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Quelle: dpa/C. Gateau

Kommentar | Rechtsextremismus in Brandenburg

Zurück in die 1990er?

Rechtsextremismus an Schulen - und Lehrer schauen weg. Muslimische Jugendliche brauchen Polizeischutz. Jüngste Ereignisse in Brandenburg wecken Erinnerungen an die 1990er Jahre. 2023 ist aber vieles anders – im Guten wie im Schlechten. Ein Kommentar von Hanno Christ

Nein, die sogenannten Baseballschläger-Jahre der 1990er Jahre sind nicht wieder da. Auf den Brandenburger Straßen werden nicht regelmäßig Menschen mit Migrationshintergrund von einem rechten Mob gejagt. Rechtsextremisten beherrschen nicht die Szene in den Dörfern und Kleinstädten. Es gibt eine Gegenöffentlichkeit, eine Zivilgesellschaft, die über Jahrzehnte von unten wie oben gewachsen ist.

Die große Mehrheit der Parteien und Politiker im Landtag reagieren und verurteilen, anstatt zu schweigen oder kleinzureden. Es gibt ein Netzwerk erfahrener Menschen, die aufklären, Opfern Hilfe leisten, aber auch danach schauen, dass es erst gar nicht zu Angriffen kommt. Brandenburger Beratungsteams, das Aktionsprogramm Tolerantes Brandenburg, Vereine wie die Opferperspektive haben sich zu Vorbildern für andere Bundesländer entwickelt.

Klassenfahrt in Brandenburg abgebrochen

Berliner Schüler in Ferienlager in Heidesee rassistisch beleidigt und bedroht

In Heidesee sollen Berliner Schülerinnen und Schüler in der Nacht zu Sonntag rassistisch beleidigt und von teils vermummten Jugendlichen bedroht worden sein. Laut Polizei wollten die Angreifer auch in die Unterkunft der Schulklasse gelangen.

Aufstand der Anständigen

Auch deshalb steht Brandenburg im Vergleich zu anderen Bundesländern Ostdeutschlands wie Sachsen oder Thüringen robuster da. Diese Leistung der vielen darf nicht klein- oder weggeredet werden.

Sicher: Schulleitung und Schulamt sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, weggeschaut zu haben bei rechtsextremistischen Straftaten in Burg (Spree-Neiße) und sie vielleicht sogar geduldet zu haben. Nicht zuletzt aber waren es Lehrkräfte und Schüler, die den Mut aufbrachten und sich mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit gewandt haben.

Klar: Es hätte nicht soweit kommen dürfen, aber die Lebenswirklichkeit heute unterscheidet sich dennoch fundamental von der, die es im Osten in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegeben hat. Es gibt tatsächlich einen Aufstand der Anständigen.

Spree-Neiße

Auch Schüler beschreiben in Brief rechte Vorfälle an Schule in Burg

In einem Brief schildern Lehrkräfte aus dem Spreewald in Brandenburg rechtsextreme Vorfälle an einer Schule. Nun haben sich auch Schüler in einem Brief zu den Zuständen geäußert. Der Verfassungsschutz sieht teils Einfluss von Rechtsextremen in der Sozialarbeit.

Rechtsextreme sind gut vernetzt

Gleichzeitig sickert an anderer Stelle, das schleichende Gift der Gewöhnung an Fremdenfeindlichkeit in breite Teile der Gesellschaft. Rechtsextremismus und Rassismus machen es uns schon lange nicht mehr so einfach, plump als Glatze und in klobigen Springerstiefeln daherzukommen. Der Extremismus von heute tritt subtiler und schmissiger auf, trägt Anzug, sitzt in Bundestag, Landtagen, im Rundfunkrat und hat sich über Steuermittel ein solides Netzwerk aufgebaut.

Die AfD ist schon lange im Fokus von Verfassungsschutzämtern, unlängst wurde auch die Jugendorganisation der Partei, die Junge Alternative, als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Die AfD sieht sich als Opfer politischer Kampagnen, der Verfassungsschutz sei lediglich eine Marionette der Regierenden um die AfD kleinzuhalten. Dabei spiegele sie doch das "normale Deutschland".

Interview | Rechtsextremismusforscherin zu Schulvorfällen

"Es gibt Milieus, in denen das rechte Weltbild an die Kinder weitergegeben wird"

Die Vorfälle von Rassismus und rechtsradikalen Symbolen an einer Schule im Spree-Neiße-Kreis sorgen für Entsetzen. Rechtsextremismusforscherin Heike Radvan ist davon allerdings nicht überrascht. Im Interview erklärt sie, wieso.

Diese Erzählung scheint zu verfangen, vielen Menschen in Ostdeutschland scheint es schlicht egal zu sein, dass Teile der AfD nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. In Ostdeutschland ist sie Umfragen nach oftmals weit vorne, zuweilen auch stärkste Kraft. Im Landkreis Oder-Spree entscheiden Wählerinnen und Wähler per Stichwahl am Sonntag, ob sie einen AfD-Mann als Landrat haben wollen. Probleme bei Migration, bei der Umsetzung der Energiewende oder die Verunsicherung durch den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine wiegen für Wählerinnen und Wähler schwerer als die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Die Idee der AfD von der neuen Normalität scheint zu fruchten.

Interview | Lehrkraft zu rechten Vorfällen an Lausitzer Schule

"Das größte Problem ist, dass Straftaten begangen werden und weggesehen wird"

An einer Schule im Spree-Neiße-Kreis gehören rassistische Beleidigungen offenbar zum Alltag, in Klassenchats sollen Hitler-Bilder und rechtsextreme Posts kursieren. Eine Lehrkraft berichtet von Mitläufern, Wegschauenden - und Angst.

AfD spielt Ereignisse in Burg herunter

Die jüngsten mutmaßlich fremdenfeindlichen Ereignisse in Burg und Heidesee haben nach bisherigem Kenntnisstand nichts direkt mit der AfD zu tun. Indirekt allerdings schon. Stimmungsmache gegen Migranten und die Rede von der vermeintlichen "Umvolkung" durch die Asylpolitik sind Kerngeschäft der AfD, ebenso wie das Kleinreden mutmaßlich fremdenfeindlicher Vorfälle. Die Journalisten, die so über Burg berichten, seien "Scharfmacher", so der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Landtag. Die Lehrer, die sich in einem offenen Brief über das fremdenfeindliche Schulklima beklagten, machten sich "mitschuldig" an der Situation. Solange nicht klar sei, was passiert ist, könne man daraus "kein gesamtgesellschaftliches Problem" machen.

Kommentar | Vorfälle an Südbrandenburger Schule

Rechtsextremismus ist hier kein Randphänomen

An einer Schule in Spree-Neiße sollen rechtsextreme Vorfälle zum Alltag gehören. Lehrer haben anonym in einem Brief um Hilfe gerufen. Aber ist die Überraschung über die Zustände wirklich angebracht? Nicht wirklich, findet Sebastian Schiller.

Betroffene Schülerinnen schilden Beleidigung und Bedrohung

Sein Parteikollege Steffen Kotré, AfD-Bundestagsabgeordneter, gibt per Pressemitteilung am Dienstmorgen an, er habe mit Jugendlichen in Heidesee gesprochen. Man dürfe den Zwischenfall nicht fremdenfeindlich "aufbauschen". Man solle runterkommen und nicht "alles gleich politisch machen".

Zu diesem Zeitpunkt hat eine Schülerin der betroffenen Berliner Schule vor Fernsehkameras schon detailliert geschildert, wie sie und Mitschüler die Ereignisse in Heidesee erlebt haben. Die Bedrohungen, die Beleidigungen, die Alarmrufe an Polizei, an die Eltern. Ihre Erzählungen sind bedrückend. Und sie erinnern tatsächlich an Zeiten, die man schon abgestreift glaubte.

Verfassungsschutzbericht

Stübgen: Rechtsextremismus stellt in Brandenburg weiter große Gefahr dar

Die Zahl der Menschen, die der Verfassungsschutz in Brandenburg dem Rechtsextremismus zuordnet, hat im Jahr 2022 zugenommen - das zeigt der neue Bericht der Behörde. Einfluss darauf hat auch der Krieg in der Ukraine.

Rechtsextremismus existiert, aber anders

Nein, die Baseballschläger-Jahre sind Vergangenheit. Und sie bleiben es. Sich mit Vergleichen aus der Mottenkiste der Geschichte zu bedienen wäre zu billig. Wir müssen uns schon die Mühe machen, zu erkennen, dass Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in anderem Gewand daherkommen. Und dass das eben alles andere als normal ist.

Sendung: rbb24 Inforadio, 09.05.2023, 18:15 Uhr

Beitrag von Hanno Christ

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