Analyse | Landratswahl in Oder-Spree
Denkbar knapp hat sich SPD-Mann Frank Steffen gegen Rainer Galla (AfD) bei der Landratswahl im Landkreis Oder-Spree durchgesetzt. Dass es so eng wurde, hatte auch etwas mit der Zurückhaltung anderer Parteien zu tun. Bröckelt die Brandmauer gegen die AfD? Von Hanno Christ
Eine Landratswahl in Brandenburg mit so viel Aufmerksamkeit gab es wohl noch nie in der Geschichte des Bundeslandes. Ein Auge auf Oberbürgermeisterwahlen ja, aber Landratswahlen? Bundesweit berichteten Medien über die Möglichkeit eines Wahlsieges der AfD in Oder-Spree. Es wäre der erste in der Geschichte der Republik gewesen.
Dabei rangieren Landratswahlen auf der Aufmerksamkeitsskala Brandenburgs meist auf dem Niveau von Sozialwahlen. Heißt: Ziemlich weit unten. Diesmal aber war alles anders: Die Wahl eines AfD-Mannes wäre nicht nur ein Novum gewesen, sondern auch ein Tabubruch. Die Partei ist im Fokus der Verfassungsschutzbehörden. In Brandenburg steht der Landesverband am äußeren rechten Rand. Was hätte ihr Kandidat in einem Landratsamt verloren?
Seit Sonntagabend ist es Gewissheit, dass es doch nicht so weit kommt. In der Stichwahl durchgesetzt hat sich Frank Steffen von der SPD, amtierender Bürgermeister in Beeskow, und eben nicht Rainer Galla von der AfD. Er bekam 52,4 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen, Galla stattliche 47,6 Prozent. Das Quorum wurde erreicht.
Für nicht wenige Beobachter, die auf eine Entscheidung im Kreistag spekuliert hatten, eine Überraschung. Die Wahlbeteiligung lag für eine Landratswahl mit 38,5 Prozent sogar höher als beim ersten Wahlgang. Die AfD hatte zusätzlich Wähler mobilisiert.
Es bleibt also vorerst vieles, wie es ist: Die Landräte, Landrätinnen und Oberbürgermeister dieses Bundeslandes stellen nach wie vor CDU, SPD oder Linke. Und doch ist etwas anders vor, während und nach dieser Wahl. Denn anders als bei vorangegangenen Wahlen in Kreisen oder kreisfreien Städten wie Cottbus konnte der SPD-Kandidat im Landkreis Oder-Spree auf keine geschlossene Rückendeckung aus dem Lager anderer Parteien setzen. Die aber war in Ostdeutschland bei Wahlen in Land- und Kommunen schon mehrfach nötig, um sich gegen die AfD zu behaupten.
An fehlenden Warnsignalen kann es nicht gelegen haben: Schon der erste Wahlgang Ende April war spektakulär, vereinigte doch Galla damals die meisten Stimmen auf sich. Schon damals braute sich für aufmerksame Beobachter etwas zusammen: Erstmals lag ein AfD-Kandidat auf Platz eins. Was danach fehlte, war ein geschlossenes Bündnis aller Parteien gegen die AfD.
Während Linke und Grüne zur Wahl Steffens aufriefen, ließen CDU und BVB/Freie Wähler auf Landes- und Kreisebene eine ähnliche Empfehlung vermissen. Zwar hatte der CDU-Landratskandidat für die Unterstützung Steffens geworben, nicht aber der Kreisverband. Selbst SPD-Bundeschef Lars Klingbeil kommentierte am Montag die Landratswahl. Die CDU habe sich aber weder vor Ort, noch auf Landesebene und "erst recht nicht durch Friedrich Merz auf der Bundesebene" positioniert, kritisierte Klingbeil. "Ich kann nur appellieren an die Union, nicht weiter mit dem Feuer zu spielen und an jeder Stelle darauf zu achten, dass die Brandmauer gegen Rechts weiter besteht", sagte der SPD-Chef und zog am Montagnachmittag den Unmut des CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz auf sich. Der wetterte im Interview mit Welt-TV, die Behauptung Klingbeils sei eine "glatte Unwahrheit". Es habe an Ort und Stelle eine "klare Empfehlung des Kreisverbandes und des Kreisvorstandes gegeben, den SPD-Kandidaten zu wählen".
Eine solche geschlossene Empfehlung des Kreisverbandes oder des Kreisvorstandes aber hat es nicht gegeben, bestätigte auf rbb-Anfrage der CDU-Kreisvorsitzende André Schaller. Man habe den SPD-Kandidaten allerdings in anderer Form unterstützt, etwa in einem Podcast, so Schaller.
Auch Brandenburgs SPD-Landesvorsitzender und Ministerpräsident Dietmar Woidke sagte im rbb-Interview: "Ich hätte mir schon eine breite Front der demokratischen Parteien gewünscht, um zu verhindern, dass Brandenburg insgesamt in schlechtes Licht gerät." Es sei um viel mehr gegangen als einen Landratsposten.
Kritik an der fehlenden Geschlossenheit kommt auch von Politikwissenschaftler Gideon Botsch von der Universität Potsdam. "Was ich wirklich sehr fatal finde, ist, dass wir – anders als in Cottbus bei der Oberbürgermeisterwahl vor einigen Monaten - keine gemeinsame Mobilisierung der demokratischen Parteien hatten", sagte Botsch am Montag der Deutschen Presse-Agentur. "Das hatten wir bei den letzten Wahlen in den ostdeutschen Ländern relativ oft, dass die Menschen mobilisiert wurden, um eine AfD als stärkste Kraft zu verhindern, und das auch getan haben."
Der Landes- und Fraktionsvorsitzende im Landtag von BVB/Freie Wähler, Péter Vida, verteidigte hingegen die Zurückhaltung. Schuldzuweisungen seien "fehl am Platze". Das knappe Ergebnis solle vielmehr "der SPD zu denken geben." "Die Bürger sind mündig genug, selbst zu entscheiden", so Vida.
Der Landes- und Fraktionsvorsitzende der CDU, Jan Redmann, zeigte sich nachdenklich. Das Ergebnis habe viele überrascht und stecke noch in den Gliedern. "Das Unterhaken allein reicht aber nicht, um die AfD kleinzukriegen," so Redmann. Das Ergebnis sei ein Denkzettel und müsse ein Weckruf sein für alle Parteien, sich mehr Mühe zu geben, der AfD ein eigenes, positives Angebot entgegenzusetzen. Daran habe es bei der Wahl in LOS gefehlt.
Kritik an der fehlenden Wahlempfehlung kontert Redmann mit dem Hinweis, dass sich der CDU-Kandidat hinter Steffen gestellt habe. Außerdem habe auch die SPD einst bei der Landratswahl in Spree-Neiße keine Empfehlung für den CDU-Kandidaten gegeben. CDU-Generalsekretär Gordon Hoffmann hatte am Sonntag noch via Twitter zur Wahl Steffens aufgerufen. Am Montag verurteilte er Schuldzuweisungen wegen ausbleibender Unterstützung. Damit mache es man sich zu einfach. Es brauche "Debatten, wie die Politik Menschen wieder erreicht."
Dabei scheint die Politik auf den ersten Blick vieles richtig zu machen. Oder-Spree ist der Tesla-Wahlkreis, Grünheide der Ort von Ostdeutschlands größter Industrieansiedlung. Die Arbeitslosigkeit liegt bei knapp über sechs Prozent. Die wirtschaftlichen Aussichten könnten schlechter sein. Doch selbst in Grünheide bekam AfD-Kandidat Galla fast 50 Prozent der Stimmen.
Sein Kontrahent von der SPD ist in Brandenburg geboren und amtierender Bürgermeister von Beeskow. Doch für die meisten derjenigen, die zur Wahl gingen, waren weder Herkunft noch Lokalkolorit von Belang. Galla kommt aus Bayern, hat die meiste Zeit seines Lebens in Nordrhein-Westfalen gelebt und kam erst vor vier Jahren nach Brandenburg. Erst war er Polizeibeamter, heute ist er Angestellter der AfD-Bundestagsfraktion.
Es müssen folglich andere Gründe gewesen sein, die der AfD zu diesem Erfolg verholfen haben. CDU-Landesvorsitzender Redmann sieht weniger mangelnde Geschlossenheit als Grund, als vielmehr die aktuelle Bundespolitik. "Das Frustrationspotenzial ist sehr hoch. Menschen sind voller Sorgen und voller Ängste. Da geht es gar nicht so sehr nur um Lokalpolitik, da geht auch um Heizungs- und Migrationsfragen. Oder-Spree hat ja auch eine Grenze zu Polen." Nicht zuletzt liege in Eisenhüttenstadt die Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete. Dort erzielte die AfD ein Ergebnis von 56,3 Prozent, im benachbarten Neuzelle 60,5 Prozent.
Eine Blaupause für die Kommunal- und Landtagswahlen im kommenden Jahr? Für Redmann ist das Ergebnis ein Denkzettel, sei aber nicht übertragbar. "Landratswahlen sind etwas besonders, weil die Wahlbeteiligung besonders niedrig ist. Deswegen sind die besonders anfällig für solche Ergebnisse." Das sei bei Landtagswahlen und bei Kommunalwahlen schon etwas anders. Wahlgewinner Steffen hingegen warnt und sieht in den Lehren aus dem Ergebnis eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. "Ansonsten erleben wir bei den Kommunalwahlen im kommenden Jahr ein unerfreuliches Ergebnis."
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 15.5.23, 19:30 Uhr
Beitrag von Hanno Christ
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