Schumacher Quartier in Berlin-Tegel
Rund 5.000 Wohnungen sollen auf dem ehemaligen Flughafen Tegel entstehen. Das "Schumacher Quartier" gilt als stadtplanerisches Leuchtturmprojekt. Doch die Vorbereitungen sind ins Stocken geraten. Von Sebastian Schöbel
Für Fans der modernen Architektur dürfte es zurzeit kaum ein schöneres Projekt geben als das Schumacher Quartier in Berlin-Tegel. Im Erdgeschoss des Infozentrums auf dem ehemaligen Flughafengelände wurde ein ganzer Showroom eingerichtet, in dem man das wohl ambitionierteste Bauvorhaben der Hauptstadt mit beleuchteten 3D-Modellen, interaktiven Videoleinwänden, Computergrafiken und riesigen Karten entdecken kann: Ein "zukunftsweisendes Modellquartier", das den Brückenschlag zwischen urbaner Verdichtung und klimaschonendem Bauen schafft, das als ressourcensparender Kreislauf im Einklang mit der Natur funktioniert und auf 48 Hektar beweisen soll, dass sozialverträglicher Neubau ohne Renditeerwartung machbar ist.
Doch Baugenossenschaftler Andreas Barz beeindruckt all das nicht. Wenn er die aufwändig gestalteten Pläne für das Schumacher Quartier betrachtet, sieht er vor allem: Eine verpasste Chance. "Ich halte es auch für fahrlässig, dass wir an dieser Stelle nicht größer denken."
Barz ist beim Bündnis "Die jungen Genossenschaften" engagiert, ein Zusammenschluss von mehreren Genossenschaften, die sich dem Ideal der "nachhaltigen, durchmischten und solidarischen Stadt" verschrieben haben. Und ihn begeistert die Vision von rund 5.000 Wohnungen in Holzbauweise auf der östlichen Spitze des ehemaligen Flughafens TXL nur begrenzt. "Ich brauche keinen Architekten, um auszurechnen, dass man auf diesem Gelände eine Stadt für einhundert- bis zweihunderttausend Menschen bauen könnte", sagt Barz. In seiner Vorstellung könnte in Tegel sogar etwas geschaffen werden, das die Konflikte um andere Wohnungsbaustandorte wie die Elisabethaue oder das Tempelhofer Feld befrieden könnte. "Unsere Verwaltung muss den Mut haben, hier die Stadt des einundzwanzigsten Jahrhunderts bauen zu wollen."
Am fehlenden Mut der Planer liegt es derzeit aber nicht, dass es im Schumacher Quartier nicht vorangeht, sondern an lokal- und weltpolitischen Herausforderungen. Einerseits ist in Tegel durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine Deutschlands größtes Flüchtlingslager entstanden, eine Zeltstadt für bis zu 4.500 Menschen. Andererseits wird das Projekt durch ein Gerangel zwischen Land und Bund über den Bebauungsplan ausgebremst. Und über allem schwebt die Frage: Kann im Berliner Norden tatsächlich ein "zukunftsweisendes Modellquartier" aus Brandenburger Kiefernholz entstehen?
"Es ist schwierig, Termine zu nennen", sagt Gudrun Sack, die Geschäftsführerin der Tegel Projekt GmbH, wenn man nach dem Bebauungsplan für das Quartier fragt. Man wolle "baldmöglichst, gegebenenfalls noch in diesem Jahr" mit dem Beteiligungsverfahren beginnen – die nächste Planungsstufe also, in der sich Interessenten für die Grundstücke mit ihren Ideen bewerben können.
Bislang aber bremst der Bund: Der sorgt sich, vertreten durch seine Autobahngesellschaft, um den Tunnel der A111, der unter dem Flughafengelände entlangführt. Diskutiert wird nun, wie nah die Gebäude des Schumacher Quartiers an der Oberfläche dem Tunnel darunter kommen dürfen. Nach rbb-Informationen liegen die Vorstellungen der Planer und das Sicherheitsgefühl der Autobahnmanager um rund 20 Meter auseinander. Die Autobahn GmbH ließ Nachfragen des rbb unbeantwortet.
Berlins neuer Bausenator Christian Gaebler (SPD) ist dennoch zuversichtlich: Für die Anbindung mit der Tram sei eine Lösung gefunden, und auch der Rückbau des A111-Zubringers bei gleichzeitigem Ausbau der Meteorstraße seien beschlossen. "2026 wollen wir mit dem ersten Spatenstich beginnen, das werden wir einhalten." Heißt aber auch: Das ursprüngliche Versprechen, dass bis 2027 die ersten Wohngebäude stehen, wird man wohl nicht mehr halten können.
Dafür bleibt mehr Zeit, über die Idee des Holzbaus im ganz großen Stil nachzudenken. Denn mit begrünten Fassaden soll es ja nicht getan sein: Selbst tragende Wände und Geschossdecken sollen im Schumacher Quartier aus Holz sein. Je mehr von dem Rohstoff die Architekten verplanen, desto größer sei die Chance ihrer Auftraggeber, den Zuschlag für ein Grundstück im Quartier zu bekommen, sagt Gudrun Sack.
Verbaut werden soll dabei vor allem die heimische Kiefer aus Brandenburger Wäldern. Denn Holz ist in Sachen Nachhaltigkeit dem Beton um ein Vielfaches überlegen. Zweifel, ob es von den märkischen Nadelbäumen genug gibt, hat Sack nicht. "Wir können 25. 000 Festmeter im Jahr von den Berliner Forsten bekommen", sagt sie. Tatsächlich besitzt Berlin über die landeseigenen Berliner Forsten viele Hektar Wald in Brandenburg, und von der schnell wachsenden Kiefer wurden zuletzt pro Jahr im Schnitt mehr als 55.000 Kubikmeter geschlagen. "Die nächsten zehn Jahre können wir den ganzen Flughafen und den Rest von Berlin mit Holz bebauen", sagt Sack.
Dass die Kiefer anderen Holzarten, etwa der Fichte, unterlegen ist, wie manche Kritiker sagen, glaubt Eike Roswag-Klinge nicht. Der Leiter des Natural Building Lab an der TU Berlin hat den Holzbau mit Kiefer untersucht: Kiefer sei zwar harziger als Fichte, was die Verarbeitung manchmal schwieriger mache, aber im holz-erfahrenen Kanada werde die Bandenburger Kiefer seit Jahren verbaut. "Manchmal kann es etwas riechen, aber es ist auf alle Fälle nicht gesundheitsschädigend." Dass die Tradition der märkischen Ziegel, die einst Berlin aufbauten, nun mit der Brandenburger Kiefer fortgesetzt werden kann, daran glaubt Roswag-Klinge fest: Das Schumacher Quartier werde "eine brandenburgische Holzstadt in Tegel".
Weil aber am Ende keine einfachen Holzhütten, sondern hochmoderne Wohngebäude mit bis zu sieben Stockwerken entstehen sollen, muss die Verarbeitung von Holz völlig neu gedacht und entwickelt werden. Dafür war ursprünglich eine eigene Bauhütte auf dem Flughafengelände in Terminal C geplant. Nun aber ist dort das Ankunftszentrum für Flüchtlinge, das deutlich länger gebraucht wird. Die Bauhütte, inzwischen umbenannt in "Future Hut", soll nun im ehemaligen Parkhaus 7 des Flughafens einziehen, als Forschungsstätte für Holzbau.
Hier soll dann auch geklärt werden, wie Holzbau wirtschaftlich betrieben werden kann. "Das ist eine Frage der Skalierung", sagt Gudrun Sack: Mit Hilfe von Robotik und standardisierten Produktionsverfahren sollen Holzelemente entstehen, die flexibel und kostensparend eingesetzt werden können. Vom Quadratmeterpreis eines konventionellen Betonhauses sollen die Holz-Hybrid-Häuser in Tegel jedenfalls nicht abweichen, so die Planung.
Ob das gelingt, wird sich zeigen: Bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, die 50 Prozent der Grundstücke erhalten sollen, gibt es da noch Vorbehalte. Gesobau-Chef Jörg Franzen warnte vor fast genau einem Jahr im Abgeordnetenhaus, dass der Holzbau zur Kostenfalle werden könnte. "Nach jetzigem Stand könnte wirtschaftlich keine einzige Wohnung gebaut werden", so Franzen.
Wer am Ende Recht behält, wird sich voraussichtlich ab 2026 zeigen – sofern bis dahin alle Hürden genommen sind. Die Befürworter des Projekts rechnen aber ohnehin langfristig: Sowohl ökonomisch als auch ökologisch soll das Schumacher Quartier eine Investition in die Berliner Zukunft sein. Wohnungsbau im Einklang mit der Natur, mit minimalem CO2-Fußabdruck, regionalen Ressourcen, sozial verträglich und ohne Zwang zur Profitmaximierung. Es wirkt so, als müsse das Schumacher Quartier sämtliche Antworten auf alle Herausforderungen der modernen Stadt Berlin liefern. Ob dort einmal 10.000 oder 100.000 Menschen leben, könnte dabei fast zur Randnotiz werden.
Sendung: rbb24, 19.05.2023, 13:00 Uhr
Beitrag von Sebastian Schöbel
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