegen. Im ersten Quartal 2023 stellte die Bundespolizei eigenen Angaben zufolge 19.627 unerlaubte Einreisen nach Deutschland fest. Im gleichen Zeitraum stellten nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge 80.978 Menschen erstmals einen Asylantrag, davon 5.817 Kinder im Alter von unter einem Jahr.
Außerdem sind im laufenden Jahr bis 31. März laut Bundesregierung und Ausländerzentralregister 81.647 Menschen im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine eingereist. Sie müssen keine Asylanträge stellen.
Auch wenn 2022 mehr Schutzsuchende nach Deutschland kamen als im Krisenjahr 2015, unterscheidet sich die Lage von der damaligen Situation. Rund drei Viertel der ukrainischen Flüchtlinge kamen laut einer Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge aus dem Februar privat unter. Sie beanspruchten anders als die Flüchtlinge 2015 also kaum Gemeinschaftseinrichtungen von Ländern und Kommunen.
Die Bundesregierung bemüht sich zwar durch Grenzkontrollen zu Österreich und Schleierfahndungen an anderen Grenzen um eine eigene Steuerung der Fluchtbewegung. Grundsätzlich ist das aber ein seit Jahren auf europäischer Ebene ungelöstes Problem. Die Bundesregierung wirbt dafür, dass bis zum nächsten Jahr eine Einigung über das sogenannte Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) erzielt wird.
Geplant sind eine stärkere Grenzsicherung, eine zuverlässigere Registrierung, Asylverfahren an der Grenze und eine gerechtere Verteilung der Schutzsuchenden. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kritisiert diese Pläne. Es drohten "De-facto-Haftlager und die Aushebelung des Flüchtlings- und Menschenrechtsschutzes an den EU-Grenzen", teilte die Organisation mit.
Auch Bundesinnenministerin Faeser plädierte zuletzt beispielsweise dafür, die europäische Migrationspolitik stärker auf eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen auszurichten. Verhandelt werde auf EU-Ebene "über Verfahren an den EU-Außengrenzen, um dort binnen kurzer Fristen über den Schutz von Menschen mit geringer Aussicht auf Asyl in der EU zu entscheiden", sagte Faeser dem "Handelsblatt" vom Freitag. Damit könnten abgelehnte Asylbewerber "schnell bereits von den EU-Außengrenzen aus zurückgeführt werden". Berlins Regierungschef Wegner sagte dem "Spiegel" am Sonntag, Faesers Vorschlag habe "unsere volle Unterstützung". Die Verhandlungen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten darüber laufen allerdings noch.
Sendung: Antenne Brandenburg, 07.05.2023, 18:00 Uhr
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